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"Cameron hat es besser gemacht"

Von Siobhán Geets und Michael Schmölzer

Politik

Der britische Premier David Cameron und Ukip-Chef Nigel Farage diskutierten in TV-Debatte zum Thema Brexit.


London/Wien. Die Briten sind nicht zu beneiden: Zwei Wochen vor der alles entscheidenden Abstimmung darüber, ob Großbritannien in der EU bleiben soll, ist die politische Auseinandersetzung an Schärfe kaum zu überbieten. Beide Seiten, die EU-Befürworter wie die Gegner, setzen die Wähler einem wahren Kreuzfeuer aus. Jene, die bis dato nicht wussten, wie sie abstimmen sollen, werden immer unsicherer. Ein Riss geht durch das Land - und auch mitten durch die Reihen der konservativen Tories.

Eine TV-Debatte am Dienstagabend, bei der sich Premier David Cameron und der Chef der euroskeptischen Ukip-Partei, Nigel Farage, jeweils an ein fragendes Publikum wandten, konnte diese Verunsicherung nicht auflösen. Cameron, so der linksliberale "Guardian", habe gewirkt wie ein Vermögensberater, der den Leuten eine Versicherung andrehen wolle, die sie nicht brauchen. Und der konservative "Telegraph" verwendet im Zusammenhang mit Farages Auftritt das Wort "paranoid": Der Ukip-Mann habe phasenweise versucht, Großbritannien als Opfer einer Verschwörung darzustellen.

Weltuntergang bei EU-Austritt?

Wobei: Auch das pro-europäische Lager arbeitet mit Angstmache. So sieht Cameron nicht nur eine massive Abwertung des Pfund im Fall eines Brexit: Die Briten würden sich dann einen Urlaub auf dem Kontinent überhaupt nicht mehr leisten können, warnt er. Die Gewerkschaften sehen hunderttausende Jobs gefährdet, prominente Ökonomen warnen vor einem wirtschaftlichen Abschwung. TV-Moderatoren fragten Cameron bereits sarkastisch, ob er sich im Fall eines Ja zum EU-Austritt auf den Weltuntergang gefasst mache.

Farage schürte Ängste, seine Hauptargumente:

Farage nutzte seinen TV-Auftritt am Dienstag jedenfalls, um die Ängste der Briten anzusprechen - Kritiker würden sagen, zu schüren - und gegen das Establishment zu wettern. Das waren seine Hauptargumente:

Es sei an der Zeit, dass die Reichen nicht noch reicher würden und man sich den anständigen Menschen widme, denen es miserabel gehe.

Massenimmigration führe dazu, dass Extremisten nach Europa kämen.

Farage forderte eine Begrenzung der Zuwanderung und strengere Grenzkontrollen; um diesen Punkt zu unterstreichen, hielt er während der TV-Debatte seinen britischen Pass vor die Kameras.

Er behauptet, ein Verbleib in der EU könne zu Szenen wie in der Kölner Silversternacht führen.

Die EU werde aber ohnehin nicht überleben, weiß Farage: "Sie ist erledigt." Die Eurozone sei eine Katastrophe, die Migrationskrise spalte nicht nur Staaten, sondern auch innerhalb dieser.

Eine eher beiläufige Äußerung, alternative Medizin werde nicht ausreichend gefördert, kam nicht gut an. Damit reagierte Farage auf die Aussage von Brexit-Gegnern, dass im Falle eines EU-Austritts die Pharmabranche abwandern werde.

"Wir sind Briten. Wir lassen uns von niemandem schikanieren", stellt Farage fest.

Camerons um seriösen Eindruck bemüht, seine Argumente: 

Premier David Cameron hatte seinen Auftritt komplett von Farage getrennt. Die beiden hatten keinen Augenblick direkten Kontakt miteinander - ganz anders, als es etwa im ATV-Duell zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen der Fall war. Cameron war bemüht, einen seriösen Eindruck zu vermitteln. Das sind seine Haupt-Argumente:

Farage wolle den Brexit unbedingt und ohne Rücksicht auf Verluste. Er sei gewillt, dafür Jobs und Wachstum zu opfern: "Das dürfen wir nicht tun."

Der Brexit werde das Separationsbestreben in Schottland stärken: "Ich befürchte ein zweites schottisches Unabhängigkeits-Referendum, falls wir austreten sollten", so Cameron.

Cameron hatte dem Brexit-Lager im Vorfeld der Debatte vorgeworfen, die Bürger mit "Unwahrheiten" in die Irre zu führen. Er verwies etwa auf die Behauptung, Großbritannien könne als Nicht-Euro-Land zur Finanzierung künftiger Euro-Rettungsprogramme herangezogen werden. London ist jedoch von solchen Zahlungen ausgenommen - das habe Cameron im Februar in einem neuen "EU-Deal" ausgehandelt.

Die EU zu verlassen würde die Briten zu "Drückebergern" machen anstatt zu "Kämpfern", so Cameron.

Es gibt gute und schlechte Wege, Migration zu kontrollieren", sagt Cameron. "Gut ist, den Menschen zu sagen, sie dürfen kommen, arbeiten und einzahlen, bevor sie etwas herausbekommen."

"Wir wollen nicht Kleinbritannien sein, wir wollen Großbritannien sein."

"Es gab bewusst keine direkte Konfrontation"

Die Linguistin und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling, die an der Universität Berkeley forscht, hat sich die TV-Debatte angesehen. Bei einer Face-to-Face-
Debatte gehe es auch darum, wer wen über die Körpersprache dominiere. "Dieses Element wurde bei der Konfrontation Cameron-Farage herausgenommen", so Wehling zur "Wiener Zeitung". "Ich vermute, dass das deshalb geschah, weil dieses Thema ein wichtiges, zukunftsweisendes ist."

Es sei darum gegangen, die Debatte zu entschärfen, um möglichst inhaltlich argumentieren zu können. Immerhin gelte es nicht, eine politische Führungsfigur zu wählen, sondern um die Abstimmung über ein wichtiges Thema. Hätte Cameron einem direkten Duell mit Farage zugestimmt, hätte er sich unter Umständen auf "Dominanz-Spielchen" einlassen müssen. "Auf eine Art der Konversation, die ruppig und rüde wird und schnell entgleisen kann", sagt Wehling. In Großbritannien habe man aber für diese Art der Diskurs-Eskalation keine Zeit: "Dafür ist das Thema zu wichtig."

Dass im Brexit-Streit ein Populist auf einen Seriosität vermittelnden Politiker trifft, ist für Wehling weltweit ein durchgängiger Trend - und Gegenstand ihrer Studien. Die Wähler der Populisten hätten bestimmte Werte, die auch den Zentrumsparteien nicht fremd seien: "Da gibt es Überlappungen", sagt Wehling, "Zentrumsparteien nehmen aber ihre Werte nicht ernst." Parteien wie die CDU in Deutschland etwa brächten eigene Werte, die durchaus auch von Wählern der Populisten geteilt würden, nicht genug in die politische Diskussion ein. "Der Werte-Flügel nach rechts und nach links wird wahnsinnig offen gelassen", sagt Wehling. Das sei aus Sicht der Zentrumsparteien "über Jahre und Jahrzehnte richtig schlecht gelaufen". Dies wiederum nutzten die Populisten - "und das ist aus ihrer Sicht auch völlig richtig." Denn: "Fakten und Zahlen haben keine universelle Bedeutung, sondern werden ‚bewertet’. Wenn dem nicht so wäre, dann gäbe es keinen politischen Streit."

Wähler entscheiden nach dem Bauchgefühl

"Auch wenn die Populisten manchmal falsche Fakten verwenden - es kümmert wenig", veranschaulicht Wehling. "Wir wissen aus der Verhaltensforschung, dass die Wähler nicht nach Fakten entscheiden, sondern nach dem moralischen Bauchgefühl. Man verzeiht einem Populisten gerne einmal Fehlinformationen, wenn man sich moralisch bei ihm zuhause fühlt."

Und wer hat nun unschlüssige Wähler besser überzeugt, Cameron oder Farage? "Ich persönlich finde, dass Cameron es besser gemacht hat", sagt Wehling. "Aus Sicht unserer Forschung würden wir sagen: Er stand gut da. Aber es war nicht der große, geniale Schachzug. Weder für Cameron noch für Farage."

Zumindest auf die Wahlbeteiligung könnten sich die TV-Debatten positiv ausgewirkt haben. Zeitgleich mit ihnen lief die Frist für die Wählerregistrierung aus: Bis Mitternacht hätten sich Wahlberechtigte auf der Webseite der Wahlkommission eintragen können. Doch die Seite brach wegen des Ansturms zusammen - mehr als eine halbe Million Menschen hatten sich allein am Dienstag angemeldet. Deshalb änderte man im Schnellverfahren die gesetzlichen Grundlagen für eine Verlängerung der Frist: Die Registrierung für das EU-Referendum war am Mittwoch jedenfalls immer noch möglich.