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"Schengen gerade am Kippen"

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

EU-Innenminister erhöhen Druck auf Griechenland, europäischer Grenzsicherung zuzustimmen.


Amsterdam. Zwischen all den Kuttern in der kleinen Bucht fällt das Boot auf. Dutzende Menschen scheinen sich auf dem Deck zu drängen, stehend, manche von ihnen mit Warnwesten in knalligen Farben ausgestattet. Aber niemand bewegt sich. Es sind nämlich Schaufensterpuppen - Figuren, die Amnesty International auf das Schiff gestellt hat. Ihre Botschaft hat die Menschenrechtsorganisation auf einem Schild hinter dem Heck angebracht. "Politiker Europas", lautet der Aufruf: "Ihr solltet euch nicht um Umfragen kümmern sondern um Geschichtsbücher."

Es ist ein Protest gegen die Flüchtlingspolitik der EU, ein Hinweis darauf, dass es an Wegen zur legalen Migration mangelt und Menschen deswegen in überfüllten Booten über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen. Es soll ebenfalls an die Forderungen von Nichtregierungsorganisationen erinnern, dass es mehr Geld und Anstrengungen brauche, um den Krisenregionen zu helfen.

Der Appell war an die Innenminister der Union gerichtet, die sich an der kleinen Bucht versammelten. Im Schifffahrtsmuseum von Amsterdam kamen sie zu einem informellen Treffen zusammen. Im Mittelpunkt standen die Debatten darüber, wie die Zahl der Ankommenden in der EU verringert werden kann, wie die Gemeinschaft ihre Grenzen besser schützen kann - und wie einzelne Mitgliedstaaten dazu gezwungen werden können.

Denn die Klagen, dass Griechenland nicht ausreichend die Außengrenze der Union sichere, wollen nicht verstummen. Schon Ende des Vorjahres tauchten Gerüchte auf, dass das Land wegen seiner Versäumnisse aus der Schengen-Zone, in der Reisen ohne Passkontrollen möglich ist, ausgeschlossen werden könnte. Nun steht diese Drohung wieder im Raum, ausgesprochen etwa von der österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner.

Gezerre um Kontrollen

Die Argumentation dabei ist: Wenn die griechischen Behörden es nicht allein schaffen, sich an ihre Verpflichtungen zu halten, müsse es eine europäische Problemlösung geben. Daher plädierte Mikl-Leitner unter anderem für eine gemeinsame Küstenwache. Es sei nämlich "ein Mythos", dass die türkisch-griechische Grenze nicht zu kontrollieren sei, erklärte die Ministerin vor dem Treffen mit ihren Amtskollegen. Ist diese Sicherung aber nicht möglich, werde sich die Schengen-Außengrenze Richtung Mitteleuropa bewegen.

Die Warnung, dass der Erhalt des Schengen-Raums in Gefahr sei, ist ebenfalls seit Wochen zu hören. Sie kommt aus der EU-Kommission und aus einzelnen Mitgliedstaaten - auch wenn alle Akteure gleichzeitig versichern, dass ein Zerfall unbedingt zu verhindern sei. Dennoch haben einige Länder wieder Grenzkontrollen eingeführt, um die Flüchtlingsströme wenigstens ansatzweise lenken zu können. Dazu gehören neben Deutschland und Österreich auch Frankreich, Schweden und Dänemark.

Die Bewahrung des kontrollfreien Raums bleibe dennoch das "gemeinsame Ziel", betonte Mikl-Leitner auch nach den Ministerberatungen. Doch musste sie gleichzeitig einräumen: Die Existenz der Schengen-Zone "ist gerade am Kippen". Das zeigten die Maßnahmen der einzelnen Länder.

Trotzdem wollen diese ihre Grenzkontrollen verlängern, für die es laut EU-Regeln bestimmte Fristen gibt. Diese laufen beispielsweise für Österreich zunächst am 15. Februar und dann am 15. Mai aus.

Dass ein Rückstau entstehen könnte und Menschen auf der Balkanroute ausharren müssten, hätte aus Sicht einiger Regierungen - wie jener in Wien - unter Umständen auch einen positiven Effekt. Denn es würde gerade auf Griechenland den Druck erhöhen, einer europäischen Lösung zuzustimmen. Zusätzlich dazu beitragen könnten mögliche verstärkte Kontrollen an der mazedonisch-griechischen Grenze, mit Unterstützung der EU. Diese Idee hat etwa Slowenien lanciert.

Athen dreht Vorwürfe um

Das jedoch ist für die Regierung in Athen nicht hinnehmbar. Die Hilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex für ein Nicht-Mitglied der Union - mit dem sich Griechenland noch dazu immer wieder im Zwist befindet - sei schlicht "illegal", befand der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas. "Wir brauchen Frontex in Griechenland." Bei einer Pressekonferenz am Rande des Treffens in Amsterdam wehrte er sich gegen die Vorwürfe, sein Land würde sich gegen eine Kooperation mit den EU-Partnern sperren. Es sei vielmehr umgekehrt: Die angeforderte Hilfe würde ausbleiben.

Mouzalas zählte eine ganze Reihe bisher unerfüllter Wünsche auf. So hätte seine Regierung die anderen EU-Staaten um die Entsendung von 1800 Frontex-Beamten gebeten, und lediglich 800 Mitarbeiter seien nach Griechenland gereist. Von 28 angeforderten Schiffen für die Küstenwache seien nur sechs zur Verfügung gestellt worden. 900 Container würden gebraucht - geliefert sei kein einziger worden. Auch die Umsiedlungspläne der EU funktionieren nicht: Tausende Menschen hätten bereits von Griechenland aus auf andere Staaten verteilt werden sollen. Doch hätten erst 13 Länder Zusagen gemacht - für rund 900 Aufnahmeplätze.

In den Kabinetten anderer Hauptstädte ist aber zu hören, dass es sehr wohl etliche Angebote an die griechischen Behörden gebe, diese aber oft nicht angenommen werden.