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Der Rückzieher

Von Ines Scholz

Politik

AfD-Vorsitzende Petry will zunächst "notfalls auf Flüchtlinge schießen" lassen - dann aber doch nicht.


Berlin/Wien. Schüsse auf Flüchtlinge hat es an Deutschlands Grenze schon einmal gegeben. Damals war es das kommunistische DDR-Regime, das auf jeden schießen ließ, der versucht hat, sich über die Berliner Mauer in Sicherheit zu bringen - oder in Freiheit. Jahrzehnte später sind es die Rechtspopulisten, die dafür eintreten, dass an der deutschen Grenze Waffen auf Schutzsuchende gerichtet und bei Bedarf auch eingesetzt werden. Entsprechend heftig war der Sturm der Entrüstung, den die Parteispitze der Alternative für Deutschland (AfD) mit ihrer Schießbefehl-Forderung auslöste. Auch der Ruf nach einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz wird lauter.

"Den Schießbefehl an deutschen Grenzen haben wir zum Glück vor über 25 Jahren überwunden", pfauchte CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Mit solchen Entgleisungen entlarve sich die AfD selbst - "als Ansammlung frustrierter Ewiggestriger, denen Demokratie, Rechtsstaat und Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit nichts bedeuten". Für die Grünen ist die AfD "auf dem besten Weg, der parlamentarische Arm der gewalttätigen Naziszene zu werden". Die Schießfantasien der Rechtspopulisten offenbare laut Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt die "hässliche Fratze" der AfD.

Wie die Grünen sieht auch SPD-Chef Sigmar Gabriel den Verfassungsbogen überspannt. "Für mich gehört die AfD in den Verfassungsschutzbericht und nicht ins Fernsehen", erklärte er der "Bild am Sonntag" in Anspielung auf die TV-Debatten im Vorfeld der Landtagswahlen in drei deutschen Bundesländern Mitte März. Bei der AfD "gibt es massive Zweifel, dass sie auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Republik steht. Da geht es nicht nur um schräge Forderungen wie jene, dass alle Frauen mindestens drei Kinder bekommen sollen. Die Dame will an der deutschen Grenze auf unbewaffnete Flüchtlinge schießen lassen", so der SPD-Vize.

AfD-Vorsitzende Frauke Petry hatte am Wochenende gegenüber der Tageszeitung "Mannheimer Morgen" gefordert, es müsse verhindert werden, dass weiter so viele unregistrierte Flüchtlinge über Österreich einreisen könnten. Die Polizei müsse dafür "notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen". Kein Polizist wolle auf einen Flüchtling schießen, sagte die gebürtige Ostdeutsche. "Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt. So steht es im Gesetz."

Am Montag ruderte die Parteichefin - offenbar als Reaktion auf die heftigen Proteste - wieder zurück. "Die AfD lehnt es strikt ab, dass auf Menschen geschossen wird, die friedlich Einlass in das Bundesgebiet begehren", versicherten Petry und ihr Ko-Vorsitzender Jörg Meuthen in Berlin. Die AfD strebe "keinerlei Verschärfung der diesbezüglich geltenden Rechtslage oder Praxis an". Die Gesetzeslage sei "eindeutig und für die Grenzsicherung vollkommen ausreichend", hieß es weiter in der Erklärung. Grenzsicherung müsse "im Rahmen der bestehenden Gesetze und streng nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit erfolgen".

Damit räumte Petry auch ein, dass ein Schießbefehl auf Flüchtlinge keinesfalls rechtskonform wäre, wie sie zuvor behauptet hatte. Zurückgerudert war zuvor auch die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch. Sie hatte sich auf ihrer Facebookseite zunächst dafür ausgesprochen, dass der Schießbefehl auch für Frauen und Kinder gelten sollte; nach einem Aufschrei in den sozialen Medien schränkte sie ein: auf Kinder nein, auf Frauen ja.

AfD bei 12 Prozent

Die radikale Rhetorik ist zumindest teilweise dem Wahlkampf geschuldet. In den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt werden am 13. März die Landesparlamente neu bestimmt, die AfD ist deutlich im Aufwind. Im ostdeutschen Sachsen-Anhalt kann sie laut Umfragen gar mit 15 Prozent der Stimmen rechnen. Bundesweit hätte die AfD derzeit beste Chancen, die Linkspartei als drittstärkste Kraft abzulösen. Laut Emnid-Sonntagstrend, der für die "Bild am Sonntag" erhoben wird, stehen die Rechtspopulisten bei einem Rekordwert von zwölf Prozent, die Linkspartei bei zehn Prozent. Die Union hingegen sackt auf 34 Prozent ab - den schlechtesten Wert seit Juli 2012; die SPD bekäme 24 Prozent.

Wie umgehen mit einer Parteien, deren radikales Gedankengut mit dem Selbstverständnis eines modernen demokratischen Rechtsstaates nur schwer zu vereinbaren sind, die angesichts der Flüchtlingskrise aber immer populärer wird? Österreich kennt diese Debatte hinlänglich. Nun wird sie auch in Deutschland heftig geführt. Die CDU setzt dabei auf eine inhaltliche Konfrontation. Eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz hält man dort - anders als bei der Linkspartei im Jahr 2012 - hingegen für kontraproduktiv. CDU-Vizeparteichefin Julia Klöckner, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz werden will, gab die Parole aus, die AfD sei nur durch Gegenargumente zu entzaubern. Anders sieht man das in der SPD-Führung, wo man den Rechtspopulisten jetzt den Verfassungsschutz an die Fersen heften will. Einige Experten hatten dies schon länger gefordert. Erst am Montag warf der deutsche Extremismusforscher Hajo Funke den etablierten Parteien vor, die AfD, die mittlerweile eine offen rechtsradikale Partei sei, zu lange verharmlost zu haben.