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Schwarze Schafe

Von WZ-Korrespondent Oliver Pfadenhauer

Politik

Juristen sehen in der jüngsten Initiative der rechtspopulistische Schweizer Volkspartei einen Angriff auf den Rechtsstaat.


Zürich. Kriminelle sind nirgends willkommen. Dennoch teilt die in der Schweiz bevorstehende Volksabstimmung über den automatischen Landesverweis straffälliger Ausländer die Bevölkerung. Sah es lange so aus, als ob die rechtspopulistische SVP - die wählerstärkste Partei der Schweiz - mit ihrer Volksinitiative "Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer" (Durchsetzungsinitiative) einen klaren Sieg davontragen würde, zeichnet sich nach einem für Schweizer Verhältnisse ausgesprochen emotionalen Abstimmungskampf ein knappes Resultat ab.

"Mehr Sicherheit für alle"

Geht es nach dem Willen der SVP, sollen in der Schweiz lebende Ausländer, die wegen Gesetzesverstößen verurteilt werden, unabhängig von der Schwere der Tat und der Höhe der Strafe automatisch des Landes verwiesen werden. Die Regierung und das Parlament lehnen das Begehren ab. "Die Initiative bricht mit Grundregeln unserer Demokratie", begründet die Regierung ihre Haltung. "Erstens umgeht sie das Parlament, indem sie detaillierte Bestimmungen über die Ausschaffung direkt in die Verfassung schreiben will." Gesetze zu erlassen sei jedoch die Aufgabe des Parlaments. Zweitens wolle die Initiative auch die Befugnisse der Gerichte massiv einschränken: "Bei einer Annahme der Initiative könnten die Gerichte nicht mehr auf Besonderheiten eines Falls eingehen; auch schwere persönliche Härtefälle würden nicht mehr berücksichtigt." Die Initianten hingegen argumentieren mit "mehr Sicherheit für alle". Ihrer Ansicht nach wurde die Ende 2010 von den Schweizer Bürgern angenommen SVP-Initiative "Für die Ausschaffung krimineller Ausländer" (Ausschaffungsinitiative) nicht nach dem Willen des Volkes umgesetzt. Mit der so genannten Durchsetzungsinitiative will die SVP ihre Vorstellung, wie die Ausschaffungsinitiative umgesetzt werden soll, in die Schweizer Bundesverfassung schreiben.

In der Regel wird die gesetzliche Ausgestaltung einer angenommenen Initiative vom Parlament beschlossen, sodass es zu keiner Verletzung von anderen Verfassungsbestimmungen oder von völkerrechtlichen Verträgen kommt. Bei der Durchsetzungsinitiative sind allerdings die Ausführungsbestimmungen bereits konkret formuliert, womit sie bei einer Annahme durch das Schweizer Stimmvolk direkt wirksam würden. Gegenüber der Ausschaffungsinitiative wurde der Katalog der Delikte, die zwingend zum Landesverweis führen, erheblich erweitert. Nebst schweren Straftaten wie vorsätzliche Tötung, Vergewaltigung und Raub sind nunmehr auch leichtere Tatbestände wie Sozialmissbrauch und Hausfriedensbruch in Verbindung mit Sachbeschädigung aufgeführt. Im Fall der leichteren Delikte sieht die Durchsetzungsinitiative den automatischen Landesverweis bei Wiederholungstätern vor, die in den vergangenen zehn Jahren bereits einmal zu einer rechtskräftigen Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden sind.

Für die Schweiz steht viel auf dem Spiel. Auf den ersten Blick sieht die von der SVP angestrebte weitere Verschärfung des Ausländerrechts harmloser aus als sie ist. Bei Annahme der Durchsetzungsinitiative müssen allerdings die in der Schweiz lebenden Ausländer bereits bei geringsten Vergehen mit Landesverweis rechnen: "Bei einer Annahme der Durchsetzungsinitiative wäre es zum Beispiel möglich, dass ein in der Schweiz geborener Ausländer, der wegen einer Geldstrafe von wenigen Tagessätzen verurteilt wird, des Landes verwiesen würde", kritisiert beispielsweise die "Neue Zürcher Zeitung".

Handelte es sich obendrein um einen EU-Bürger, würde die Schweiz nicht nur gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder den Uno-Pakt II verstoßen, sondern auch gegen das Personenfreizügigkeitsabkommen, führt die renommierte Zeitung weiter aus. Denn in diesem ist festgehalten, dass ein Bürger eines Vertragsstaats nicht wegen eines Bagatelldelikts ausgewiesen werden darf.

Zwingende Abschiebung

Die Durchsetzungsinitiative verlangt, dass Ausländer bei einem schweren oder zwei kleinen Delikten zwingend abgeschoben werden.

Die Kritiker der Initiative argumentieren, dass das Gefährliche an der Durchsetzungsinitiative sei, dass sie die Rechtsstaatlichkeit aufweichen würde. Die Schweizer Zeitung "Tages-Anzeiger" warnt denn auch davor, dass ein automatischer Landesverweis, wie ihn die Durchsetzungsinitiative will, zu einem radikalen Systemwechsel bei drei Institutionen, die für ein funktionierendes Land unabdingbar sind, führen würde: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschenrechte.

Ein Großteil der Schweizer Rechtsprofessoren pflichtet dem bei. Nach ihrem Ermessen würde durch die Durchsetzungsinitiative das richterliche Ermessen bei der Beurteilung der ausländerrechtlichen Konsequenzen von Straftaten vollständig ausgeschaltet. "Die Gerichte sollen verpflichtet werden, ohne Rücksicht auf die betroffene Person, ihre persönlichen Verhältnisse und die Höhe der Strafe die Ausweisung von straffälligen Ausländerinnen und Ausländern zu verfügen", schreiben die Rechtsprofessoren in einem Anfang Jahr lancierten Manifest. Den Richterinnen und Richtern werde dadurch verboten, ihrer ureigenen Pflicht zur Berücksichtigung der gesamten Umstände nachzukommen.

"Damit werden die von der Bundesverfassung gewährleisteten Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns aus den Angeln gehoben, insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip, die Gewaltenteilung und die Geltung der Grundrechte in der gesamten Rechtsordnung", geben die Rechtsprofessoren zu bedenken. Die Initiative stehe auch im Widerspruch zu völkerrechtlichen Verträgen, vor allem zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zum Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union.

In der Schweiz kommt es sehr selten vor, dass sich die Professorenschaft in eine Abstimmung einmischt. Bei der Durchsetzungsinitiative hat sie die Wirkung nicht verfehlt. Mit ihrem Manifest haben die Rechtsprofessoren die Diskussion über den Inhalt der Initiative Anfang Jahr erst richtig angefacht und den Initianten der Befürwortern der Initiative den Wind aus den Segeln genommen.

Interesse sprunghaft gestiegen

Nachdem sich im Januar gemäß Abstimmungsumfragen noch eine Mehrheit für die Durchsetzungsinitiative ausgesprochen hatte, holten die Gegner mächtig auf. Das Interesse an der Abstimmung ist sprunghaft gestiegen. Es wird mit einer Stimmbeteiligung von bis zu 70% gerechnet. Meist beträgt sie weniger als 50%.

Vielen Schweizern ist offenbar bewusst geworden, dass die Durchsetzungsinitiative mehr Schaden als Nutzen bringt. Denn sie unterscheidet sich außer beim Automatismus des Landesverweises nicht wesentlich von den beschlossenen Gesetzesänderungen im Rahmen der Ausschaffungsinitiative. Das Parlament hat den Katalog der Delikte, die zwingend zum Landesverweis führen, erweitert. Im Sinne des Verfassungsprinzips der Verhältnismäßigkeit wurde aber eine Härtefallklausel eingebaut: Das Gericht darf demnach in besonderen Ausnahmefällen auf eine Ausweisung verzichten.