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Auf dem Prüfstand

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Der Gefolgsmann von Poroschenko Wolodymyr Hrojsman soll die nächste Regierung in der Ukraine bilden.


Kiew. So recht weiß Wolodymyr Hrojsman noch nicht, wohin mit seinen Händen. Erst formt er seine Finger zu einer Aufzählung, dann fuchtelt er herum, hebt seine rechte Hand, wie zum Nachdruck. "Die neue Koalition wird die begonnenen Reformen fortsetzen", sagt Hrojsman. Er ist sichtlich gezeichnet von einem nächtlichen Verhandlungsmarathon. Das Urteil der Online-Community kennt freilich kein Pardon. Knapp 26.000 Aufrufe hat das Video auf Facebook, aber nur 500 Likes. "Reformen fortsetzen? Von welchen Reformen sprechen Sie denn?" ist noch einer der freundlichsten Kommentare.

Am Mittwoch einigten sich nun die Partei des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und die Volksfront von Noch-Premier Arseni Jazenjuk auf den 38-jährigen Wolodymyr Hrojsman als neuen Regierungschef. Eine Abstimmung über den Rücktritt von Jazenjuk sowie das neue Regierungsteam werden am Donnerstag im Parlament erwartet.

Am Sonntag reichte Jazenjuk seinen Rücktritt ein, will aber mit seiner Partei "Volksfront" in einer Zweierkoalition mit dem "Block Petro Poroschenko" (BPP) bleiben. Hrojsman wäre einer der jüngsten Ministerpräsidenten der Ukraine. Doch trotz seines jungen Alters ist er kein unbeschriebenes Blatt. Der dreifache Familienvater, der acht Jahre lang Bürgermeister der Stadt Winnyzja war, gilt als politischer Zögling des Präsidenten. In Winnyzja steht die Fabrik von Poroschenkos Süßwarenkonzern "Roshen", von hier zog der jetzige Präsident 1998 mit einem Direktmandat in das ukrainische Parlament ein. Kritiker sprechen schon vom "Clan von Winnyzja", in Anlehnung an den geflüchteten Präsidenten Viktor Janukowitsch und seinem "Donezker Clan".

Bisher vollzog sich Hrojsmans Karriere in Quantensprüngen. Mit 16 Jahren soll er bereits den elterlichen Betrieb geleitet haben. Als 24-Jähriger wurde er als jüngster Abgeordneter in den Stadtrat gewählt. Vier Jahre später folgte das Bürgermeisteramt. "Wir wollen eine europäische Stadt sein", so Hrojsman damals in einem Interview. Mit dem Zukauf von Straßenbahnen aus Zürich, kostenlosem öffentlichen Internet und Projekten für Energieeffizienz machte sich Hrojsman einen Namen als Reformer. 2010 wurde er mit knapp 78 Prozent wiedergewählt. Zuletzt wurde Winnyzja zur lebenswertesten Stadt der Ukraine gewählt.

Rasante Karriere

Kaum hatte sich 2014 der Rauch am Maidan verzogen, wechselte Hrojsman nach Kiew. Er wurde er mit wichtigen Agenden betraut: Zuerst als Vize-Premier und Minister für Regionalentwicklung, danach als Präsident des Parlaments. Bereits bei den Parlamentswahlen 2014 wurde Hrojsman als Poroschenkos Wunschkandidat und sicherer nächster Premier gehandelt. Mit dem überraschenden Wahlerfolg der neu gegründeten Partei "Volksfront" hatte Hrojsman jedoch gegenüber Jazenjuk das Nachsehen.

Seine Nähe zum Präsidenten ist für Hrojsman Fluch und Segen zugleich. "Ich glaube nicht, dass Hrojsman der richtige Reformer für das Land ist, weil er dem Präsidenten zu nahesteht", so der ehemalige Journalist Serhij Leschtschenko, der selbst für den Poroschenko-Block im Parlament sitzt. Der Frust über fehlende Reformen könnte sich künftig nicht wie bisher gegen Poroschenkos Gegenspieler Jazenjuk, sondern gegen ihn selbst richten.

Hrojsman, der schlecht Englisch spricht, gehörte nicht zu den Favoriten der westlichen Partner. Unter Hrojsman werde "wohl der korrupte Business-as-usual Kuhhandel um Posten, Einfluss und Subventionen" weitergehen, schreibt Brian Bronner von der Kyiv Post. Die ukrainische Zivilgesellschaft hatte sich zuletzt für eine Technokratenregierung unter Finanzministerin Natalia Jaresko stark gemacht.

Ist Hrojsman also nicht viel mehr als eine Marionette des Präsidenten? Die Sichtweise ist verbreitet, könnte aber Hroismans Ehrgeiz angestachelt haben. Der designierte Premier hat sich in den vergangenen Tagen als hartnäckiger Verhandlungspartner gezeigt. Laut Insidern sind die Koalitionsverhandlungen gerade deswegen so schleppend, weil Hrojsman auf seine Bedingungen bei der Postenvergabe pocht, um nicht als Erfüllungsgehilfe des Präsidenten dazustehen. "Während ihn die meisten als Juniorpartner des Präsidenten wahrnehmen, hat er angefangen, sich selbst als ihm ebenbürtig zu sehen", so der Polit-Analyst Taras Beresowez. "Er möchte nicht einfach nur der Poroschenko-Boy sein", sagt Balazs Jarabik vom Carnegie Endowement for International Peace.

Ob dahinter mehr steht als verbales Muskelspiel, wird sich zeigen. Dass bereits seit Wochen hinter verschlossenen Türen um Posten und Einfluss gerungen wird, ist freilich keine gute Optik für jene Politiker, die nach dem Maidan angetreten sind, um gerade diesen Geruch der Korruption loszuwerden. So soll die Koalition von mächtigen Hintermännern wie den Oligarchen Ihor Kolomojski und Rinat Achmetow abgesegnet worden sein. Hrojsman wird allerdings großes Verhandlungsgeschick nachgesagt - und die Fähigkeit, mit allen Akteuren reden zu können.

"Kein Loser-Premier"

Zumindest rhetorisch gab sich Hrojsman immer wieder kämpferisch, wenn nicht gar grobschlächtig. Er werde "kein Premier einer Loser-Regierung" sein, schrieb er zuletzt auf Twitter. Wird Hrojsman angelobt, wird es zumindest die russische Propaganda künftig schwer haben, das Narrativ der "faschistischen Junta", die seit dem Maidan in Kiew an der Macht sein soll, zu verbreiten. Denn Hrojsman ist Jude.

Zuflucht wird Hrojsman immer in Winnyzja finden. Dort soll der ehemalige Bürgermeister so beliebt sein, dass sogar eine Straße nach ihm benannt wurde: die "Hrojsmanstraße". Sich ebenso in die mentale Architektur in Kiew einzuschreiben, wird aber wohl ungleich schwerer werden.