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Sechs Jahre und zwei Tage

Von WZ-Korrespondent Gerd Höhler

Politik

Am 23. April 2010 bat der damalige griechische Premier Giorgos Papandreou die EU um Finanzhilfen.


Athen. (n-ost) Die meisten Griechen möchten das Datum wohl am liebsten vergessen: Am 23. April 2010 rief der damalige Premierminister Giorgos Papandreou nach Finanzhilfen der Euro-Partner, um die drohende Staatspleite abzuwenden. Irgendwie gelingt es. Aber um einen hohen Preis: Das Sparprogramm bescherte den Griechen die tiefste und längste Rezession, die ein europäisches Land seit Ende des Zweiten Weltkriegs durchmachen musste. Und trotz der Milliardenkredite kommt Hellas immer noch nicht auf die Beine. Der Makler Manos Konstantinidis erinnert sich genau an den Morgen des 23. April 2010. "Ich saß in meinem Büro und telefonierte mit einem Kunden. Der Fernseher lief, anfangs ohne Ton. Dann sah ich plötzlich Papandreou auf dem Bildschirm. Da wusste ich: Jetzt wird es ernst." Im Frühjahr 2010 steht Griechenland vor dem Staatsbankrott. Das Land droht unter der Last seiner Schulden zusammenzubrechen.

Am 30.März war der Versuch gescheitert, mit einem zwölfjährigen Bond eine Milliarde Euro am Kapitalmarkt einzusammeln. Es kommen nur 390 Millionen in die Kasse, obwohl der angebotene Zins bei horrenden 5,9 Prozent liegt. Drei Wochen später tritt Papandreou auf der Insel Kastellorizo vor die Fernsehkameras und bittet um Hilfskredite der EU - der Offenbarungseid. Manos Konstantinidis schaltete mit der Fernbedienung den Ton ein. "Was ich hörte, klang dramatisch", erinnert er sich. Papandreou vergleicht sein Land mit einem "sinkenden Schiff" und fleht die EU an, den Griechen einen "sicheren Hafen" zu bieten. Im Rekordtempo von nur sieben Tagen schnüren die Euro-Partner und der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Rettungspaket. Es sieht Kredite von 110 Milliarden Euro vor. So kann Athen den drohenden Zahlungsausfall vermeiden. Im Gegenzug verpflichtet sich die Regierung, ein Spar- und Reformprogramm umzusetzen.

Das siebte Jahr in der Rezession

"Die Krise kam nicht unerwartet", sagt Manos Konstantinidis rückblickend. "Wir wussten, dass wir seit Jahren über unsere Verhältnisse lebten. Aber niemand von uns ahnte 2010, was uns bevorstand." Sein Maklerbüro ist seit drei Jahren geschlossen. "Der Immobilienmarkt ist tot", sagt Konstantinidis. Die wenigen Geschäfte, die er noch tätigt, wickelt er auf seinem Laptop am Küchentisch ab. Überraschend kam das Schuldendesaster tatsächlich nicht. Seit den 1980er Jahren häufte Griechenland immer mehr Verbindlichkeiten auf. Vor allem nach der Einführung des Euro mit seinen niedrigen Zinsen machten Staat und Bürger hemmungslos Schulden. 2009 erreichte das Haushaltsdefizit schwindelerregende 15,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das erste Hilfspaket war auf drei Jahre angelegt. Aber schnell zeigte sich: Das Geld reicht nicht. Im Frühjahr 2012 machen die Geldgeber weitere 130 Milliarden locker, im August 2015 folgt das dritte Hilfspaket mit 86 Milliarden Euro. Die Bilanz der bisherigen Rettungsversuche: Griechenland hat ein Viertel seiner Wirtschaftskraft eingebüßt und geht ins siebte Jahr der Rezession. Die Schuldenquote betrug zu Beginn der Krise 125 Prozent des BIP, heute sind es 177 Prozent. Die Arbeitslosenquote liegt bei 25 Prozent. Löhne und Pensionen sind seit 2010 durchschnittlich um mehr als ein Drittel geschrumpft. Was ist falsch gelaufen? "Anfangs machten Griechenland und seine Gläubiger viel verkehrt", meint Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank. "Die Kreditgeber setzten zu große Einschnitte bei den Staatsausgaben und ein übermäßiges Anziehen der Steuerschraube durch, während die griechische Regierung wachstumsfördernde Reformen nur zögerlich umsetzte."

Mit dem Amtsantritt des konservativen Premiers Antonis Samaras begann im Sommer 2012 zwar eine Wende. Griechenland nahm Reformen in Angriff. 2014 kehrte die Wirtschaft zum Wachstum zurück. Doch Anfang 2015 kamen Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis mit ihren unerfüllbaren Versprechen. Sie drehten die Reformen zurück. Das Land fiel wieder in die Rezession. Eine Kapitalflucht setzte ein, im Sommer 2015 stand das Bankensystem vor dem Zusammenbruch. Varoufakis ist Geschichte, aber das Griechendrama ist auch nach sechs Jahren nicht zu Ende. Wieder ringt Athen mit den Geldgebern um Reformen und Sparmaßnahmen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble schließt nicht aus, dass es doch noch zu einem Grexit kommt. Dagegen seien Schuldenerleichterungen für das Land seines Erachtens "für die nächsten Jahre nicht notwendig", wie Schäuble bei einem Treffen mit den EU-Finanzministern am Samstag erklärte.

Weitere Sparpakete stehen an

Das weiterhin hochverschuldete Griechenland soll nach dem Willen der Euro-Partner in den nächsten Tagen einmal mehr weitreichende Spar- und Reformschritte auf den Weg zu bringen. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem warnte bei dem Treffen in Amsterdam vor leeren Kassen in Griechenland: "Die Liquidität ist offensichtlich knapp." Allein im Juli stehen in Athen Rückzahlungen von insgesamt 2,7 Milliarden Euro an. Die griechische Regierung hat das Geld derzeit nicht.

In Athen tagen die Vertreter der Geldgeber derzeit wegen eines von der Eurogruppe geforderten Extra-Sparpaket mit einem Umfang von 3,5 Milliarden Euro. Es soll vorsorglich vereinbart und nur umgesetzt werden, falls Budgetziele nicht erreicht werden.

Bei ausreichenden Fortschritten wollen die Euro-Finanzminister diese Woche am Donnerstag zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammenkommen. Ein schon länger debattierte Reformpaket mit Rentenkürzungen mit einem Volumen von fünf Milliarden Euro gilt hingegen schon als weitgehend vereinbart.