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"EU-Beitritt ist Hauptziel Georgiens"

Von Gerhard Lechner

Politik

Georgiens Außenminister Micheil Dschanelidse unterstreicht die Westorientierung seines Landes.


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Am Mittwoch haben Deutschland und andere große EU-Staaten eine schnelle Entscheidung über die Aufhebung der Visumpflicht für Georgier blockiert - manche befürchten, dass kriminelle Banden die Liberalisierung nutzen könnten. Die EU-Kommission hatte hingegen zuletzt offiziell festgestellt, dass Georgien die Voraussetzungen für die Aufhebung des Visumzwangs erfüllt. Über dieses und andere Themen hat die "Wiener Zeitung" mit dem georgischen Außenminister Micheil Dschanelidse ein Gespräch geführt.<p>"Wiener Zeitung": Herr Außenminister, die EU hat für Georgier eine Visa-Liberalisierung geplant, aber bis heute noch nicht ins Werk gesetzt. Wie beurteilen Sie die gegenwärtigen Beziehungen mit der EU?<p>Micheil Dschanelidse: Wir haben mit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens 2014 einen großen Erfolg erreicht. Jetzt, nach dem 1. Juli, wird dieses Abkommen auch offiziell voll in Kraft treten. Der nächste Schritt in unserem europäischen Integrationsprozess ist die Visa-Liberalisierung. Georgien hat eine Reihe von Reformen umgesetzt. Die EU-Kommission hat bestätigt, dass wir alle relevanten Kriterien für die Visafreiheit erfüllt haben. Damit werden nicht nur georgische Unternehmer neue Möglichkeiten vorfinden. Es werden auch mehr georgische Touristen in die EU kommen. Bei der Visa-Liberalisierung gibt es wirklich keine Risiken.<p>Wann wird Ihrer Ansicht nach das freie Reisen für Georgier starten?

Sieht Georgien als Europas Brücke nach Asien: Micheil Dschanelidse.
© Andreas Urban

<p>Unser Problem ist, dass die georgische Visa-Liberalisierung bis jetzt stets zusammen mit der Visa-Liberalisierung für andere Länder diskutiert wurde. Die Migrationskrise hat in der EU natürlich zusätzlich die Sensibilität in dieser Frage erhöht. Es handelt sich aber um zwei komplett verschiedene Problembereiche. Wir reden über Visafreiheit für georgische Bürger, die alle nötigen Kriterien erfüllt haben. Das hat nichts zu tun mit illegaler Einwanderung in die EU. Es handelt sich nur um touristischen Austausch. Wir rufen alle EU-Staaten und das EU-Parlament dazu auf, die Entscheidung über Georgien so bald wie möglich zu treffen - und zwar unabhängig von der Performance anderer Länder. Wir hoffen, dass das so bald wie möglich über die Bühne geht und dass Georgien nicht eine Geisel einer komplett anderen Problematik in Europa wird.<p>Georgien gilt als das pro-westlichste Land in der Kaukasusregion. Warum eigentlich?<p>Es war immer schon ein Wunsch der Bevölkerung Georgiens, der freien Welt anzugehören. Georgien war geografisch immer ein Teil Europas und wird immer ein Teil Europas sein. Jetzt wollen wir auch institutionell zu diesem Europa gehören. Wir glauben, dass die Reformen im Zuge der EU-Assoziierung unser Land stärker machen. Für uns geht es darum, dass wir zu einer Gruppe von Ländern gehören wollen, mit denen wir dieselben Werte und Interessen teilen. Dieser Kurs wird auch von der Bevölkerung in Georgien unterstützt: 85 Prozent der Bevölkerung wollen laut Umfragen die europäische Integration des Landes. Die Menschen glauben an den europäischen Begriff von Freiheit und an die europäischen Werte.<p>Derzeit befindet sich die EU aber in einer großen Krise, die so schnell nicht zu enden scheint. Statt weiterer Erweiterungsschritte gibt es Zerfallstendenzen. Ein EU-Beitritt Georgiens scheint völlig außer Sichtweite. Ist die georgische Politik da nicht auf Wunschdenken aufgebaut? Wo sehen Sie eine echte Chance für Georgien auf einen EU-Beitritt?<p>Wir wissen durchaus, dass Europa derzeit für weitere Erweiterungsschritte nicht bereit ist. Aber mit dem Assoziierungsabkommen und mit den Reformen, die mit ihm verbunden sind, bereiten wir uns auf den Moment vor, an dem die EU-Erweiterung wieder an Fahrt gewinnt. Das Assoziierungsabkommen hat Georgien schon eine Menge gebracht. Wir haben in Georgien heute bereits starke demokratische Institutionen, die funktionieren. Wir setzen Reformen in allen Bereichen um, die mit den europäischen Prinzipien verbunden sind. Wir bereiten Georgien auf die eventuelle EU-Mitgliedschaft vor. Ein EU-Beitritt ist das Hauptziel Georgiens.<p>Was würde ein georgischer Beitritt der EU bringen?<p>Erstens ist die EU bereits heute für Georgien der Handelspartner und Investor Nummer eins. Zweitens ist Georgien für die Energiesicherheit Europas wichtig. Wir leiten Gas aus kaspischen Gasvorkommen nach Europa, pumpen Gas zu den transanatolischen und transadriatischen Pipelines. Zudem fungiert Georgien als Brücke nach Asien. Wir verbinden Europa mit dem Transkaukasus, mit Zentralasien und sogar mit dem Fernen Osten. Georgien investiert heute eine Menge in Infrastruktur, in Straßen, Eisenbahnstrecken und Häfen, um den Handel zwischen Europa und Asien einfacher zu machen. Wir unterstützen Europa auch sicherheitspolitisch, nehmen an den Missionen in Mali und Zentralafrika teil, haben in Afghanistan eine große Anzahl an Soldaten eingesetzt. Wir stehen also Schulter an Schulter mit unseren europäischen Partnern.<p>Georgien befand sich 2008 im Krieg mit Russland, russische Truppen stehen heute in Abchasien und Südossetien. Wie geht Ihre Regierung mit dieser Situation um?<p>Dass Russland im 21. Jahrhundert georgische Gebiete besetzt hält, ist nicht nur für Georgien eine große Herausforderung, sondern eine für die gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur. Die Aufgabe Georgiens ist es, auf dem von uns kontrollierten Gebiet den Frieden zu sichern. Leider ist die Situation in den besetzten Gebieten immer noch schlecht. Russland setzt auf eine Politik, die diese georgischen Gebiete letztlich in die russische Föderation integrieren soll.<p>Gab es bei dem Konflikt um Abchasien und Südossetien nicht auch Fehler von Seiten Georgiens? Beispielsweise soll Ex-Präsident Swiad Gamsachurdia zu Beginn der 1990er Jahre gegenüber den Minderheiten in Georgien eine forciert nationalistische Politik vertreten haben.<p>Es gibt natürlich unterschiedliche Blickwinkel auf das, was den Konflikt in Georgien ursprünglich ausgelöst hat. Jeder erkennt, dass beide Seiten Fehler gemacht haben. Das heißt aber nicht, dass es die georgische Seite war, die für die Entwicklung die Schuld trägt. Aus den besetzten Gebieten wurden die ethnischen Georgier vertrieben, es gab ethnische Säuberungen. Für uns gibt es nur friedliche Möglichkeiten, diesen Konflikt zu lösen. Zunächst geht es darum, zu den Menschen, die in den besetzten Gebieten leben, Vertrauen aufzubauen. Es geht um Versöhnung. Die De-facto-Autoritäten in den besetzten Gebieten geben dem zwar nicht allzu viel Raum, aber wir tun alles, was möglich ist. Wir helfen den Leuten in den besetzten Gebieten, bieten ihnen Sozialleistungen und medizinische Betreuung.<p>Südosseten bekommen also Sozialleistungen in Georgien?<p>Georgien ist vollständig geöffnet. Zwar dürfen keine Georgier in die besetzten Gebiete, aber die Leute auf der anderen Seite können jederzeit andere Regionen Georgiens betreten. Wir haben ein Handelszentrum in der Nähe der besetzten Gebiete gebaut, wir bauen ein neues Spital dort, auch damit die Menschen auf beiden Seiten der "Grenze" verstehen, dass es mehr Kontakte braucht, mehr Vertrauensbildung. Wir glauben, dass die Zeit für ein wiedervereinigtes Georgien kommen wird.<p>Voraussetzung dazu wäre wohl auch eine echte Versöhnung mit Russland. Gibt es irgendeine Chance dazu? Georgien plant schließlich auch die Mitgliedschaft in der Nato, was für Moskau ein rotes Tuch ist. Dort fühlt man sich bekanntlich eingekreist. Können Sie die russischen Sorgen verstehen?<p>Ich halte die russische Position hier für nicht richtig. Wir wissen, die Nato-Allianz ist eine Sicherheitsallianz, kein Angriffsbündnis. Es geht hier ausschließlich um Friedenssicherung. Georgien will der Nato deshalb beitreten, weil es an dieser friedlichen, sicheren Entwicklung partizipieren will. Unsere Beitrittsabsichten sind sicher nicht gegen irgendjemanden gerichtet oder auch nur gegen dessen Interessen.

icheil Dschanelidse amtiert seit 30. Dezember 2015 als Außenminister Georgiens. Der 35-Jährige folgte dabei dem jetzigen Premierminister Georgi Kwirikaschwili nach. Vorher wirkte er als stellvertretender Außenminister sowie stellvertretender Minister für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung.