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Pizzabacken gegen das Kriegstrauma

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik
Zurück ins zivile Leben - übers Pizzabacken.
© Simone Brunner

In der "Pizzeria Veterano" in Kiew backen ausschließlich ukrainische Kriegsveteranen. | Die Arbeit soll ihnen helfen, ins zivile Leben zurückzukehren.


Kiew. Es sind nicht viele Menschen, die sich an diesem Sonntag in die Shopping Mall im Zentrum Kiews verlaufen. Gähnende Leere in den Shops, nur vereinzelt flanieren Besucher durch die Gänge. Wirtschaftskrise. Doch in einem entlegenen Winkel der Mall bricht der Besucherstrom nicht ab. Wenn die Glastür wieder aufgeht, zucken die Kellner entschuldigend mit den Achseln: Alle Tische sind besetzt.

An diesem Sonntag ist die Hölle los in der "Pizzeria Veterano". Mit der Hölle, aus der Artjom kommt, hat das jedoch nicht viel gemein. Kein Jahr ist es her, da war der heute 24-Jährige noch an der Front. Streifte sich jeden Tag die Camouflage-Uniform über, putzte sein Gewehr, feuerte auf die Stellungen der pro-russischen Separatisten. Inzwischen hat Artjom die Uniform gegen die Schürze getauscht und putzt statt seiner Waffe nur noch Gemüse. Jetzt bedient er nicht mehr die Haubitze, sondern den Pizzaofen. Er reibt den Käse, knetet den Teig, klatscht im Akkord die Tomatensauce auf den Teig.

Draußen steht Leonid Ostalzew mit verschränkten Armen und bemüht sich, freundlich und cool zugleich zu wirken. Jedem Gast, der das Lokal verlässt, wirft er ein lautes "Danke" hinterher. Der bullige junge Mann mit dem Rauschebart und der breiten Skaterhose war selbst ein Jahr als Freiwilliger im Donbass und kehrte im vergangenen Sommer von der Front zurück. Ein Ausbildungskurs auf dem Arbeitsamt brachte den ehemaligen Pizzakoch auf die Idee: eine Pizzeria, in der nur Veteranen arbeiten. Mit seinem Partner Rafail Agajew, wie er ein Kriegsveteran, und der Finanzierung eines amerikanisch-ukrainischen Investors öffnete die Pizzeria im Dezember ihre Pforten. Seit Januar schreibt das Restaurant schwarze Zahlen.

Die Kunde von den kochenden Veteranen verbreitete sich über die sozialen Medien in Windeseile. 17.300 Fans hat die Pizzeria mit dem Logo des schnurrbärtigen Kochs im Kosakenhemd auf Facebook schon. Alle ukrainischen Fernsehsender und Zeitungen haben schon über die Pizzaköche berichtet. Zuletzt hat selbst der amerikanische Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, auf eine Pizza vorbeigeschaut.

Es ist ein kleiner Versuch, den Spalt zwischen Krieg und Frieden zu kitten. "Aus dem Krieg kehrst du als ein anderer zurück", sagt Ostalzew. Sein Unterarm ist mit Tätowierungen übersät - ein Kreuz für jeden gefallenen Kameraden an der Front. In der Pizzeria sollen Soldaten aber wieder unter Leute kommen, die nicht im Krieg waren.

Zugleich ist es eine Gelegenheit für die Kiewer, "ihre" Soldaten kennenzulernen, die sie oft nur aus dem Fernsehen oder aus den Zügen kennen, in denen die Soldaten ihren kurzen Fronturlaub ausgiebig begießen und dabei nur schiefe Blicke von den Zivilisten ernten. Im Restaurant können sich die Kämpfer und die Bürger auf Augenhöhe begegnen. "Aus der Sicht der Reintegration ist das die beste Variante", so Co-Gründer Agajew in einem Interview.

Ein Hauch von Schicksalsgemeinschaft hängt über der Truppe. Es wird gelacht und gescherzt, man begrüßt sich mit Handschlag. Und schon dem einen oder anderen soll beim gemeinsamen Kneten der Pizza die Sprache über den Horror des Krieges aufgegangen sein.

Gratis-Pizza für Veteranen

Der Krieg in der Ostukraine, der laut UN-Schätzungen bisher 9200 Menschenleben gekostet hat, geht bald in sein drittes Jahr. 200.000 Kriegsheimkehrer zählt die "Allukrainische Vereinigung der Veteranen der Anti-Terror-Operation (ATO)", wie der Krieg in der Ostukraine offiziell genannt wird, mittlerweile. Bei ihrer Rückkehr ins zivile Leben stehen sie vor einem Bündel aus Problemen: Sie sind entwurzelt, traumatisiert, ohne Job. Staatliche Programme oder Therapien gibt es kaum. Experten schätzen, dass 50 bis 70 Prozent der Veteranen psychologische Hilfe brauchen würden.

So fiel auch Artjom nach seiner Heimkehr erst mal in eine tiefe Krise. "Ich war zwei Monate lang fast nur zu Hause, bin in eine absolute Apathie verfallen", sagt Artjom mit einem schüchternen Lächeln. Er wusste nicht so recht, was er sich anfangen sollte. Bei einem Spaziergang durch das Shoppingzentrum in Kiew wurde er auf das Schild vor dem neu eröffneten Restaurant aufmerksam: "Gratis Pizza für ATO-Veteranen." Aus einer Pizza wurde ein Gespräch, dann ein Job, ein Neuanfang abseits der Front.

Jeden Sonntag gibt es Kochkurse für Kriegswaise, zehn Prozent des Gewinns sollen für soziale Zwecke verwendet werden. Die Wand neben der Registrierkassa ist mit Kinderzeichnungen übersät: eine Pizzaschnitte, "made in Ukraine". Soldaten haben ihre Aufnäher von den Bataillonen und ihre Glücksbringer dagelassen, von Plastikfiguren bis zu Patronenhülsen, eingehüllt von einem Meer aus Post-its in den Farben der ukrainischen Fahne: Blau-Gelb. Das beliebteste Gericht auf der Karte? Die "Pizza Ukraine", selbstredend. Es ist eine Ode an die Fleischeslust: Salami, Schinken und Salo, der besonders fette ukrainische Speck, um umgerechnet zwei Euro.

Doch der Krieg in der Ostukraine ist nicht vorbei. Wenn die Kämpfe wieder stärker aufflammen, will auch Ostalzew wieder in den Krieg ziehen. Und was gibt er den Soldaten mit, die gerade in den Krieg ziehen? "Dass sie wieder heil zurückkommen sollen", sagt Olstalzew, "und dass ich ihnen eine Pizza schulde."