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Der Staat bin ich

Von Werner Reisinger

Politik
© Moritz Ziegler

Was macht das Phänomen Staatsverweigerer aus und woher kommt es?


Wien. Irre, Spinner, psychisch Kranke? Esoteriker und Verschwörungstheoretiker? Anarchisten, Rechtsextreme? Kriminelle Geschäftemacher? Wer sich intensiv mit der heimischen Staatsverweigerer-Szene auseinandersetzt, kommt rasch auf einen Punkt: Das Phänomen ist schwer zu fassen. Generalisierende Aussagen zu den Motiven, den Zielen und zur Zusammensetzung der Szene zu treffen, ist so gut wie unmöglich. Auch die Frage, warum die Bewegung gerade jetzt so starken Zulauf erhält, ist schwer zu beantworten. Zu heterogen ist das Milieu, tiefergehende Forschungen soziologischer Natur liegen zumindest für den deutschsprachigen Raum noch nicht vor. Zu den deutschen Reichsbürgern, die sich stark mit dem klassischen Rechtsextremismus überschneiden, gibt es zwar starke Analogien, was Vorgehen und Programmatik betrifft. In ihrer Aggressivität und Gewaltbereitschaft sind Reichsbürger und österreichische Staatsverweigerer allerdings nicht vergleichbar - auch wenn Justiz und Exekutive vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft der heimischen Szene warnen.

In der Tat hat vor allem der Fall des Pseudogerichtshofs "ICCJV" ("International Common Law Court of Justice Vienna") und dessen "Sheriffs" gezeigt, dass Teile der Szene nicht nur ideologisch gefestigt und aggressiv, sondern auch bewaffnet sind. Woher aber kommt das Phänomen überhaupt?

"Souveräne" und Milizionäre

Die Wurzeln der Staatsverweigerer-Ideologie liegen in den USA, wo sich die extremistische "Souvereign Citizens"-Bewegung auf eine lange Tradition der Ablehnung der US-Regierung in Teilen der Bevölkerung stützen kann. Besonders in den Südstaaten und den Staaten des Mittleren Westens ist der Hass auf die Politik und die Exekutive teils weit verbreitet. Häufig finden sich dort reaktionäre, radikal-evangelikale Milizen ("Militia-Bewegung"), die eine autarke, ultralibertäre Lebensweise anstreben. Oft sind es Waffennarren, denen selbst die freizügigen US-Waffengesetze nicht ausreichen, die sich zu "Souveränen" radikaliseren - nicht gerade selten mit tödlichen Konsequenzen, vor allem für Polizeibeamte.

Dennoch unterscheiden die US-Behörden zwischen den bewaffneten "Milizionären" und den "Souveränen", denen es vor allem um die Drangsalierung von Steuerbehörden und, wie auch hierzulande, um die Ablehnung von Gerichtsbarkeit und um den Aufbau von eigenen, pseudostaatlichen Strukturen geht. Zahlreiche "Souveräne" finanzieren sich über betrügerische Geschäfte, ziehen Versicherungsbetrug in großem Stil auf oder verkaufen Gleichgesinnten gefälschte Dokumente und Autokennzeichen.

Auch die "One Peoples Public Trust" (OPPT)-Bewegung kommt aus den USA. Es handelt sich hierbei um die absurde Vorstellung, dass mittels einigen - wohl absichtlich missverstandenen - Bestimmungen im Handelsrecht die Möglichkeit eröffnet worden sei, alle Staaten der Welt mittels einer Zwangsvollstreckung quasi rechtlich aufzulösen. Staaten an sich, so die zugrunde liegende Verschwörungstheorie, seien eigentlich Firmen - schließlich würden sie ja auch im internationalen Handelsregister UCC aufscheinen.

Heute sei der "Trust" aufgelöst, da er seinen "Zweck erledigt" habe, denken auch heimische Staatsverweigerer. Den OPPT gebe es nicht mehr, heißt es. Die Methodik, missliebige Personen einfach mit erfundenen Schuldbeträgen in das UCC-Register einzutragen und zu versuchen, die Beträge auch zur Vollstreckung zu bringen, wird dennoch angewandt - zum Leidwesen der betroffenen Gerichtsvollzieher, Bürgermeister, Gemeindebediensteten und anderen Beamten.

Gesellschaftspolitische Aufgabe

Wieso tritt die Bewegung in Österreich erst in den letzten Jahren verstärkt in Erscheinung? Häufig kämpfen Staatsverweigerer gegen den als Unrechtsystem erlebten Staat, sehen die Politik als elitäre, verlogene Clique an. Nicht selten sind es privat oder beruflich gescheiterte Existenzen, die mit dem Kopf durch die Wand wollen. Führungspersonen, die den Eindruck einer realen Chance auf einen Systemwechsel vermitteln, tun ein Übriges. Die enorme Konjunktur, die (zu allermeist antisemitische) Verschwörungstheorien aktuell erleben, die wachsende Ablehnung etablierter Medien, sind ein idealer Nährboden. Die Esoterik-Szene kann schon lange nicht mehr als "alternativ" und progressiv gelten: völkisches, braunes und neuheidnisches Gedankengut dominiert hier inzwischen - wieder.

Nun soll der Tatbestand der staatsfeindlichen Verbindung verschärft werden. Der Staat müsse sich gegen weitere Attacken wappnen, lautet das Argument der Politik. Die Gefahr des Missbrauchs gegen Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen, wie dies vor einigen Jahren rund um den sogenannten Tierschützer-Prozess der Fall war, sei zu groß, warnen Kritiker der geplanten Strafrechtsreform. Die Gesetzeslage sei ausreichend.

Justiz und Exekutive aber können auf die Entwicklung nur reagieren. Wer dem Phänomen Staatsverweigerer beikommen will, muss die tieferen (gesellschafts)politischen, sozialen und ökonomischen Grundlagen der Entwicklung analysieren - und auf diese reagieren. Das Bildungswesen muss auf die Wirkungsmacht von Verschwörungstheorien und esoterischem Gedankengut ernst nehmen und versuchen, aufzuklären. Gefordert ist nicht nur die Politik, sondern die gesamte Gesellschaft. Denn dass es sich bei den Staatsverweigerern nicht bloß um harmlose Spinner handelt, sondern die Bewegung eine reale Gefahr darstellt, das steht auch für die Kritiker der geplanten Gesetzesverschärfung außer Streit.