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Ohne Hürden nach Europa

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Die Visumspflicht für Türken und Kosovaren soll wegfallen - was in der EU nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt.


Brüssel. Da waren es nur noch fünf. Hatte die Türkei vor wenigen Monaten noch nicht einmal die Hälfte der insgesamt 72 Bedingungen für die Aufhebung der Visumspflicht für ihre Staatsbürger erfüllt, bleibt mittlerweile nur noch ein knappes halbes Dutzend Kriterien zu gewährleisten. Dies hat die EU-Kommission nun offiziell festgestellt - und gleichzeitig die Visafreiheit für Türken empfohlen. Auch für die Kosovaren sollen die Reisebeschränkungen schon bald fallen. Für türkische Bürger soll dies ab Juli gelten - falls Ankara bis dahin die fünf Voraussetzungen erfülle, betonte Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans.

Die offenen Punkte betreffen etwa Maßnahmen zur Verhinderung der Korruption, die Justiz- und Polizeikooperation sowie eine Überarbeitung der türkischen Gesetze zur Terror-Bekämpfung. Diese geben den Behörden weitreichende Befugnisse zu restriktiven Maßnahmen, die sogar Regierungskritiker treffen können.

Die Türkei ist das einzige EU-Beitrittskandidatenland, dessen Bürger ein Visum für Reisen in die EU benötigen. Die Flüchtlingskrise bot Ankara die Gelegenheit, dies zu ändern. Der Deal mit Ankara war für die EU der Preis für die Unterstützung bei der Bewältigung der illegalen Einreisen nach Europa. Die Visafreiheit war dabei aus türkischer Sicht die wichtigste Zusage - und für die Regierungspartei AKP eine Errungenschaft, die innenpolitisch von großem Nutzen sein kann.

Allerdings gäbe es auch außen- und gesellschaftspolitische Vorteile, argumentieren Amanda Paul und Demir Murat Seyrek in einem Kommentar für die Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre. In den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU könnte das stark angeschlagene Vertrauen wieder aufgebaut werden. Und für die Bürger, die die zögerliche Haltung der Europäer im Beitrittsprozess ihres Landes immer mehr enttäuschte, wäre es ein gewichtiges Signal. "Die EU könnte die Herzen und Köpfe vieler pro-westlicher und pro-demokratischer Türken wiedergewinnen, und die Konsequenzen dessen könnten über die Visa-Angelegenheit hinaus gehen", schreiben die Politik-Analysten.

Kritik im EU-Parlament

Freilich gibt es auch zahlreiche Einwände. Geäußert werden sie schon im EU-Parlament, das der Visaliberalisierung zustimmen muss. Vorbehalte kamen sowohl aus den Reihen der Europäischen Volkspartei als auch der Liberalen. So kritisierte der CSU-Abgeordnete Markus Ferber den Vorschlag der EU-Kommission als "voreilig", da die Türkei die Kriterien noch nicht erfülle. Außerdem weist er darauf hin, dass die "Hauptlast an Deutschland hängen" bleiben würde. Denn dorthin, wo sie Verwandte haben, würden wohl etliche türkische Staatsbürger reisen. Die Linken in der EU-Volksvertretung werfen der Kommission wiederum vor, der Regierung in Ankara den Rücken zu stärken - trotz der "kritischen Demokratieentwicklung" im Land und der Kämpfe, die im Südosten der Türkei zum Tod hunderter Menschen und massenhaften Vertreibungen führten. Auch unter den Mitgliedstaaten, die die Visumfreiheit mit Stimmenmehrheit beschließen müssen, gibt es keineswegs ungeteilte Zustimmung. Manche Länder müssen das Vorhaben auch in ihren Parlamenten bewilligen lassen. Dazu gehören etwa die Niederlande, wo sich in einem Referendum vor einigen Wochen eine Mehrheit der Teilnehmer gegen ein Handelsabkommen der EU mit der Ukraine - und damit eine weitere Annäherung des Landes an die EU - ausgesprochen hat.

Die Empfehlung zur Befreiung von der Visumspflicht für die Kosovaren geht da in dieser Debatte fast unter. Der Kosovo ist der einzige Balkanstaat, dessen knapp zwei Millionen Bürger noch einen Sichtvermerk in ihren Pässen benötigen. Das soll sich nach dem Willen der Kommission "bald" ändern, wie der für Inneres und Migration zuständige Kommissar Dimitris Avramopoulos feststellte. Einen konkreten Termin nannte er aber nicht, denn diesem Vorhaben müssen EU-Parlament und Staaten ebenfalls noch zustimmen.

Und auch der Kosovo hat noch einige Bedingungen zu erfüllen: Er muss etwa seine Leistungsbilanz im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption verbessern. Dennoch zeigte sich die Berichterstatterin für den Kosovo im EU-Abgeordnetenhaus, die Grüne Mandatarin Ulrike Lunacek, erfreut über die Entscheidung der Kommission. Endlich werde die "Ausgrenzungspolitik" gegenüber dem Land beendet, befand sie.