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Der Dschihad der Rückkehrer

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

EU-Bürger, die aus Syrien und dem Irak wiederkommen, sind die Strippenzieher des Terrors in Europa.


Bagdad. Die Spur der Tatverdächtigen für die Brüsseler Anschläge reicht immer weiter. Neben den Festnahmen in Belgien und Frankreich gibt es nun auch Inhaftierungen in Deutschland, die im Zusammenhang mit Brüssel stehen. Die Verzahnung der Täter wird somit deutlich, die Vermutung eines Terrornetzwerkes innerhalb Europas immer wahrscheinlicher. Über Kontinente hinweg greift die gleiche tödliche Strategie, herrscht dasselbe Gedankengut. Denn die meisten der Gefassten sind EU-Bürger, Rückkehrer aus dem Dschihad in Syrien und dem Irak.

Najim Laachraoui steht prototypisch für sie: Der 24-Jährige ist einer der Selbstmordattentäter von Brüssel. Er sprengte sich in der Abflugshalle des Flughafens in die Luft und riss dort gemeinsam mit einem weiteren Selbstmordattentäter elf Menschen mit in den Tod. Die belgische Staatsanwaltschaft bestätigte am Freitag Laachraouis Täterschaft. Schon seit Monaten wurde er von den Behörden gesucht - genau gesagt seit den Anschlägen in Paris am 13. November 2015. Französische Ermittler haben seine DNA-Spuren auf Bombenmaterial gefunden, das die Terroristen in Paris nutzten.

Katholische Schule besucht

Die Dschihad-Biografie Laachraouis ist mittlerweile weitgehend bekannt. In Syrien wurde der Belgier zum Sprengstoffexperten geschult. Seine Ausbildung zum Elektrotechniker absolvierte der 24-Jährige an einer katholischen Schule im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek, das Studium der Elektromechanik brach er hingegen ab. 2013 zog er nach Syrien in den Dschihad. Gut zwei Monate vor den Anschlägen in Paris soll er nach Europa zurückgekommen sein - zunächst nach Ungarn. In Budapest wurde Laachraoui von Salah Abdeslam abgeholt, der die Anschläge vorbereitete und vergangenes Wochenende in Brüssel festgenommen wurde. Beide Belgier überquerten problemlos die Grenzen zu Österreich und Deutschland, bevor sie in ihrem Heimatland ankamen. Bei einer Kontrolle auf dem Weg nach Österreich nutzte Laachraoui einen gefälschten belgischen Personalausweis, der auf den Namen Soufiane Kayal lautete. Seine wahre Identität blieb somit erst einmal verborgen.

Symptomatischer Werdegang

Der Werdegang des Belgiers ist symptomatisch für die Dschihadisten-Szene in Europa. Zunächst wurden junge Muslime angelockt, im Namen Allahs in den Krieg zu ziehen und in Syrien für die Rechte der Unterdrückten zu kämpfen. Dabei half das Internet, die Botschaften zu verbreiten. Paradiesische Zustände sollten im Land des ehemaligen Garten Eden herrschen, wenn erst einmal ein Islamischer Staat gegründet sei. Für alles werde gesorgt: Einkommen, Wohnung, Essen, Frauen. In Syrien und im Irak sollte so etwas wie ein Pilotprojekt des Scharia-Kolonialismus entstehen, um sich dann über die ganze Welt auszubreiten. Schon Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden träumte von einem weltumspannenden Dschihad. Nach seinem Tod übernahm Abu Bakr al-Bagdadi für den IS die Idee und perfektionierte sie. Der eklatante Widerspruch zwischen Steinzeitislam und hochmoderner Technologie schien sich mit ihm aufzulösen. Dafür brauchte er gut ausgebildete Männer aus dem Westen, sprich Europa, und loyale, gefügige und religiös indoktrinierte aus dem Nahen und Mittleren Osten. Die Mischung schien aufzugehen. Daesh, wie der IS im Nahen Osten genannt wird, kämpfte sich von einem Sieg zum nächsten. Das Ziel der Expansion rückte näher.

Bis vor kurzem war Belgien der Spitzenreiter im Export von Dschihadisten nach Syrien und in den Irak. Aus keinem anderen europäischen Land kamen, gemessen an der Bevölkerungszahl, mehr Daesh-Kämpfer. Inzwischen hat Schweden die Spitzenposition eingenommen. Die Belgier sind entweder zurückgekehrt, haben sich als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt oder sind im Kampf um das Kalifat gestorben.

400 Kämpfer wieder in Europa

Bisher sollen 4500 sogenannte "Foreign Fighters", IS-Kämpfer aus den USA und Europa, in Syrien und dem Irak gestorben sein, wie aus einem Bericht der "New America Foundation for Studies and Research" hervorgeht, der kürzlich veröffentlicht wurde. Insgesamt ist in dem Bericht von 10.000 Dschihadisten aus dem Westen die Rede, die an der IS-Front kämpfen. Etwa 400 der westlichen Kämpfer habe man nach Europa geschickt, um dort Anschläge zu verüben.

Diese Rückkehrer ziehen jetzt die Terrorstrippen, werben weitere Radikale an, indoktrinieren Jugendliche und hetzten sie gegen ihre Landsleute auf. Im Sinne des selbst IS-Kalifen Bakr al-Bagdadi tragen sie den Dschihad nach Europa. Und alle, die sich ihnen in den Weg stellen, sind Objekte ihres Vernichtungswillens. Lange wurde die Brisanz der Redikalen unterschätzt, war von Integrationsvermögen und Wiedereingliederung die Rede. Bereitwillig glaubte man an Reue und Einsicht und unterschätzte dabei die Gehirnwäsche, denen diese Leute in den Ausbildungslagern unterzogen wurden. Da sie europäische Staatsbürger sind, können sie auf unterschiedlichen Wegen in die Union einreisen. Einige von ihnen mischen sich unter die Flüchtlinge. Das ist jedoch nicht die Mehrheit.

Seit dem Attentat auf die französische Satirezeitung "Charlie Hebdo" im Jänner 2015 hat sich die dschihadistische Internationale mehr und mehr Europa ins Visier genommen. Vorneweg die Staaten, die sich an der US-Koalition in Syrien und im Irak beteiligen. Hier, so die Propaganda der Extremisten, sitzen die "Kreuzfahrer" und "Ungläubigen", die unzählige Muslime weltweit in Kriegen getötet haben. Die Rückkehrer sind dabei die tragende Säule.