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Spitzen gen Brüssel

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Politik

EU-Skepsis und Geopolitik überlagern das Referendum in den Niederlanden über den EU-Assoziationsvertrag mit der Ukraine.


Amsterdam. "Sind Sie für oder gegen das Gesetz zur Annahme des Assoziationsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine?" Diese Frage wird den Wahlberechtigten der Niederlande am heutigen Mittwoch in einem Referendum vorgelegt. Obwohl dieses nur "beratenden" und keinen bindenden Charakter hat, bestimmt das Thema zurzeit die niederländische Politik. Allgemein gilt die Abstimmung als Gradmesser für die Zustimmung des einstigen europäischen Musterschülers zur EU.

Kurz vor dem Urnengang gilt eine Ablehnung als wahrscheinlich. Umfragen gehen aktuell von 57 bis 62 Prozent "Nee"- Stimmen aus. Gültig ist das Referendum jedoch nur, wenn die Wahlbeteiligung die vorgeschriebene 30-Prozent-Hürde übersteigt. Die meisten politischen Parteien befürworten den Vertrag. Ausnahmen sind die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (PVV), die Socialistische Partij (SP) und die Tierschutz-Partei PVDD.

Seit 2015 muss in den Niederlanden ein neu angenommener Gesetzesvorschlag den Wählern vorgelegt werden, wenn 300.000 Bürger dies per Unterschrift fordern. Eine Initiative, bestehend aus dem eurokritischen "Burgercomité EU", dem konservativen Think Tank "Forum voor Democratie" sowie der populistischen Website "GeenStijl" konnte mehr als 427.000 Befürworter gewinnen. Ihre Motivation war eine Mischung aus inhaltlicher Ablehnung des Abkommens und Kritik am vermeintlichen Demokratie- Defizit der EU.

Der mehr als 300-seitigen Vertrag, 2014 zwischen Kiew und der EU geschlossen, betrifft im Wesentlichen eine Angleichung der ukrainische Handelsgesetze an EU-Standards. Von einer angestrebten EU- Mitgliedschaft ist keine Rede, wohl von "politischer Assoziation", den "europäischen Ambitionen der Ukraine" sowie einem "Annäherungsprozess". Niederländische Gegner des Abkommens sehen darin die schrittweise Vorbereitung einer EU- Ausdehnung.

Ansturm auf Info-Material

Den meisten Niederländern ist der Zusammenhang zwischen dem Assoziationsvertrag und der Maidan-Bewegung bewusst, ebenso die ambivalente Situation der Ukraine zwischen EU und Russland und dem daraus erwachsenen Bürgerkrieg. Mit dem Inhalt des Vertrags und der wesentlichen Frage des Referendums ist das schon schwieriger, weshalb in den vergangenen Wochen ein Ansturm auf Informationsmaterial zu verzeichnen ist. Insgesamt 110 Organisationen und Privatpersonen beantragten bei der Referendumskommission Subventionen für Kampagnen.

Gegner des Abkommens befürchten, dass niederländische Steuergelder in die Ukraine fließen und dort in den Taschen korrupter Behörden oder Oligarchen verschwinden könnten. Auch ein Zustrom visumfrei einreisender Ukrainer wird erwartet. Zudem warnt man vor einer politischen Kultur, die geprägt sei von Swoboda-Nationalisten und Rechtem Sektor sowie Schlägereien im Parlament. Warum, so die Schlussfolgerung, sollte die EU sich einem solchen Land annähern? Hinzu kommt die geopolitische Überlegung, wonach das Abkommen Putin provozieren und einen Krieg zwischen dem Westen und Russland näher bringen könnte.

Geopolitik ist auch aufseiten der Befürworter ein entscheidendes Argument - allerdings mit der Absicht, der Ukraine den Weg in eine demokratische Zukunft in fester Beziehung zu Europa zu ermöglichen. Eine Rolle spielen auch innerukrainische Reformen wie Verbesserung der Menschenrechte sowie erhoffte Handelsvorteile für die Niederlande.

"Ukraine interessiert uns nicht"

Ein Teil der Initiatoren lässt keinen Zweifel daran, dass die Ukraine nur ein Nebenschauplatz ist: "Die Ukraine interessiert uns nicht", so Arjan van Dixhoorn, Vorsitzender des "Burgercomité EU", im Interview mit "NRC next". Da ein "Nexit"-Referendum über einen niederländischen EU-Austritt bisher unmöglich ist, "nutzen wir jede Möglichkeit, die Beziehung zwischen den Niederlanden und der EU unter Spannung zu setzten".

Diese Beziehung bildet den brisanten Rahmen der Abstimmung, die zeitlich genau in die Mitte des niederländischen EU-Vorsitzes fällt. Mit Terrordrohungen und Asyl-Sondergipfeln ist dieser ohnehin einer der heikelsten der vergangenen Jahre. Hinzu kommt das "Brexit"-Referendum Ende Juni, das wiederum mit dem niederländischen Referendum in Wechselwirkung steht. Eine Beziehung, die auch Nigel Farage, Chef der UK Independence Party, erkannt hat. Er sprach am Montag auf einer Veranstaltung der niederländischen Initiatoren: "Wenn ihr euer Referendum gewinnt, wird uns das in Großbritannien helfen."

Wie die niederländische Regierung auf ein mögliches "Nee" reagieren würde, bleibt abzuwarten. Theoretisch könnte sie den Entscheid ignorieren, was freilich der Popularität der rechtsliberal-sozialdemokratischen Koalition angesichts der wachsenden EU-Skepsis nicht guttun würde. Sozialisten und Rechtspopulisten würde dies jedenfalls im Hinblick auf die Parlamentswahlen Anfang 2017 einen deutlichen Schub geben.