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"Das ist natürlich Flickwerk"

Von Werner Reisinger

Politik

Streit um Brenner-Grenze: Ex-Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch fordert mehr Engagement.


Wien/Brüssel. "Bitte den Reisepass vorweisen!" Diesen Satz werden viele Reisende an Europas Binnengrenzen auch weiterhin hören. Denn die Kontrollen an den Grenzen von Österreich, Deutschland sowie Schweden, Dänemark und Norwegen bleiben vorerst bestehen. Die EU-Kommission in Brüssel hat am Mittwoch entschieden, die Ausnahmeregelung des Schengen-Vertrags um weitere sechs Monate zu verlängern. Bis Jahresende soll das Schengen-System aber wiederhergestellt sein, kündigte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos an.

Dezidiert von den Kontrollen ausgenommen ist die Grenze zwischen Italien und Österreich am Brenner. Setzt Österreich seinen Plan des Grenzmanagements am Brenner tatsächlich um, so muss es die Kontrollen extra bei der EU-Kommission anmelden. Diese wird dann prüfen, ob die Maßnahmen notwendig und verhältnismäßig sind. Der Streit um den Brenner geht indes weiter. Italien und auch Deutschland seien "gänzlich gegen" die von Österreich geplanten Maßnahmen am Brenner, sagte Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi nach einem Gespräch mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag. "Wir müssen andere Lösungen finden als Grenzschließungen", kritisierte Merkel Österreichs Pläne.

Geht es nach Avramopoulos, soll die strittige Frage der Grenzkontrollen am Brenner von Italien und Österreich bilateral gelöst werden. In Wien sieht man in der Entscheidung Brüssels allerdings kein Hindernis, demnächst am Brenner zu kontrollieren. Im Innenministerium fühlt man sich bestätigt, "bei geänderter Lage" am Brenner Maßnahmen ergreifen zu können.

Petritsch: Brenner ist Symbol

Die Sinnhaftigkeit der österreichischen Pläne stellt Wolfgang Petritsch, Sozialdemokrat, ehemaliger Spitzendiplomat und Ex-EU-Sonderbeauftragter für den Kosovo, in Abrede. "Den Brenner wie eine ganz normale europäische Grenze zu betrachten ist ein Problem", sagt Petritsch im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Brenner stehe wie kaum eine Grenze als Symbol für die europäische Freizügigkeit, man habe es verabsäumt, aus der Geschichte die entsprechenden politischen Konsequenzen zu ziehen. Die selben Grenzmaßnahmen, die am Balkan zu einer äußerst gespannten Situation wie im griechischen Idomeni geführt hätten, wolle man nun auch an der Grenze zu Italien einführen: "Das Modell hat schon am Balkan nicht funktioniert und nun will man es auch am Brenner umsetzen."

Zigtausende Flüchtlinge und Migranten warten an der nordafrikanischen Küste auf die gefährliche Überfahrt nach Italien. "Wenn wir uns vorstellen, dass dann möglicherweise massenhaft Flüchtlinge am Brenner stehen, würden Österreichs einseitige Handlungen für Südtirol massive Probleme mit sich bringen", ist Petritsch überzeugt. "Ich bin erschrocken über diesen nichteuropäischen Zugang, gerade was diese historische Grenze angeht."

Sind aber die österreichisch-italienischen Beziehungen gut genug, um den Brenner-Streit bilateral zu lösen? Wolfgang Petritsch ortet eine bereits länger andauernde Schwäche in Österreichs Außenpolitik. Diese sei der Grund, wieso man schließlich zu restriktiven Maßnahmen gezwungen sei, deren Konsequenzen nicht richtig eingeschätzt würden. "Die österreichische Außenpolitik ist leider recht formalisiert und hat wenig Substanz. Es wurde verabsäumt, nachhaltige und auch in Krisensituationen tragfähige diplomatische Beziehungen zu etablieren, und genau solche wären nun besonders wichtig", so der ehemalige Spitzendiplomat.

"Ritualisierte gegenseitige Besuche, wo dann immer alles fine and dandy ist, sind zu wenig", sagt Petritsch in Anspielung an die letzten Visiten in Rom. Wenn es für die europäischen Staaten Probleme bereite, die EU-Außengrenzen, auch in Süditalien, gemeinsam zu kontrollieren und in den Problemregionen gemeinsam Initiativen zu setzen, müsse man zumindest Italien im Süden konkret helfen. "Da darf es nicht nur bei Höflichkeitsfloskeln bleiben." Diese Frage sei eine europäische Grundsatzentscheidung, so Petritsch, und an dieser müsse sich Österreich beteiligen.

Geld als Druckmittel

Österreichs Alleingang an seinen Grenzen verringere auch die Chancen auf eine europäische Einigung in der Asylfrage, befürchtet Petritsch. "Ein Ausklammern der Hauptbetroffenen - bei der Balkanroute Griechenland und Deutschland - führt letztendlich dazu, dass der Druck für eine gesamteuropäische Lösung schwindet. Wer spricht heute noch über eine solche? Wir sind froh, dass Mazedonien, eines der schwächsten Länder Europas, die Drecksarbeit macht - und jetzt wollen wir das selbe Modell auch am Brenner anwenden. Das ist natürlich Flickwerk, das kann so nicht funktionieren."

Österreich solle stattdessen intensiv auf Engagement auf der Ebene des europäischen Managements setzen, rät Petritsch - und gleichzeitig bei der ins Hintertreffen geratenen Außenpolitik nachholen. Finanzielle Sanktionen für Staaten, die nicht bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, sieht er nicht als Strafe an. So habe Ungarn seit seinem EU-Beitritt rund 53 Milliarden Euro aus Brüssel erhalten. Petritsch: "Das Geld muss man eben umwidmen. Es muss klar sein, dass es nur begrenzte Mittel gibt, und diese müssen eben entsprechend eingesetzt werden. Das wird Ungarn hart treffen, aber da sehe ich viele Möglichkeiten."

Strache provoziert

Weiter Öl ins Feuer goss am Donnerstag FPÖ-Chef Heinz Christian Strache. Im Gespräch mit der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" forderte er ein Referendum über die Wiedervereinigung Tirols mit Südtirol. Renzi und Merkel bezeichnete Strache implizit als Schlepper. Matteo Renzi reagierte prompt und bezeichnete die Aussagen des FPÖ-Chefs als "schandhaft".