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"Iglesias ist ein präpotenter Zyniker"

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

Spanien findet keine Regierung. Das liegt laut dem Politologen Antonio Elorza auch daran, dass mit dem linken Senkrechtstarter Pablo Iglesias und seiner Podemos kein Staat zu machen ist.


"Wiener Zeitung": Am kommenden Mittwoch sucht der Sozialist Pedro Sánchez im spanischen Parlament eine Mehrheit für seine Ernennung zum neuen Regierungschef. Hat er eine Chance?Antonio Elorza: Nein. Die konservative Volkspartei PP und die linksextreme Podemos werden gegen ihn stimmen. Nur mit den liberalen Ciudadanos wird er keine ausreichende Mehrheit finden.

Das "No" der Konservativen war zu erwarten. Doch Podemos hat sich - wie zuvor angekündigt - erst nach dem jüngsten, aber für alle Parteien offenen Regierungspakt zwischen Sozialisten und Liberalen von den Koalitionsverhandlungen mit Sánchez zurückgezogen. War der Pakt für Sánchez ein Eigentor?

Sánchez wäre lieber einen Pakt mit Podemos eingegangen, wenn diese vernünftige Forderungen vorgebracht hätten; zumal auch die meisten sozialistischen Parteianhänger einen Mitte-Links-Pakt bevorzugen. Der Pakt mit Ciudadanos war aber unbedingt notwendig, auch wenn er nutzlos erscheint. Es war eine Reaktion auf die unannehmbaren, extremistischen Forderungen von Podemos-Chef Pablo Iglesias, der gemäß seinem Vorbild Hugo Chávez (Venezuelas Ex-Präsident, Anm.) sogar Medien und Justiz stärker kontrollieren will und mit seiner linken Wirtschaftspolitik den direkten Konflikt mit der Europäischen Union sucht. Sánchez stand vor der Wahl, sich diesen Forderungen zu fügen oder in eine andere Richtung zu schauen.

Hört sich an, als hätte Sánchez damit Europa vor einer Regierung a la Syriza bewahrt, die in Brüssel, Berlin und Wien schon für viel Unmut sorgte. . .

Absolut. Wobei selbst Syriza im Vergleich zu Podemos noch eine seriöse Partei ist. Pablo Iglesias und seine Partei haben keine Ahnung von machbarer Wirtschaftspolitik. Podemos fordert ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien, sagt aber gleichzeitig, die Katalanen danach überzeugen zu wollen, sich nicht von Spanien abzuspalten. Das ist kein seriöses Regierungsprogramm, sondern eine linkspopulistische Marketingaktion.

Hätte Sánchez Podemos in einer Regierungskoalition nicht bändigen können?

Wohl kaum. Zumal Pablo Iglesias eigentlich gar keine Allianz sucht. Offiziell sagt er, mit den Sozialisten endgültig die Konservativen, die Rechte, aus der Macht vertreiben zu wollen. Aber für Podemos sind die eigentlichen politischen Gegner die Sozialisten. Man möchte die Sozialisten als politische Alternative auf der Linken eliminieren. Wie? Indem man mit ihnen eine Koalition bildet und sie absorbiert. So haben sämtliche kommunistische Parteien seit den 1930er Jahren agiert.

Warum hat Podemos dann durch die aggressive Aufrechterhaltung der für die Sozialisten unannehmbaren Forderungen einen Regierungspakt verspielt?

Das hat mich auch überrascht. Vielleicht hat Iglesias mit seinem Mix aus Schach und Kickboxen die Karten einfach zu früh auf den Tisch gelegt. Das liegt in seiner Art. Ich kenne ihn gut. Wir unterrichten in der selben Uni-Fakultät Politik. Er ist ein selbstverliebter, präpotenter Zyniker, der Protagonismus braucht und davon überzeugt ist, immer Recht zu haben.

Spielt hier nicht auch der Blick auf Neuwahlen eine besondere Rolle?

Natürlich! Podemos befindet sich bereits im Wahlkampfmodus. Sollte Sánchez wie erwartet keine Regierungsmehrheit finden, können sie bei Neuwahlen im Juni mit mehr Stimmen als bisher rechnen, die Sozialisten überholen und als zweitstärkste Partei als politische Alternative gegen eine von Korruptionsskandalen aufgebrauchte Rechte antreten.

Auch die Konservative Volkspartei vom noch amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy scheint auf Neuwahlen zu spekulieren.

Das stimmt. Sie haben die absolute Mehrheit verpasst und fanden aufgrund ihrer bisherigen Politik und der zahlreichen Korruptionsskandale keine Bündnispartner. Ihr Kalkül: Wenn Podemos in den Wahlprognosen die Sozialisten überholt, kann Rajoy seine Kampagne unter dem Motto "Ich oder das Chaos" verkaufen. Diese Strategie hätte mit Sicherheit aufgehen können. Viele der unzufriedenen PP-Wähler, die am 20. Dezember bei den Parlamentswahlen zu den liberal-konservativen Ciudadanos wechselten, hätte er damit zurückgewinnen können.

Warum "hätte"? Ist es jetzt nicht mehr möglich?

In den vergangenen Wochen wurde ein Ausmaß an Korruption in der PP bekannt, das Rajoy sehr viele Stimmen kosten wird. Andererseits werden Sozialisten und die Liberalen zulegen. Sie haben durch den Pakt gezeigt, dass sie die einzigen Parteien sind, die um Lösungen bemüht sind. Das bringt Pluspunkte.

Warum ist in Spanien eigentlich keine Große Koalition wie in Österreich möglich?

Das Zwei-Parteiensystem, in dem sich Konservative und Sozialisten 40 Jahre lang an der Macht abwechselten, hat zu einer derart tiefen Feindschaft zwischen beiden großen Volksparteien geführt, dass eine Große Koalition kaum vorstellbar ist. Vor allem ist es aber Rajoy, der ein Zusammengehen mit Sánchez nicht will. Für Rajoy ist es eine Frage der Ehre. Als meistgewählte Partei nicht regieren zu können, verärgert hin. Er hat von den Sozialisten Unterstützung gefordert. Rajoy ist ein Politiker, der nicht regiert, sondern befiehlt - hier ähnelt er sehr Diktator Franco und Pablo Iglesias.

Aber Rajoy bot den Sozialisten doch eine Große Koalition zusammen mit Ciudadanos an.

Man wusste aber, dass Sánchez und die Sozialistische Arbeiterpartei dies ablehnen müssen, um politisch zu überleben. Man ging nicht davon aus, dass Sánchez tatsächlich eine Koalition mit Podemos suchen würde, nachdem es Rajoy aufgrund fehlender Bündnispartnern ablehnte, eine Regierungsmehrheit zu suchen. Man spekulierte auf die direkte Ausrufung von Neuwahlen.

Und wie geht es jetzt weiter? Alle Umfragen sagen voraus, die politischen Kräfteverhältnisse ändern sich kaum bei Neuwahlen.

Gute Frage, die ich nicht beantworten kann. Spaniens Politiker hatten die moralische Verantwortung, sich zu verständigen. Ein Land, das sich erst langsam von der Wirtschaftskrise erholt, kann es sich nicht leisten, aufgrund parteipolitischer Streitigkeiten so lange ohne Regierung zu sein.

Zum Autor

Antonio Elorza

ist Politikprofessor an der Madrider Complutense Universität und Kolumnist der international renommierten spanischen Tageszeitung "El País".