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Gute Show, zweifelhafte Resultate

Von WZ-Korrespondent Peter Nonennmacher

Politik

Was hat Boris Johnson als Bürgermeister Londons eigentlich erreicht | in den vergangenen acht Jahren? Eine kurze Bilanz - bevor der Mann, der Premier werden will, weiterzieht.


London. Als "größten Job der Welt" bezeichnete Boris Johnson einmal das Amt des Bürgermeisters von London. Das war, als er dieses Amt vor acht Jahren übernahm. Nun, da er es abgibt, kann sich der Tory-Politiker einen anderen "größten Job der Welt" vorstellen. Johnson hält sich bereit, Partei- und Regierungschef David Cameron zu beerben, falls die Briten seinem Rat folgen und im Juni für den Austritt aus der EU stimmen sollten. Auf Camerons Sturz wartet Boris lange schon. Insofern fällt es dem scheidenden Londoner Stadtchef nicht schwer, dem vormals "größten Job der Welt" Farewell zu sagen. Das Amt hat, was ihn betrifft, seine Schuldigkeit getan. Mit Sturzhelm und Fahrrad auf Londons Pflaster ist der blonde Wuschelkopf zu einem festen Begriff der Insel-Politik geworden. Und mit Clownerie und cleverem Populismus sogar zum beliebtesten Politiker im Königreich.

Nicht einmal seine politischen Gegner würden bestreiten, dass Johnson mit seinem hohen Profil London geschickt zu verkaufen wusste. Dass er der ewig kapitalhungrigen City of London Investoren und superreiche Kundschaft aus aller Welt zugeführt hat.

Dennoch fragen sich viele Londoner, was an Substanz er der Stadt, der er acht Jahre lang vorstand, eigentlich hinterlässt. Denn obwohl der Tory-Politiker mit Hilfe einer perfekten PR-Maschinerie allem seinen Stempel aufdrückte in London, war nur das wenigste seine eigene Idee.

Zehren vom Vorgänger

Die "Boris Bikes" zum Beispiel, die kommunalen Leihfahrräder, verdankte London nicht ihm, sondern einer Initiative seines Labour-Vorgängers Ken Livingstone. Livingstone hatte auch Bus- und U-Bahnverkehr in London auf Vordermann gebracht, Fahrpreise niedrig gehalten und die elektronische Fahrkarte, die "Oyster Card", ausgetüftelt.

Johnson hingegen entschloss sich in einem Anfall von Wehmut, den alten Routemaster-Bus, den Bus mit offener Plattform, wieder einzuführen. Der sollte, in der neuen Version, "Boris Bus" heißen. Er erwies sich aber als superteuer und hat zum Verkehrsfluss wenig beigetragen. Auch andere Projekte dienten vor allem dem Prestige ihres Schöpfers - wie das Konzept einer kommerziell ausbeutbaren Gartenbrücke, die die "Boris Bridge" werden sollte.

Ein anderer Plan, der schnell ins Trudeln kam, war der eines 70-Milliarden-Pfund-Flughafens in der Themsemündung, auf "Boris Island". Den hielt so gut wie jedermann für Fantasterei. Immerhin gebaut wurde eine Seilbahn über die Themse, nahe dem Milleniums-Dom, die heute einsam und leer ihrer Wege zieht. Ein Reinfall? Eine Pleite? Woran sich die Leute erinnern, ist Johnson, fotogen an einem anderen, olympischen Drahtseil strampelnd, zur Feier einer britischen Goldmedaille, mit einem Union Jack in jeder Hand.

Statt sich mit kostspieligen Objekten dieser Art in Szene zu setzen, hätte Johnson besser etwas gegen die bedrohliche Luftverschmutzung in London unternehmen sollen, meinen bitter seine Kritiker. Einige Londoner Innenstadt-Straßen haben heute den höchsten Stickstoffdioxid-Gehalt in der ganzen Welt. Ebenso übel wird Johnson genommen, dass er einen wahren Wolkenkratzer-Boom zugelassen hat, der die alte Skyline Londons auf fatale Weise zu verändern beginnt.

Ein Wald aus Wolkenkratzern

Zusätzlich zu den schon erstellten Riesen sind über 400 neue Gebäude mit über 20 Stockwerken geplant. Dabei hatte Boris Johnson einmal feierlich versichert, ein "Dubai-on-Thames" werde es in seiner Amtszeit nicht geben. Stattdessen schießen, neben ein paar sehenswerten Einzelbauten, jede Menge aufgeblähter, alles überschattender Büro-Blocks für Großkonzerne und Luxus-Appartements für ausländische Investoren ins Kraut.

Londoner Architekten raufen sich verzweifelt die Haare. Eine Studie der Universitäten Sheffield und York spricht davon, Johnson böte sich den Superreichen der Welt bei dieser Verunstaltung Londons als eilfertiger "Platzanweiser und Butler" an. Nicht nur Londons Arbeiterschichten, sondern auch weite Teile der Mittelklasse können sich wegen der zusammen mit den Wohntürmen in die Höhe geschossenen Preise kaum noch in der Hauptstadt halten. An Wohnungsbau für die Massen aber war Johnson nie interessiert.

Akute Wohnungsnot charakterisiert darum zur Zeit London. Schon sind auch Mieten kaum noch zu bezahlen in der Stadt. Und die Fahrpreise sind ausser Kontrolle geraten. Die Kluft zwischen Arm und Reich an der Themse ist eklatant geworden. Für Johnsons Nachfolger, wer auch immer es sein wird, stellen sich in "Boris Town" fundamentale Fragen. Aber das kümmert Boris, der neue Abenteuer sucht, schon nicht mehr.