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Das schwarze Schaf in der Duma

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik
"Mister Njet" - der russische Oppositionelle Dmitrij Gudkow in seinem Büro. Der Chef hat gute Laune, steht auf dem Schildchen.
© Brunner

Dmitrij Gudkow ist der einzig verbliebene Oppositionelle im russischen Parlament.


Moskau. Der zottelige "Tarzan" zerrt an der Leine, fletscht die Zähne. Der kaukasische Schäferhund lässt sich selbst vom tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, der sich gerne als harter Tierbändiger inszeniert, kaum noch halten. Ausländische - vor allem amerikanische - Rassen mag der Schäferhund so gar nicht leiden, so der Kommentar unter dem Kadyrow-Foto auf Instagram: "Heuchler erkennt er sofort." Aber der Geruch von "Moskauer Rüden" bringe sein Blut erst so richtig in Wallung.

Ein derber Scherz - oder doch eine unverhohlene Drohung? Vor allem auf die liberale Opposition hatte sich der tschetschenische Präsident zuletzt so richtig eingeschossen. Der Oppositionelle Dmitrij Gudkow konterte seinerseits mit einem Foto: beim Schmusen mit seiner flauschigen Tibetdogge. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Die Kunst des Konters beherrscht Gudkow nicht nur symbolisch, sondern auch sportlich: Der knapp Zwei-Meter-Hüne hat in der russischen Jugend-Nationalmannschaft Basketball gespielt. Der 36-Jährige gilt als der letzte verbliebene Oppositionspolitiker im Parlament, der konsequent gegen die Gesetze der Regierung stimmt. Die "Moscow Times" adelte ihn zuletzt zum "Mister Njet". Auf die Drohungen von Kadyrow angesprochen, gibt sich der dreifache Familienvater gelassen. "Ich habe mich schon lange an solche Drohungen gewöhnt."

Die Mehrheit schweigt

Heute verbringt er seine Mittagspause in einem Pub nahe dem Parlament, er gibt sich hemdsärmelig. Die Mehrheit der Abgeordneten in der Duma würde eigentlich mit seinen Positionen sympathisieren - aber schweigen. "Sie wollen keine Eskalation, denn immerhin wollen sie Teil einer globalen Gemeinde sein", sagt Gudkow. "Aber von ihnen hängt nun mal nichts ab. Sie spielen einfach ihre Rolle."

Dass das nicht so bleiben wird, davon ist Gudkow allerdings überzeugt. "Bis jetzt stand der Kampf gegen den Terrorismus und gegen den Westen auf der Agenda", sagt er. "2016 werden die Menschen aber merken, dass sie Propaganda nicht essen können." Gudkows Prognose: "Spätestens 2017 wird der Kühlschrank über den Fernseher siegen."

Gudkow glaubt, erste Risse in der Putin-Allianz zu sehen. Zuletzt mussten mit Wladimir Jakunin und Wjatscheslaw Gaiser zwei ausgesprochen kremltreue Funktionäre ihre Posten räumen. "Die Message ist klar: Jetzt kann es jeden treffen", sagt Gudkow. Je unvorhersehbarer die Aktionen, desto größer die Spaltung in der Elite, glaubt Gudkow. Was das bedeuten könnte? Gudkow zuckt die Achseln. "Im besten Fall ein Staatsstreich", sagt er. "Im schlimmsten Fall ein Bürgerkrieg."

Das sehen freilich längst nicht alle so - wenngleich sich zuletzt ein zunehmend apokalyptischer Ton unter Kreml-Kritikern breitgemacht hat:. "Ich sehe weder die Möglichkeit für eine Palastrevolution noch für einen Volksaufstand", so der liberale Ökonom Wladislaw Inosemzew in einem Interview. "Das System wird von selbst zusammenbrechen."

Gudkow wurde 2011 auf der Parteiliste der kremlnahen Partei "Gerechtes Russland" in die Duma gewählt. Er gehörte mit seinem Vater Gennadij Gudkow damals zu einem der Köpfe der Protestbewegung am Bolotnaja-Platz gegen Wahlfälschung und eine dritte Amtszeit Putins. "Ich habe nicht plötzlich beschlossen, ein Oppositioneller zu sein", sagt Gudkow heute. "Sondern das Regime hat beschlossen, sich zu radikalisieren."

2013 reiste Gudkow in die USA und hielt bei einer Veranstaltung der NGO "Freedom House" eine kritische Rede über das System Putin. Der nationalistische Politiker Wladimir Schirinowski forderte daraufhin, Gudkow festzunehmen. Gudkow wurde aus der Partei ausgeschlossen und ist nun parteilos in der Duma. "Es gibt einen Kampf mit den USA", sagt Gudkow. "Aber nur im Kopf von Wladimir Putin."

Gudkow pflegt beste Kontakte zur sogenannten "nicht-systemischen Opposition", also jenen Kreml-Gegnern, die vom politischen Prozess weitgehend ausgeschlossen sind, wie Alexej Nawalnij, der ehemals inhaftierte Oligarch Michail Chodorkowski oder der vor einem Jahr ermordete Boris Nemzow. In der Duma ist es allerdings einsam um Gudkow geworden. Ilja Ponomarjow, der als Einziger in der Duma gegen die Annexion der Krim gestimmt hatte, ist in die USA geflohen. In Russland wird ihm wegen Unterschlagung der Prozess gemacht. Anders als Ponomarjow hatte sich Gudkow damals bei der Abstimmung zur Krim enthalten. "Das war ein sanfter Protest", erklärt Gudkow heute. "Völkerrechtlich war das eine Annexion - das ist klar. Aber ich wollte zugleich die Menschen auf der Krim nicht vor den Kopf stoßen", so Gudkow weiter. "Ich wollte die Regierung und nicht die Leute anfechten."

Wenige Monate später schickte Gudkdow jedoch eine Anfrage an das russische Verteidigungsministerium, ob und wie viele russische Soldaten an der Operation in der Ostukraine teilnehmen, wie viele Soldaten zuletzt verwundet wurden oder gestorben sind - und ob ihnen Geld angeboten wird, ,"als Gegenleistung, um zu schweigen". Die Anfrage wurde mit Verweis auf den Datenschutz abgeschmettert.

Als "Mister Njet" ist ihm in der Duma jedes Mittel recht. 2012 versuchte er mit seinem Kollegen Ilja Ponomarjow durch Dauerreden eine Abstimmung zur Verschärfung des Demonstrationsrechts zu blockieren - der erste Filibuster in der Geschichte des russischen Parlaments. Mehr als drei, vier Abgeordnete kann Gudkow aber kaum für seine Abstimmungen zusammentrommeln. Damit ist die "Gudkow Show" somit vor allem eines: ein absolutes Minderheitenprogramm. "Der Kreml weiß, dass es viel einfacher ist, Gudkow in der Staatsduma zu lassen", so der russische Politologe Dmitrij Oreschkin zur "Moscow Times". "Gudkows Initiativen können sehr einfach neutralisiert werden."

Weiße und schwarze Schafe

Anders erging es indes Gudkows Vater Gennadij, selbst viele Jahre Duma-Abgeordneter. 2012 wurde ihm sein Abgeordnetenmandat entzogen, eine von der Familie betriebene Sicherheitsfirma verlor die Lizenz, was ebenso mit der zunehmend oppositionellen Tätigkeit der Familie in Verbindung gebracht wird. Durch die Geheimdienstvergangenheit des Vaters - Gudkow senior ist Ex-KGB-Offizier - sahen sich die Gudkows oft dem Vorwurf ausgesetzt, nur Schein-Oppositionelle zu sein.

Gudkow weist das entschieden zurück. Er sei selbst Opfer von Geheimdienst-Intrigen gewesen. Bei einem Wahlkampf sollen seinem damaligen Parteichef Informationen des Geheimdienstes zugespielt worden sein, wonach sich Gudkow mit örtlichen Kriminellen in seinem Wahlkreis getroffen habe. "Eine typische Methode, um mich zu diskreditieren."

Die schlagfertige Verteidigung ist Gudkow inzwischen zur Gewohnheit geworden. Ein Abgeordneter der Regierungspartei "Einiges Russland" beschimpfte Gudkow zuletzt als "schwarzes Schaf". "Ich finde, dass ich eigentlich weiß bin", sagt Gudkow, "und alle anderen schwarz."