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Tsipras erwartet Schuldenerleichterungen

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Der griechische Premier will ein Entgegenkommen von Brüssel.


Athen. Allen Unkenrufen zum Trotz: Für den gut informierten Beobachter durchaus erwartungsgemäß hat das Athener Parlament am Sonntagabend ein neues Sparpaket verabschiedet. Wer auf Abweichler unter den Regierungsabgeordneten spekulierte, der irrte gewaltig. Alle 153 Regierungsabgeordneten vom "Bündnis der Radikalen Linken" ("Syriza") und "Unabhängigen Griechen" ("Anel") votierten dafür.

Alle sechs Oppositionsparteien, darunter die vier pro-europäischen Parlamentsparteien unter Anführung der konservativen Nea Dimokratia (ND), stimmten hingegen geschlossen gegen das Sparpaket des linken Premiers und Syriza-Chefs Alexis Tsipras.

Auch die Streiks und tagelangen Demonstrationen vor der "Vouli", Athens Parlament, nutzten nichts. Tsipras und Co. peitschten das Gesetzespaket konsequent durch - und zwar pünktlich vor der gestrigen Eurogruppensitzung in Brüssel. Auf der Agenda stand die Causa Hellas. Wieder einmal.

Konkret billigte das Parlament neuerliche Pensionskürzungen. Das angestrebte Sparvolumen: 1,8 Milliarden Euro. Ferner sollen weitere 1,8 Milliarden Euro durch Steuererhöhungen in die Staatskasse fließen. Doch das ist nicht alles: Alsbald soll Athen auch über Erhöhungen der indirekten Steuern entscheiden. Sparvolumen: weitere 1,8 Milliarden Euro. Die Summe der neuen Sparanstrengungen in Athen: kumuliert 5,4 Milliarden Euro. Dies sind stattliche drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Viele befürchten, dass die neuen Anstrengungendie griechische Wirtschaft in eine weitere Abwärtsspirale schicken wird. Dennoch: Regierungschef Tsipras und sein Koalitionspartner, Anel-Chef Panos Kammenos, warben in ihren Reden eindringlich für ein Ja.

Zuerst das Geld

Ihr Credo: Die Griechen müssten die Sparrunde ertragen, damit Athen endlich als Gegenleistung von seinen öffentlichen Gläubigern EU, Europäischer Zentralbank EZB, Internationalem Währungsfonds IWF sowie Europäischer Stabilitätsmechanismus eine Erleichterung seiner immensen Staatsschuld von 321,33 Milliarden Euro (Stand: per Ende 2015) erhalte. Athens klare Botschaft an Brüssel und Washington: "Wir Griechen liefern, jetzt seid Ihr dran."

Ökonomisch hält Tsipras eine baldige Schuldenerleichterung für eine unabdingbare Voraussetzung für die wirtschaftliche Gesundung des Landes.

Aber auch politisch müsse seine Regierung nicht nur "geben", sondern auch etwas als Belohnung für seine Sparanstrengungen "nehmen", um politisch eine längere Lebensdauer zu haben als die Vorgängerregierungen.

Knackpunkt Provisorium

Obgleich Athens Finanzminister Euklid Tsakalotos auf der Eurogruppensitzung mit dem frischen Spar-Votum im Gepäck erschien, war auch ihm schon im Vorfeld klar, dass es gestern keine endgültigen Entscheidungen geben würde. Die Knackpunkte: Neben der Schuldenfrage weitere Sparmaßnahmen "auf Vorrat" im Volumen von zusätzlich 3,6 Milliarden Euro. Darauf pocht vor allem der IWF. Nur so könne der im laufenden Griechenland-Programm angestrebte primäre Haushaltsüberschuss (ohne Schuldendienst) von 3,5 Prozent im Jahr 2018 überhaupt erreicht werden - trotz des neuerlichen Sparpakets von 5,4 Milliarden Euro.

Athen sieht das anders. Immerhin: Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem bemühte sich am Montag darum, Zuversicht zu versprühen: "Wir werden heute eine erste, tiefgehende Diskussion haben und versuchen, bis zum 24. Mai eine Einigung zu erreichen."

Das lässt Tsipras hoffen. An vorgezogene Neuwahlen oder ein Referendum wie im vergangenen dramatischen Sommer denkt der gewiefte Taktiker dem Vernehmen nach weiter nicht. Dafür sieht er schlicht keinen Anlass. Die Syriza-Fraktion steht geschlossen hinter ihm, wie die Abstimmung am Sonntag auch hartnäckigen Zweiflern offenbarte. Auch Anel-Chef Panos Kammenos braucht keine Abweichler zu fürchten.

Keine Urnengänge bis 2019

Anders als im Dezember 2014, als Tsipras als damaliger Athener Oppositionschef, vor der anstehenden Präsidentenwahl vorgezogene Parlamentswahlen erzwingen konnte, hat der jetzige Regierungschef Tsipras in Athen zudem getreu einer griechischen Redensart "sowohl die Melone, als auch das Messer in der Hand".

Denn: Ob für das Präsidentenamt, für Bürgermeisterposten, Regionalverwaltungen oder für das Europaparlament - bis 2019 stehen überhaupt keine Urnengänge in Griechenland an. Überdies liegt Syriza laut Umfragen derzeit klar hinter der ND.

Nur der zunehmende Verdruss der Bevölkerung könnte Tsipras das Genick brechen: Der Unmut schlug am Sonntag in Athen in Gewalt um. Drakonische Sicherheitsvorkehrungen traf die Polizei auch vor der Villa Maximos, dem Sitz von Premier Tsipras. Der Zugang wurde auch durch eine andere, bis dato einmalige Maßnahme unmöglich gemacht. Der nahegelegene Nationalgarten wurde kurzerhand gesperrt.

Wer dies vor Tsipras’ Machterwerb im Jänner 2015 vorausgesehen hätte, wäre reif für die Einlieferung in die führende Athener Psychatrie "Dafni" im Westen der Vier-Millionen-Metropole erklärt worden.