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Genugtuung in der Türkei

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Regierungsnahe Medien applaudieren der deutschen Entscheidung im Fall Böhmermann.


Istanbul. In der Türkei meldeten Onlinemedien die Entscheidung der Bundeskanzlerin am Freitag als "Breaking News", eine offizielle Reaktion des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan oder der Regierung in Ankara wurde aber zunächst nicht publiziert. Man darf jedoch annehmen, dass die türkischen Staatslenker die deutsche Entscheidung mit derselben Genugtuung zur Kenntnis nahmen wie regierungsnahe Medien.

Die Beleidigung Erdogans bleibe nicht ungestraft, formulierte etwa die Onlineseite der auflagenstarken Zeitung "Sabah", in der Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak die Regie führt - als sei bereits ein Urteil ergangen. Das Erdogan-treue Boulevardblatt "Star" schrieb, die Entscheidung Merkels sei ein "großer Schock" für Böhmermann.

Dagegen sagte der türkische Medienwissenschafter Adem Ayten von der Istanbuler Aydin-Universität der "Wiener Zeitung", er werte Merkels Machtwort nicht als Bestätigung für Erdogans Einschüchterungskurs gegen kritische Medien, sondern als Zeichen, dass die unabhängige Justiz Deutschlands das letzte Wort in der Causa Böhmermann haben werde.

"Wenn das Gericht feststellt, dass die Satire durch die Pressefreiheit gedeckt war, wird das Auswirkungen auf die Türkei haben, denn die türkischen Medien werden darüber berichten. Man wird feststellen, dass andere Länder die Grenzen der Meinungsfreiheit weiter ziehen als wir", sagte Ayten. "Aber das wichtigste Signal Merkels an die Türkei ist, dass sie auf die unabhängige Justiz Deutschlands vertraut und Erdogan damit daran hindert, die Angelegenheit politisch zu instrumentalisieren."

Erdogan hat bereits 2000 Personen geklagt

Sollte Böhmermann wider Erwarten verurteilt werden, wird das aber keine großen Auswirkungen auf die Türkei haben. "Erdogans Position ist ohnehin klar. Er hat etwa 2000 Personen persönlich wegen Beleidigung verklagt. Das lässt sich kaum noch verschärfen."

Tatsächlich führt der türkische Staatschef einen verbissenen Kampf gegen Kritiker und hat den Artikel des türkischen Strafgesetzbuches, der unter anderem die Beleidigung der Türkei, der türkischen Nation und auch des Staatspräsidenten mit Strafen von bis zu vier Jahren Haft bedroht, bis zum Äußersten strapaziert. Erdogan hat nicht nur Journalisten und Oppositionspolitiker, sondern auch Künstler, Hausfrauen und sogar Schüler wegen angeblicher Verleumdung angezeigt.

Vor wenigen Tagen klagte Erdogan den Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, weil dieser ihn einen "sexuell und politisch Perversen" genannt hatte, aber es reicht schon, den Präsidenten auf Facebook als "Diktator" oder wegen der grassierenden Korruptionsvorwürfe als "Räuber" zu bezeichnen. Ein Journalist wurde gerichtlich belangt, weil er darüber berichtet hatte, dass das türkische Google die Suchbegriffe "Dieb" und "Mörder" automatisch mit "Erdogan" und "AKP" ergänzt. Auch Satiremagazine müssen ständig mit dem Einschreiten des Staatsanwalts rechnen, die Türkei steht im Pressefreiheitsranking von "Reporter ohne Grenzen" auf Platz 149 von 180 Ländern.