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Noch einmal alle gemeinsam: "God save the Queen"

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnnemacher

Politik

Am Donnerstag feiert die Königin von England ihren neunzigsten Geburtstag.


London. Seit Ewigkeiten probt die BBC für diesen Ernstfall. Studio-Fenster werden verdunkelt, Besucher aus dem Gebäude komplimentiert, schwarze Krawatten und Kleider aus dem Schrank geholt. Im kleinen Kreis, und zu gedämpften Tönen, spielt man an solchen Tagen einen "Kategorie-Eins"-Tod durch in der Nachrichtenzentrale des britischen Senders. "Kategorie Eins" steht, wie bei der BBC jeder weiß, für die Top-Royals - und an allererster Stelle für die Königin.

Elizabeth II. kennt diese Routine natürlich. In der Vergangenheit hat sie sich gelegentlich über die vorzeitige Trauer und die ihr vorab erwiesene Anteilnahme amüsiert gezeigt. Nicht bekannt ist allerdings, was sie letzten Sommer dachte, als während einer solchen Probe eine junge BBC-Mitarbeiterin vom stummen Drama im Sender so mitgerissen wurde, dass sie auf ihrem Diensthandy in alle Welt hinaus twitterte, die Queen sei ins Krankenhaus eingeliefert worden, und eine offizielle Erklärung stehe unmittelbar bevor. Von der "Bild"-Zeitung über CNN bis hin zur "Hindustan Times" in Indien schlug alles in Sekundenschnelle Großalarm. Jeder bereitete sich "aufs Schlimmste" vor.

Und wer hätte es gedacht: Die Königin hielt sich an jenem Morgen tatsächlich in der betreffenden Klinik auf. Aber eben nur zu einem Routine-Check, zur üblichen Vorsorge-Untersuchung. Nicht wirklich der Rede und schon gar keiner weltweiten Aufregung wert. Eilends vermeldete der Buckingham-Palast, dass es der Monarchin ganz und gar blendend gehe. Die Twitter-Meldung, zeigte sich, war nur ein dummer Streich. Die BBC kam auf den Knien bei Hofe angerutscht, um untertänigst Vergebung zu erbitten. Die schuldige Mitarbeiterin hatte Glück, nicht auf den Richtplatz des Tower geschleppt zu werden.

Sinn für Humor

Elizabeth II. mag auch über diese Panne gelächelt haben. Sie hat ja Sinn für Humor. Und Grund zum Lächeln hat sie auch. Höchst selten in ihrem Leben hat sie sich, wo es nicht um offizielle Besuche ging, in einer Klinik aufhalten müssen. Stattdessen hat sie noch in ihrem zurückliegenden neunzigsten Lebensjahr ein Arbeitspensum absolviert, das wesentlich Jüngere schrecken würde. Hunderte von Auftritten, Terminen, Reisen und Bankette hat sie im vergangenen Jahr bewältigt. Ihre robuste Verfassung und ihr erstaunliches Pflichtbewusstsein verschaffen ihr selbst bei Republikanern im Lande Respekt.

Und so hat sie auch, wenn sie am kommenden Donnerstag ihren runden Geburtstag begeht und ins zehnte Lebens-Jahrzehnt steuert, einiges zu feiern. Denn Elizabeth II. hat eine ganze Reihe Rekorde gebrochen in den letzten Jahren. Nicht nur ist sie schon seit geraumer Zeit das an Jahren älteste britische Staatsoberhaupt (Königin Victoria starb 81-jährig). Seit vorigem September ist sie zugleich das gekrönte Haupt mit der absolut längsten "Dienstzeit" der britischen Geschichte. Auch darin hat sie, mit über 64 Jahren auf dem Thron, ihre Ururgroßmutter jetzt überholt. Außerdem ist sie von allen Königinnen der Weltgeschichte inzwischen die am längsten amtierende. Und die am längsten verheiratete. Und die meistgereiste dazu Auch wenn sie sich neuerdings mit kleineren Touren bescheidet. Die großen Reisen, kreuz und quer durch den Commonwealth auf der königlichen Yacht "Britannia", hat sie in früheren Jahren unternommen. Jetzt lässt sie sich schon eher von Charles, dem Kronprinzen, oder von anderen Mitgliedern der Familie vertreten, wenn es um ferne Ziele geht.

Diszipliniertes Paar

Ihrem Gatten Philip, der diesen Sommer 95 wird, will sie schließlich auch nicht zu viel zumuten. Zumal der Herzog von Edinburgh ihr fast überall zur Seite steht. Ob bei der Eröffnung eines Flughafen-Terminals in Heathrow, beim Besuch kranker Kinder in Great Ormond Street oder bei Staatsempfängen in Windsor Castle: Das in die Jahre gekommene Paar scheut keine Anstrengung, sich weiter in Szene zu setzen.

Bei ihren traditionellen Sommerparties im Buckingham-Garten treten Elizabeth und Philip noch immer, wie seit altersher, jedes Mal nachmittags pünktlich um vier Uhr in Erscheinung, um zu den Klängen von "God Save The Queen" Tausende von Gästen zu begrüßen - und hernach bei kleinen Gesprächen endlos in sengender Sonne oder in plötzlichen Güssen auf dem Rasen herumzustehen, bevor es ihnen erlaubt ist, sich bei einem Tässchen Tee ins königliche Zelt zurückzuziehen.

Natürlich teilt Elizabeth das Rampenlicht dieser Tage mit einer immer größeren Zahl an Royals. In den 80er und 90er Jahren war das noch eher ein Problem für sie. Damals "stahl" ihr Diana buchstäblich die Schau.

Dann aber kam die "Herzenskönigin" der Nation zu einem bösen Ende. Und nun, als Ahnherrin eines weitläufigen Familienverbands mit einem bunten Sammelsurium an Nachkömmlingen in der Warteschlange, gibt die wirkliche Queen ganz gern etwas vom Glanz der Krone ab.

So dürfen jetzt William und Kate in New Delhi am Grabmal der Kriegstoten Kränze niederlegen, während Charles in Paris Umweltkonferenzen eröffnet oder im Gewand eines arabischen Prinzen im Wüstensand den Säbel schwingt.

William übrigens vergisst nie, auf seine "Auftraggeberin" dankend hinzuweisen. Vorige Woche in Indien beschrieb er sich als "den Boten der Königin" und fügte hinzu, dass seine Großmutter "noch immer ganz und gar der Boss" sei.

"Bemerkenswert energiegeladen" sei sie, sagte er, und "eine hingebungsvoll richtungsweisende Kraft für ihre Familie". Nach Abschluss der diplomatischen Rituale in Delhi erklärte er erleichtert, nun könne er "der Oma Bericht erstatten, dass ich meiner Pflicht nachgekommen bin".

Sie selbst scheint es ebenso zu freuen wie zu verwundern, dass sich neuerdings in ihren Schlössern und vor allem unterm Tannenbaum so viele kleine und große Windors drängen. Auf ihr sich immer mehr füllendes "Heim" hat sie in ihren letzten Weihnachtsansprachen angespielt.

George, die Nummer Drei der Thronfolge, und dessen im Vorjahr geborenes Schwesterchen Charlotte sind bekanntermaßen die letzten Neuerscheinungen bei Hofe. Charlotte heißt natürlich mit vollem Namen Charlotte Elizabeth Diana: Eine Verbeugung Williams vor Ihrer Majestät der Königin ebenso wie vor der Erinnerung an die unvergessene Mama.

Nur keine Sentimentalitäten

Übermäßige Sentimentalität ist unterdessen nie Sache der in einer harscheren Epoche aufgewachsenen Monarchin gewesen. "Eher geschäftsmäßig" habe sie, meldete die Londoner Times, das neueste Familienmitglied nach dessen Geburt "inspiziert". Freilich heißt es, dass sie nach Besuchen "jedes Mal kleine Geschenke" für die Mini-Windsors zurück lasse, und so "ihr Interesse an ihnen" zeige. Das ist ihre Art.

Viel Wasser ist die Themse hinunter geflossen, seit Elizabeth, zwischen den Kriegen, geboren wurde. Wegen eines Generalstreiks herrschte 1926 Kriegsrecht in London, die BBC stand noch immer recht unsicher auf den Beinen. Sie experimentierte mit dem Modell "mechanisches Fernsehen" und kämpfte um nationale Ausstrahlung ihres Rundfunk-Programms.

Die roten, gusseisernen "K2"-Telefonhäuschen wurden ebenfalls im Geburtsjahr der Königin eingeführt. Die erste Schwimmerin bezwang 1926 den Ärmelkanal, A.A.Milne schrieb "Winnie-the-Pooh". Neunzig Jare später ist das Königreich der Kindheit Elizabeths II. kaum wieder zu erkennen. Allein schon die wirtschaftliche und soziale Landschaft ist transformiert. Kohle, Stahl und Schiffbau, der Stolz des Empires, sind verschwunden oder rapide im Schwinden begriffen. Schottland erwägt, seiner eigenen Wege zu ziehen. Der Kanal ist untertunnelt.

Frauen können Bischöfinnen werden und gleichgeschlechtliche Partner heiraten. Statt in Zeitungen zu blättern sind die Passagiere der U-Bahn in London fixiert auf ihre Mobiltelefone. Und kein Mensch in England wüsste mehr, was Kriegsrecht ist. Auch die meisten roten Telefonhäuschen sind längst abmontiert.

Immerhin hat Elizabeth II. ihr Bestes getan, mit den technologischen Herausforderungen Schritt zu halten. Ihre Krönung war die erste, die jemals im Fernsehen übertragen wurde. 1958 wurde, bei großem Applaus, das erste britische Ferngespräch an sie übermittelt. 1976 schrieb sie ihre erste E-Mail von einem Stützpunkt der britischen Streitkräfte aus.

1997 richteten ihr Höflinge die Webseite www.royal.gov.uk ein, und vor zwei Jahren begann sie, anlässlich eines Besuch im Wissenschafts-Museum, eigenhändig zu twittern. Nach Abstreifen ihres rechten Handschuhs, berichteten Anwesende, habe sie mit dem Zeigefinger "sehr kräftig" auf ein Feld auf dem iPad-Bildschirm gedrückt.

Ihr Tweet enthielt natürlich kein Bulletin ihres Gesundheitszustands und auch sonst nichts Persönliches. Sie fand es "ein Vergnügen, heute die Ausstellung zum Informationszeitalter im Science Museum zu eröffnen". Die kleine Nachricht unterschrieb sie mit "Elizabeth R" (für Regina). Damit hatte sie ihre elektronische Schuldigkeit getan.

Auf Ausgleich bedacht

Auch andere Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit haben die Welt Elizabeth R’s ganz schön - oder eher unschön - verändert. Seit einiger Zeit findet sich der vormals idyllische Garten des Buckingham-Palastes von Hotel- und Bürotürmen überragt. Und in Windsor Castle, wo sie die meisten Wochenenden verbringt, ist der Lärm im Himmel ein echtes Problem geworden. Denn das älteste bewohnte Schloss der Welt liegt in einer der Einflugschneisen des Großflughafens Heathrow. Und weil Heathrow immer mehr Nachtflüge abwickelt, wird auch Windsors Nachtruhe zunehmend gestört.

Selbstverständlich, meint der Queen früherer langjähriger Pressechef Dickie Arbiter, werde sich die Königin darüber nicht beklagen: "Wenn sich sonst jeder damit abfinden muss, muss sie das ebenfalls tun." Immerhin seien "die Mauern von Schloss Windsor ziemlich massiv". Und falls es der Monarchin zu viel wird, kann sie in ihre Schlösser in Sandringham oder Balmoral ausweichen.

Diskrepanzen zwischen dem, womit ihre "Untertanen" im Alltag fertig werden müssen und ihrer eigenen, privilegierten Existenz sind natürlich immer wieder Thema in Großbritannien - vor allem je mehr der alte Zauber der Monarchie schwindet und Austerität und soziale Unsicherheit den Leuten zu schaffen machen.

Angesichts der großzügigen Versorgung der Windsors durch den Staat sowie eines Privatvermögens der Queen von schätzungsweise 300 Millionen Pfund hält sich das Mitleid vieler Briten in Grenzen, wenn gewisse Royals über Löcher im Dach oder rostende Abflussrohre jammern.

Kürzlich haben, was in vergangenen Jahrhunderten unvorstellbar gewesen wäre, miserabel entlohnte Beschäftigte in Windsor Castle zum Streik aufgerufen. Monarchisten schlagen über dieser Art von Unbotmässigkeit die Hände überm Kopf zusammen. Und für die Rechtspresse grenzt Arbeitskampf ohnehin an Hochverrat.

Die Königin jedoch, immer auf Ausgleich bedacht, will, dass auch den Leuten, deren Lebensumstände sie nie geteilt hat, Gerechtigkeit widerfährt. Konservativ mag sie sein, aber für den Thatcherismus, für die soziale Abkoppelung ganzer Bevölkerungsteile, zeigte sie nie Sympathien.

Vor zwei Jahren erklärte sie in einem privaten Gespräch, dass ihrer Ansicht nach "die Armen und ihre Probleme viel zu wenig Beachtung finden" und "die Leute alle Hilfe verdienen, die sie bekommen können".

Das heißt natürlich nicht, dass die Queen rote Fahnen überm Buckingham wehen sehen will - oder der republikanischen Forderung nachgeben würde, die Palasttore für Londons Obdachlose zu öffnen. Bereit ist sie höchstens dazu, ab und zu ein Gastmahl für zahlungswillige Bankiers und Großkonzerne im Palast ausrichten zu lassen, um die Staatskasse zu entlasten. Delegationen JP Morgans und GlaxoSmithKlines sind bereits ihre Gäste gewesen. Auch das hätte man sich nicht vorstellen können, in der "alten Zeit". Aber wer hätte auch prophezeit, dass eine Königin von England einmal in normalen Zügen fahren oder in Maschinen kommerzieller Luftlinien steigen würde, statt sich im Royal Train oder in ihrer eigenen kleinen Luftflotte fortzubewegen?

Die königliche Jacht gibt es ja schon seit 1997 nicht mehr. Ihrer "Britannia" hat Elizabeth II. heiße Tränen nachgeweint. An sie knüpfen sich persönliche Erinnerungen, die nun Geschichte geworden sind - wie das Empire selbst, dessen exotische Ecken die Queen einst an Bord "ihres" Schiffes erreichte. Künftig wird niemand mehr reisen wie sie es einst getan hat. Zum Trost soll ihr Name nun die neue U-Bahn-Linie zieren, die in drei Jahren eröffnet wird, quer durch London, von Ost nach West.

Was bislang "Crossrail" hieß soll dann, für alle Zeit, die "Elizabeth Line" heißen. Londons Bürgermeister Boris Johnson hat das violette U-Bahn-Emblem kürzlich enthüllt, in Anwesenheit der Gewürdigten. Die Queen rang sich bei dieser Gelegenheit ein mildes Lächeln ab. Vielleicht galt es dem unsäglichen Verkehrsminister Patrick McLoughlin, der meinte, man habe "Ihrer Majestät der Königin lebenslange Verbindung mit dem Londoner Nahverkehr" würdigen wollen. Kaum jemand in London, spotteten die Londoner anderntags, habe wohl so selten im Leben eine U-Bahn oder einen Bus benutzt wie die Queen.

In der Tat lässt sich Elizabeth II. normalerweise in der königlichen Limousine herumchauffieren. Oder, zu wichtigen Anlässen, in der goldenen Staatskutsche. Das Schicksal der menschlichen Sardinen an der Themse muss sie also nicht teilen, auf der Picadilly Line oder im roten Doppeldecker nach Hammersmith bekommt man sie nie zu sehen - das wäre nun auch wirklich nicht ihr Stil.

Einmal aber, in diesem Juni, will sie sich gern noch mal demonstrativ "unters Volk mischen". Für ihr offizielles Geburtstags-Wochenende im Sommer ist ein Riesen-Picknick, ein "Birthday Lunch", für 10.000 Menschen entlang der Paradestrasse vorm Buckingham-Palast geplant.

Melancholische Note

An festlichen gedeckten Tischen sollen Mitarbeiter aller karitativen Verbände, deren Schirmherrin sie ist, bewirtet werden. Und doch geht es auch hier nicht ganz ohne Eintrittsgeld - was bereits neuen Streit ausgelöst hat: 150 Pfund pro Kopf soll die Teilnahme die Wohltäter nämlich kosten. Prinzessin Annes Sohn Peter Phillips organisiert die Feier mit Hilfe seiner Firma "Sports & Entertainment Ltd". Für seine Bemühungen wird der Enkel der Königin mit einer Summe in ungenannter Höhe bezahlt.

Wie immer sind zudem Kanonenböller, Feuerwerke und Freudenfeuer vorgesehen. Fähnchen, Porzellan und Andenken werden bereits verkauft. Außerdem sind 600 Pferde aufgeboten, um das Herz der Königin zu erfreuen. Erst mit ihren Pferden - 180 soll sie selbst noch besitzen - wird das Fest richtig festlich. Trotz ihrer neunzig Jahre, beteuern Nahestehende, reite die Queen, wenn auch gemächlich, auf ihren Gütern immer noch aus.

Ob sie ihre letzten beiden Corgis, Holly und Willow, zu den Feiern mitbringt, weiß einstweilen niemand zu sagen. Ihr Liebling Monty, der bei der Eröffnung der Olympischen Spiele von 2012 noch James Bond umwedelte, bevor sie mit 007 "ihren" unvergesslichen Fallschirm-Sprung ins Stadion unternahm, ist nun auch schon eine Weile nicht mehr.

Früher einmal pflegte Elizabeth II. ihre Corgis zu ersetzen, wenn einer starb. Aber das will sie nun nicht mehr. Sie fände es nicht recht, erklärte sie ihrem eben so treuen wie untröstlichen Corgi-Züchter Monty Roberts. Sie wolle, wenn es so weit sei, "keine Corgis zurück lassen". Auch wenn die Queen ein erstaunliches Vermögen zu stoischer Ruhe verkörpert und niemals Selbstmitleid erkennen ließ: Ganz ohne Wehmut werden sie und ihre Nation diesen Neunzigsten kaum feiern können. Eine melancholische Note wird sich in den Gesang der Hymne mischen, in diesem Jahr.