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Der griechische Patient

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Hellas tut sich schwer mit neuen Forderungen der Gläubiger, Tsipras muss erneut jeden Cent zusammenkratzen.


Athen. Was am Dienstag kurz nach 11 Uhr Ortszeit am Kai E 4 im Hafen von Piräus geschah, hatte für jeden Griechen einen hohen Symbolcharakter. In die ehrwürdige "Panagia Tinou", Baujahr 1972, 117 Meter lang, zuletzt von der Gewerkschaft der Seeleute ob offener Gehälter gepfändet und seither in Piräus vor Anker liegend, dringen plötzlich Wassermassen ein. Die Ursache? Unbekannt.

Der alte Kahn neigt sich rasch um 40 Grad nach links, der Schiffsuntergang scheint unvermeidlich. Doch die "Panagia Tinou" geht nicht unter. Sie verharrt in dieser schrägen Stellung. Weshalb? Das Meer ist an dieser Stelle glücklicherweise nur neun Meter tief. Sie kann daher gar nicht untergehen. Seetüchtig ist die "Panagia Tinou" aber auch nicht. So wie Hellas, möchte man meinen.

Ein paar Kilometer weiter nördlich in einem Athener Nobelhotel platzen just zu jenem Zeitpunkt des Fast-Untergangs der "Panagia Tinou" die schon seit Monaten laufenden Verhandlungen zwischen der Regierung unter dem linken Premier Alexis Tsipras und Hellas‘ öffentlicher Gläubiger-Quadriga aus EU, EZB, IWF und Europäischer Stabilitätsmechanismus. Es geht um neue, schmerzliche Spar- und Reformschritte im ewigen Euro-Sorgenland. Wieder einmal.

Dabei sah alles bis zuletzt eher undramatisch aus. Eine gütliche Einigung kündigte sich an, die Überweisung einer neuen Kredittranche ins chronisch klamme Athen inklusive. Denn Athen hat spät, aber brav ein neues Sparpaket geschnürt. Sein Volumen: 5,4 Milliarden Euro. Das Ziel: ein Haushaltsüberschuss (ohne Schuldenzahlungen) von 3,5 Prozent im Jahr 2018. Ganz so, wie es die Gläubiger wollen.

Kein Euro-Sondergipfel

Doch nun überschlagen sich in der unsäglichen Causa Hellas die Ereignisse wieder. Athen wurde mit der Forderung der Gläubiger überrascht, ein Extra-Sparpaket "auf Vorrat" zu beschließen - und zwar sofort. Es soll bei Bedarf aktiviert werden, um besagten Haushaltsüberschuss 2018 zu schaffen. Sein Volumen: 3,6 Milliarden Euro.

Zähneknirschend hat Tsipras im Grundsatz das Extra-Sparpaket akzeptiert. Er schlägt aber vor, die etwaigen Sparschritte für das Extra-Sparpaket nicht jetzt im Detail, sondern nur grob zu vereinbaren. Überdies sollen sie erst nach Bekanntgabe der Haushaltsüberschusse 2016 und 2017 im jeweils folgenden Frühjahr im Detail vereinbart, im Athener Parlament beschlossen und umgesetzt werden - falls überhaupt nötig. Alles andere sei laut Tsipras verfassungswidrig und hätte es in Europa auch noch nie so gegeben.

Doch die Gläubiger bleiben hart. Tsipras steckt in der Zwickmühle: Er will zwar eine schnelle Einigung. Gäbe er aber nach, wären nicht nur die weiteren Sparschritte zu konkretisieren - im sparmüden Hellas ist dies alleine schon eine Herkulesaufgabe. Ferner wäre zu klären, wann exakt welche konkrete Sparmaßnahme zu aktivieren wäre - objektiv eine hochkomplexe Sache.

Fakt ist: Ein von Athen geforderter Euro-Sondergipfel der Staats-und Regierungschefs zu den Hellas-Verhandlungen findet vorerst nicht statt. Tsipras rief am Mittwoch EU-Ratspräsident Donald Tusk an, um darüber seinen Verdruss zum Ausdruck zu bringen. Zugleich ersuchte er um einen baldigen EU-Sondergipfel der Regierungschefs. Doch Tusk erteilte Tsipras eine Abfuhr. Auch der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verwies Tsipras auf die Eurogruppe.

Für Griechenlands Premier ist dies alles ein Fiasko. Ursprünglich wollte Athen rechtzeitig vor dem christlich-orthodoxen Osterfest am 1. Mai die erste, längst überfällige Überprüfung des im vorigen Juli vereinbarten Kreditprogramms endlich abschließen. Tsipras’ Narrativ: So soll die darniederliegende griechische Wirtschaft "abheben".

Hellas‘ Staatsbankrott steht jedenfalls nicht bevor, zumindest nicht unmittelbar. Denn der Mai ist ein "leichter Monat". "Nur" 450 Millionen Euro an Schuldenzahlungen sind fällig. Auch den Juni können die Griechen mit 706 Millionen Euro wohl noch stemmen. Ohne frische Gelder droht Hellas die Staatspleite aber im Juli, wenn rund 3,5 Milliarden Euro zu berappen sind.

Wie schon bei der jüngsten Episode des schier unendlichen Griechenland-Dramas im Frühling 2015 kratzt die Regierung Tsipras wieder jeden Euro zusammen. Sie wies unter anderem die Arbeitsagentur OAED, die Gesundheitskasse EOPPY sowie Athens Parlament an, ihre Rücklagen auf ein Notenbank-Konto zu überweisen. Tsipras braucht die Gelder nicht zuletzt in der Flüchtlingskrise.

Trotz leerer Staatskassen: Die Regierung Tsipras brachte mitten im Verhandlungspoker mit der Gläubiger-Quadriga eine Gesetzesänderung ins Parlament ein, wonach Hellas‘ Kommunalangestellte mehr Gehalt bekommen - und zwar rückwirkend. Für die Gläubiger-Quadriga ein Affront.