Brüssel. Politik des Durchwinkens - in den EU-Debatten um Lösungen in der Flüchtlingskrise hat sich diese Formulierung in den vergangenen Wochen immer mehr durchgesetzt. Und schon knüpft sich daran der nächste Streit. Wer hat damit begonnen, wer, wie und wann soll es stoppen? Denn darüber, dass das "Durchwinken" der Schutzsuchenden entlang der Balkan-Route beendet werden soll, herrscht Einigkeit unter den Mitgliedstaaten. Bei ihrem Gipfeltreffen in der Vorwoche hielten das die EU-Staats- und Regierungschefs in ihrer Schlusserklärung einmal mehr fest.

Doch wie das Ziel erreicht werden soll, löst heftige Zwistigkeiten zwischen den Ländern aus - zuletzt zwischen Österreich und Griechenland. Dass die Österreicher Tageskontingente bei der Einreise und Durchreise von Asylwerbern eingeführt und eine Balkan-Konferenz ohne Beteiligung der Griechen abgehalten hatten, sorgte zwar auch in Deutschland für Kritik. Doch Athen ging noch einen Schritt weiter: Es rief seine Botschafterin aus Wien zurück. Damit ist es auch noch nicht getan: Der Streit soll nicht nur auf bilateraler, sondern ebenfalls auf EU-Ebene ausgetragen werden. Premier Alexis Tsipras drohte schon damit, Beschlüsse der Gemeinschaft zu blockieren, solange die Vereinbarungen über die Umverteilung von Flüchtlingen in Europa nicht eingehalten werden.

Freilich ist Griechenland selbst an der Nicht-Umsetzung beteiligt. Eine Voraussetzung für die Realisierung der EU-Pläne zur Umsiedlung der Asylwerber ist nämlich das Funktionieren der so genannten Hot Spots, der Erstaufnahmezentren, in denen die Ankommenden registriert werden. Deren Einrichtung verzögerte sich aber immer wieder. Ebenso liefern die Einwände der Griechen, sie können die Seegrenzen nicht abriegeln, anderen Staaten wiederum das Argument, dass sie sich eben selbst um die Sicherung der Grenzen kümmern müssen.

Druck auf Ankara wächst

Genau darauf verwies die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bei einem Treffen mit ihren EU-Amtskollegen in Brüssel. Und so kam wieder das "Durchwinken" zur Sprache. Damit hätte nämlich Griechenland begonnen, meinte die Politikerin. Von dort würden die Flüchtlinge einfach weitergeschickt. "Und wenn Griechenland nicht in der Lage oder bereit, ist die EU-Außengrenze zu schützen, müssen andere das Heft in die Hand nehmen", erklärte Mikl-Leitner.

Dementsprechend gelassen kommentierte sie die Abberufung der griechischen Botschafterin. Offensichtlich komme Bewegung in die Debatte, befand die Ministerin. Wien selbst will auf andere Weise Druck ausüben, nicht zuletzt auf Griechenland: mit den Maßnahmen zum eigenen "Grenzmanagement" sowie der Kooperation mit einigen EU- und Balkan-Staaten zur Unterstützung der mazedonischen Behörden. Das soll "der Anfang vom Ende des Durchwinkens" sein, stellte Mikl-Leitner fest.

Ihr deutscher Amtskollege Thomas de Maiziere vertritt da eine andere Meinung. "Einseitige nationale Maßnahmen verlagern die Probleme nur", betonte er. Berlin setzt vor allem auf eine Zusammenarbeit mit der Türkei, mit der die EU einen Aktionsplan vereinbart hat. Für eine Eindämmung der Flüchtlingsströme sind die Europäer zu finanziellen und politischen Zugeständnissen an Ankara bereit.

Allerdings soll das Tempo bei der Umsetzung des Abkommens beschleunigt werden. In gut einer Woche, am 7. März, kommen die Staats- und Regierungschefs zu einem Sondertreffen mit ihrem türkischen Amtskollegen zusammen. Bis dahin soll es bereits Fortschritte geben. Die EU wolle einen "drastischen Rückgang" der Flüchtlingszahlen sehen, stellte de Maiziere klar. Andernfalls müssten "alternative Maßnahmen" ergriffen werden. Die Zahl der Übertritte aus der Türkei ist in den vergangenen Tagen jedoch wieder gestiegen: Laut Grenzschutzagentur Frontex waren es im Schnitt an die 3100 Menschen täglich.

Nato-Einsatz beginnt

Zumindest im Kampf gegen Schleuser soll die Türkei - aber auch Griechenland - schon bald Unterstützung von der Nato bekommen. Der Einsatz des Militärbündnisses zur Ortung von Flüchtlingstransporten in der Ägäis soll nämlich in den kommenden Tagen beginnen. Der Schiffsverband unter Führung Deutschlands soll die türkische und griechische Küstenwache sowie Frontex alarmieren, wenn Schlepperboote von der Türkei aus ablegen. Bei einer Rettung aus Seenot wiederum kann er die Menschen in die Türkei zurückbringen.

Doch auch die EU selbst will die Kontrollen an den Außengrenzen verschärfen - auch wenn die nun von den Innenministern beschlossene Regelung eher der Bekämpfung des Terrorismus geschuldet ist. Nach den Anschlägen in Paris im Vorjahr wurden strengere Bestimmungen für die Einreise gefordert, unter anderem um militante Syrien-Rückkehrer zu identifizieren. Künftig sollen daher auch EU-Bürger an den Außengrenzen systematisch überprüft werden. An Flughäfen soll eine halbjährige Übergangsfrist gelten, nachdem die Regeln in Kraft getreten sind. Zuerst muss aber das EU-Parlament seine Zustimmung geben.

Wissen: Diplomatische Usancen

Das Einbestellen des Botschafters ist ein in der Diplomatie durchaus übliches Instrument förmlicher
Kommunikation. Üblicherweise zitiert eine Regierung freilich Diplomaten
aus autokratischen oder diktatorischen Staaten auf diese Weise ins
Außenministerium. Dabei spielen aber meist auch innenpolitische Faktoren
eine Rolle, eine Regierung signalisiert damit auch der eigenen
Bevölkerung, dass sie ein bestimmtes Streitthema zwischen zwei Staaten
sehr ernst nimmt. Es gibt auch eine Vorstufe zur förmlichen
Einbestellung: nämlich den Botschafter zu einem Gespräch zu bitten. 2013
zitierten wegen der NSA-Spionage neben Deutschland auch Frankreich,
Spanien, Mexiko und Brasilien den jeweiligen US-Botschafter in ihr
Außenministerium.

Den Botschafter zu Konsultationen zurückrufen:
Das geschieht, um dem Gastgeberland des Botschafters Unmut zu
signalisieren. Die Maßnahme soll eigentlich dazu dienen, dass die
Vertreter des Außenministeriums sich in der Hauptstadt mit dem
Botschafter beraten, in einer Zeit abhörsicherer Telekonferenzen hat die
Maßnahme eher Symbolcharakter. Im April 2015 hat die türkische
Regierung aus Protest gegen die Erklärung des österreichischen
Nationalrats zum Völkermord an den Armeniern 1915 ihren Botschafter
Mehmet Hasan Gögüs zu Konsultationen nach Ankara zurückbeordert. Genau
diesen Schritt hat die Regierung des griechischen Premierministers
Alexis Tsipras gewählt, um den Unmut über die Nichteinladung
Griechenlands zur Balkan-Konferenz am Mittwoch kundzutun.

Der nächste Eskalationsschritt ist die Ausweisung eines Botschafters, der letzte diplomatische Schritt ist der Abbruch der diplomatischen Beziehungen.
Im Fall Syrien hat die deutsche Bundesregierung nach dem Massaker von
Al-Hula, bei dem im Mai 2012 über 100 Menschen getötet und mehr als 300
verletzt wurden den syrischen Botschafter ausgewiesen. Großbritannien,
Frankreich, Italien und Spanien haben dies ebenfalls getan. Das deutsche
Außenministerium ließ damals die diplomatischen Beziehungen zu Syrien
auf ein Minimum reduzieren - dabei ist es bis heute geblieben. Ein völliger Abbruch der diplomatischen Beziehungen ist
das stärkste Signal in der Diplomatie, das jedoch selten angewandt
wird, weil dann die diplomatischen Kanäle versiegen. So hat Österreich
diplomatische Beziehungen mit Saddam Husseins Irak oder Khomeinis Iran
unterhalten und hat intakte diplomatische Beziehungen mit Nordkorea oder
Syrien. Die diplomatischen Signale, wie eben das Einbestellen eines
Botschafters hat heute - im Gegensatz zur Zeit der Kabinettsdiplomatie
der Vergangenheit - eine nur mehr geringe Bedeutung, da
Regierungsvertreter Möglichkeiten der direkten Kommunikation nützen.