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Wachstumsfreude und Schuldenqualen

Von Alexander Dworzak

Politik

Kanzler Christian Kern will beim Wirtschaftswachstum an Schweden anknüpfen. Dort stehen der Hochkonjunktur enorme Schulden der Bürger gegenüber. Experten sind sich uneins, ob gar eine Immobilienblase à la USA droht.


Stockholm/Wien. Ernüchternde Zahlen brachte die EU-Frühjahrsprognose Anfang des Monats: Demnach wächst Österreichs Wirtschaft 2016 im Vergleich zum Vorjahr nur um 1,5 Prozent. Das bedeutet Rang 21 von 28 Unionsmitgliedern. Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge schneidet Österreich noch schlechter ab, beträgt das heurige Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) lediglich 1,2 Prozent. Soll der von Christian Kern angekündigte "New Deal" Wirklichkeit werden, muss die Wirtschaft in den kommenden Jahren jedoch brummen. Auf der Suche nach Vorbildern blickt der neue Kanzler gen Norden: "In Schweden diskutiert man derzeit, wie man die Überhitzung der Wirtschaft verhindern kann", sagte Kern gleich bei seiner ersten Pressekonferenz als Chef von Regierung und SPÖ.

Tatsächlich wartet das skandinavische Land mit einer beeindruckenden Wachstumsprognose auf, für 2016 wird mit einem Plus von 3,7 Prozent gerechnet. Im vergangenen Jahr lag Schweden sogar bei 4,1 Prozent, während Österreich bei 0,9 Prozent dümpelte. Albrecht Zimburg, der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Stockholm, zählt gegenüber der "Wiener Zeitung" drei Gründe für die schwedische Hochkonjunktur auf: "Investitionen schwedischer Unternehmen, Konsum und öffentliche Ausgaben sind in etwa zu je einem Drittel dafür verantwortlich."

Nach Abwahl der bürgerlichen Koalition von Langzeit-Premier Fredrik Reinfeldt regiert seit 2014 ein rot-grünes Minderheitskabinett. Dessen Start verlief holprig, die schwedische Industrie hielt sich daher weitgehend mit Investitionen zurück. Mit einem überarbeiteten Budget 2015 sicherte sich der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven schließlich auch die Zustimmung der vier Mitte-Rechts-Parteien zum Haushaltsplan. Auch ein Bauprogramm mit rund 2800 Tiefbauprojekten, zum Beispiel im Bahnsektor, wurde initiiert.

Vertrauen gewonnen

Diese politische Einigung schaffte Vertrauen bei den Unternehmern. Sie waren durch die Finanz- und Wirtschaftskrise schwer in Bedrängnis geraten. Die Wirtschaft war 2009 um 5,2 Prozent geschrumpft, während Österreich mit minus 3,8 Prozent vergleichsweise gut abgeschnitten hatte. "Österreich hat die Krise bei den Exporten schnell aufgefangen. Bei den Schweden dauerte es länger, weil die großen Unternehmen, wie große Tanker, länger für eine Richtungsänderung brauchten", sagt Zimburg.

So brachen der schwedischen Holzindustrie damals die Märkte in den EU-Krisenländern Spanien, Portugal und Griechenland sowie in Nordafrika weg. Auch die Automobilindustrie, wichtigster Exportzweig des Landes, sah unsicheren Zeiten entgegen: Ford verkaufte 2010 Volvos Pkw-Sparte an den chinesischen Konzern Geely. Doch anstatt, wie befürchtet, Volvo ausbluten zu lassen, blühten die Göteborger unter dem neuen Eigentümer auf - während Konkurrent Saab Ende 2011 Insolvenz anmelden musste. Volvo hingegen steigerte seinen Umsatz von 113 Milliarden Kronen 2010 auf 164 Milliarden Kronen (17,3 Milliarden Euro) 2015, mehr als eine halbe Million Fahrzeuge wurden im Vorjahr verkauft.

Zugute kommen der gesamten schwedischen Industrie dabei die extrem niedrigen Zinssätze. Die Zentralbank hält den Leitzins bei minus 0,5 Prozent. Wie die EZB in der Eurozone scheitert auch Schweden, die Inflation auch nur in die Nähe der Zwei-Prozent-Zielmarke zu bringen. Im April lag die Teuerungsrate bei nur 0,8 Prozent. Mehr noch: Um Deflation zu vermeiden, muss die Riksbank die Krone schwächen. Alleine in der zweiten Jahreshälfte wird sie schwedische Staatsanleihen über 45 Milliarden Kronen (4,8 Milliarden Euro) kaufen. Die schwache Krone wiederum entzückt die exportorientierte Industrie.

Die Unternehmen investieren dank billigen Geldes, die Bürger konsumieren, anstatt zu sparen. Und sie flüchten in kreditfinanziertes Betongold. Dabei geht die Schere zwischen benötigten und tatsächlich gebauten Häusern und Wohnungen immer weiter auseinander. Im Zehn-Millionen-Einwohner-Land werden bis 2020 rund 500.000 Wohnungen benötigt.

Gestiegen ist der Bedarf auch infolge der Flüchtlingskrise. 160.000 Personen beantragten 2015 Asyl in Schweden. Die neu Angekommenen brauchen nicht nur Unterkünfte, sondern auch Jobs. 7,1 Prozent beträgt Schwedens Arbeitslosenquote nach Eurostat-Berechnung, in Österreich sind es 5,8 Prozent (nach nationaler Definition 9,1 Prozent). In beiden Ländern liegt die Quote bei gering Qualifizierten deutlich höher.

Jene, die einen Wohnungskredit in Schweden aufnehmen können, sorgen für eine Preisspirale nach oben: Um zehn Prozent sind die Wohnungs- und Hauspreise alleine 2015 im landesweiten Schnitt gestiegen, in der Hauptstadt Stockholm und dessen Umland betrug das Plus gar 13,6 Prozent. Der starke Anstieg ist ein jahrzehntelanger Trend, nur unterbrochen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008. Davor, von 1996 bis 2007, stiegen die Immobilienpreise im Großraum Stockholm um 219 Prozent (inflationsangepasst um 119 Prozent).

Dementsprechend ist auch die Verschuldung der schwedischen Haushalte seit Mitte der 1990er explodiert. Experten sind sich uneins, ob eine Immobilienblase droht. Steve Keen, Wirtschaftsprofessor an der Kingston University London, listet in einem Beitrag für "Forbes" jene Länder, in denen in den kommenden ein bis drei Jahren eine Schuldenkrise am wahrscheinlichsten ist. Schweden rangiert dabei auf Rang drei, nur in China und Australien sei die Lage noch dramatischer. Keen zufolge wachsen die ohnehin bereits hohen privaten Schulden im Vergleich zum BIP zu schnell.

"Ich habe zwar auch Bedenken, nach einer Blase schaut es dennoch nicht aus", kalmiert hingegen John Hassler, Ökonomie-Professor an der Universität Stockholm. Er verweist auf den Wechsel auf dem Immobilienmarkt. Miete wurde weitgehend von Eigentum abgelöst, was automatisch einen Preisanstieg mit sich brachte. "Nicht das Preisniveau per se ist unhaltbar, jedoch sind es die Preissprünge", sagt Hassler im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Wie lange sich die Bürger noch bei den Banken Geld leihen und umgekehrt die Banken Vertrauen in die Bonität der Bürger haben, ist letztlich unklar.

Niedrige Staatsschulden

Hohen privaten Schulden steht in Schweden eine niedrige Staatsschuldenquote gegenüber - umgekehrt zu Österreich. Denn ausgerechnet der sozialdemokratische Premier Göran Persson fuhr in den 1990ern ein beinhartes Sparprogramm, kürzte Staatsausgaben, öffentliche Investitionen und Sozialtransfers rigoros. Mit einer Verschuldung von 45 Prozent des BIP 2014 liegt Schweden weit unter dem Schnitt der 28 EU-Länder von 86,8 Prozent und Österreich mit 84,3 Prozent. Gegenüber dem Jahr 2007, vor Einbruch der Finanz- und Währungskrise und bevor das Hypo-Desaster hierzulande schlagend wurde, sind die öffentlichen Schulden in Schweden um lediglich sechs Prozentpunkte gestiegen; in Österreich sind es 20 Prozentpunkte, im EU-Schnitt gar 29 Prozentpunkte.

Der staatlichen schwedischen Schuldenlast komme dabei auch zugute, dass die von den Arbeitslöhnen zu zahlenden Pensionsbeiträge mit 27 Prozent wesentlich höher seien als die 22,8 Prozent bei österreichischen ASVG-Pensionen, so Josef Wöss, Leiter der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien im Blog "Arbeit-Wirtschaft". Viele Schweden können es sich nicht leisten, frühzeitig in Pension zu gehen, das durchschnittliche Antrittsalter liegt bei knapp 64 Jahren (Österreich: 60,2). Wirtschaftsdelegierter Zimburg fuhr in Schweden schon mit einer 70-jährigen Taxifahrerin, die weiterarbeiten musste: "Besonders sicher fuhr sie aber nicht mehr."