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Teure Abschottung

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Ende von Schengen würde EU binnen zehn Jahren bis zu 1,4 Billionen Euro kosten - und Österreichs Wirtschaft wäre besonders betroffen.


Brüssel. Ein Kollaps des Schengen-Systems würde die EU teuer zu stehen kommen. Zwar gibt es mittlerweile unterschiedliche Berechnungen, wie viel die Wiedereinführung permanenter Kontrollen an nationalen Grenzen kosten würde. Doch alle Studien sprechen von Verlusten in Höhe von Milliarden Euro. Die EU-Kommission schätzte noch vor kurzem, dass systematische Überprüfungen in der Union bis zu 18 Milliarden Euro pro Jahr verschlingen würden. Das dürfte allerdings eine vorsichtige Schätzung sein. Länderspezifische Untersuchungen gehen nämlich von weiter reichenden Konsequenzen aus.

So würde allein Frankreich bis zu zehn Milliarden Euro jährlich verlieren, prognostiziert die regierungsnahe Denkfabrik France Strategie. Einen ähnlich hohen Schaden befürchtet die deutsche Wirtschaft. Und die Wirtschaftskammer Österreich schätzt die zusätzlichen Kosten allein im Warenverkehr auf mindestens 1,2 Milliarden Euro. Sollten die Grenzkontrollen an allen Autobahn-Übergängen wieder stattfinden, würde die Summe gar auf gut zwei Milliarden Euro steigen.

Von einem Zusammenbruch des Schengen-Raums wäre Österreich denn auch besonders betroffen. Zu diesem Schluss kommen ebenfalls die Autoren einer aktuellen Untersuchung im Auftrag der deutschen Bertelsmann Stiftung. Auch auf die Volkswirtschaften Spaniens und des Nicht-Schengen-Mitglieds Großbritannien wären die negativen Auswirkungen stark. Das österreichische Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde demnach - wie das spanische - um bis zu 1,4 Prozent bis zum Jahr 2025 an Wachstum verlieren, das britische sogar mehr.

Generell wären die Wohlstands- und Wachstumseinbußen massiv, heißt es in dem Papier. Für Deutschland würden sie in den kommenden zehn Jahren mindestens 77 Milliarden Euro betragen. Und das entspricht der konservativen Annahme, dass die dortige Wirtschaft um 0,03 Prozentpunkte weniger wachsen würde. Die pessimistische Variante geht sogar von einer Senkung des BIP-Wachstums um 0,08 Prozentpunkte aus - und beziffert die Einbußen mit 235 Milliarden Euro.

"Bürger zahlen Rechnung"

Die dementsprechenden Schätzungen für die EU belaufen sich auf rund 470 Milliarden bis etwa 1,4 Billionen Euro bis 2025. Um so viel niedriger würde die Wirtschaftsleistung der Union ausfallen. Dieser Wert entspreche fast der Wirtschaftsleistung Italiens im Vorjahr, betonen die Studienautoren.

Als Hauptgründe dafür nennen sie Kosten- und Preissteigerungen. Beispielsweise muss die Transportbranche mit zusätzlichem finanziellen Aufwand wegen der Wartezeiten an den Grenzen rechnen. Länder mit hohen Importquoten wiederum müssten für die Waren höhere Preise zahlen.

Gleichzeitig weist die Bertelsmann Stiftung auf weitere ökonomische Auswirkungen hin, etwa für den Tourismus. So dürfte bei EU-Bürgern der sich "durch effektive Grenzkontrollen ergebende Zeitverlust zumindest bei Kurzreisen und Tagestouristen zu einem Rückgang führen". Ebenso betroffen wären Pendler.

Wie hoch aber die gesellschaftlichen Kosten wären, wenn einer der größten Vorteile der Union wegfiele, lasse sich gar nicht beziffern. Eines ist für den Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, Aart De Geus, jedoch klar: Wenn die Schlagbäume an den Binnengrenzen Europas wieder runtergehen, werden die Bürger die Rechnung dafür zahlen.