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Justizstreit mit Polen eskaliert

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Nach einem Mahnschreiben der EU-Kommission verhärtet sich der Zwist um das Verfassungsgericht.


Brüssel/Warschau. Am Ende sagte Frans Timmermans: "Dziekuje." Doch auch wenn sich der Vizepräsident der EU-Kommission nach seinem Presseauftritt in Brüssel auf Polnisch bedankte, wusste er, dass er sich in Warschau keine neuen Freunde machte. Denn soeben hatte er verkündet, dass die EU-Kommission die Prüfung der Rechtsstaatlichkeit fortsetze - und noch dazu auf einer weiteren Stufe. Sie schickte an die polnischen Behörden eine Stellungnahme, in der sie ihre Bedenken mitteilte. Die betreffen vor allem umstrittene Postenbesetzungen und Änderungen im Verfassungsgerichtshof.

Auf den Sturm der Internet-Entrüstung musste Timmermans nicht lange warten. Via Kurznachrichtendienst Twitter machten schon nach kurzer Zeit einige Nutzer ihrer Empörung über die Einmischung der Union in Polens Angelegenheiten Luft. Denn als solche wird das im Jänner von der Kommission eingeleitete Verfahren in Teilen der Öffentlichkeit angesehen - und die nationalkonservative Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) will diese Behauptung nicht unbedingt widerlegen. Im Gegenteil: Premierministerin Beata Szydlo und etliche Mitglieder ihres Kabinetts wiederholen immer wieder, dass der Zwist um die Verfassungsrichter in und von Polen gelöst werden müsse.

Dem widerspricht Timmermans übrigens gar nicht. Die Kommission wolle lediglich dabei helfen, die Regeln einzuhalten, denen sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet haben, meinte der Niederländer. Dies sei nun einmal die "kollektive Verantwortung" der Union.

Dialog mit Bedingungen

Diese Sichtweise teilen etliche PiS-Politiker jedoch nicht. So schaukelte sich die öffentliche Debatte in Polen in den vergangenen Wochen hoch; die Regierung wird auf der einen Seite zum patriotischen Bollwerk gegen feindliche Eingriffe von außen hochstilisiert und von Kritikern auf der anderen Seite eines weit reichenden Imageschadens beschuldigt, unter dem das Land noch Jahre leiden würde. Von einer Kraftprobe, von Gewinnern und Verlierern ist viel die Rede. Die Zusammenarbeit in der Lösungsfindung, der "konstruktive Dialog", von dem die Kommission gern spricht, kommt da schon seltener vor. Selbst wenn, dann steht das nicht im Mittelpunkt.

So betonte PiS-Sprecherin Beata Mazurek nach der Ankündigung Timmermans’ gegenüber Journalisten in Warschau zwar die Bereitschaft zum Gespräch und Kompromiss. Doch gleich fügte sie hinzu, dass die EU-Kommission nicht die inneren Angelegenheiten des Landes regeln werde und ihr die Unionsverträge nicht einmal die Berechtigung geben, auf diese Art Stellung zu nehmen. Stattdessen solle sich die Behörde lieber mit "realen Problemen, die die Einheit und Sicherheit der EU gefährden", beschäftigen, befand Mazurek und nannte die Flüchtlingskrise und das bevorstehende Referendum über Großbritanniens EU-Mitgliedschaft.

Die Verhandlungsbereitschaft hat auch für den zuständigen Vize-Außenminister Konrad Szymanski ihre Grenzen. "Konsultationen über Anti-Krisenszenarien" können weiterhin geführt werden, erläuterte er der Nachrichtenagentur PAP: "Das bedeutet aber nicht, dass wir mit jeder Lösung einverstanden sind." Um die zu ermöglichen, müssen drei Streitpunkte beseitigt werden, wie die Kommission in ihrem Schreiben darlegt.

Es geht um Personaländerungen und geplante Reformen im Verfassungsgericht sowie die Veröffentlichung von Urteilen. Denn die Regierungspartei PiS möchte das Tribunal umbauen; der aus ihren Reihen stammende Staatspräsident, Andrzej Duda, hat bereits die Vereidigung einiger dem Kabinett nicht genehmer Richter verhindert und stattdessen andere Amtsträger angelobt. Hinzu kommt, dass die angestrebten neuen Regeln die Arbeit des Gerichts lähmen könnten. Zu den Vorgaben gehört beispielsweise, künftig mit Zwei-Drittel-Mehrheit entscheiden und Fälle chronologisch statt nach ihrer Bedeutung bearbeiten zu müssen. Die geplanten Änderungen in eigener Sache hat das Tribunal auch schon als verfassungswidrig bezeichnet. Doch Premier Szydlo weigerte sich bisher, das Urteil zu veröffentlichen. Was die Kommission eben auch kritisiert.

Warnung vor Sanktionen

Für die Opposition ist dies Wasser auf ihre Mühlen. Die Brüsseler Behörde habe bestätigt, was schon seit längerer Zeit bekannt sei, erklärte der Vorsitzende der liberalen Partei Nowoczesna (Moderne), Ryszard Petru: Der Präsident und die Premierministerin würden das Recht brechen. Grzegorz Schetyna, der an der Spitze der im Vorjahr abgewählten Regierungsfraktion PO (Bürgerplattform) steht, sprach von "schlechter PiS-Politik" und der "absurden Situation", dass in dem verfahrenen Verfassungsstreit alle Bürger zu Geiseln geworden seien.

Beide Politiker warnten vor Sanktionen gegen Polen. Das EU-Verfahren sieht nämlich in einem letzten Schritt Strafmaßnahmen wie den Entzug des Stimmrechts bei Ministersitzungen vor. So weit ist es freilich noch lange nicht. Zunächst hat Warschau zwei Wochen Zeit, die Stellungnahme der Kommission zu beantworten. Geschieht später noch immer nichts, folgen aus Brüssel konkrete Empfehlungen. Erst bei weiterer Nicht-Beachtung könnte es Sanktionen geben. Das müssten die Mitgliedstaaten aber billigen.

Trotzdem polarisiert die Debatte schon jetzt. Und das zeigt sich nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft. Dabei hat nicht nur das Ringen um das Verfassungsgericht viele Polen alarmiert. Es waren vielmehr das Tempo und die Bestimmtheit, mit denen die Regierungspartei mit ihrer Parlamentsmehrheit Reformen durchsetzt. Zehntausende Menschen gingen bereits auf die Straßen, um gegen dieses Vorgehen zu protestieren. Anfang Mai waren es sogar hunderttausende Bürger. Weitere Demonstrationen sind schon angesagt.