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Eine Frage des Herzens

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Silvio Berlusconi wird operiert. Der Kampf um seine politische Nachfolge hat bereits begonnen. Das einst so starke Berlusconi-Lager hat sich dabei zerstritten und aufgepalten.


Rom. An diesem Dienstag wird Ottavio Alfieri wieder einmal zum Skalpell greifen und das machen, was er am besten kann: Menschen am Herzen operieren, genauer gesagt eine Herzklappe ersetzen. Dass diese OP aber nicht ohne Weiteres mit den üblichen Eingriffen des Chirurgen zu vergleichen ist, darauf hat die Mailänder Zeitung "Libero" in diesen Tagen noch einmal hingewiesen. "Ein Herz im Wert von vier Milliarden Euro" wird Alfieri laut Libero am Dienstagfrüh unter dem Messer haben. Es ist das Herz von Silvio Berlusconi.

So viel sollen heute die Firmenanteile des Medienunternehmers und viermaligen italienischen Ministerpräsidenten wert sein. Seine fünf Kinder, die am Wochenende allesamt am Krankenbett im Mailänder San-Raffaele-Krankenhaus ihre Aufwartung machten, bringen es zusammen noch einmal auf etwa knapp drei Milliarden Euro.

Das ist die kühle wirtschaftliche Sicht auf die körperlichen Gebrechen des bald 80 Jahre alten italienischen Politikers. Am Sonntag vor einer Woche, am Tag der Kommunalwahlen in Italien, wurde Berlusconi wegen eines Schwächeanfalls ins Krankenhaus eingeliefert. Die biologisch wohl unvermeidliche, aber für den ewigen Narziss Berlusconi erschütternde Diagnose lautete, dass ein Ersatz der Herzklappe unumgänglich ist.

Vier Stunden wird Berlusconi am Dienstag operiert. Wenn der Eingriff wie in den meisten Fällen gut geht, bedarf es eines Monats zur Regeneration. Aber der Zustand dieses essenziellen Organs hat nicht nur biologische oder gar wirtschaftliche Implikationen. Berlusconi verfügt auch 22 Jahre nach seinem Eintritt in die Politik immer noch über ein kleines politisches Imperium, das freilich schon länger Auflösungserscheinungen zeigt.

Mit auffälliger Verve versuchten dieser Tage Angehörige, Fans, politische Zöglinge und Neider ihre Aufwartung im Krankenhaus zu machen. Die Familie verfügte, dass nur die treuesten Weggefährten direkten Zugang zu Berlusconi haben sollen.

Der Presidente ließ nie einenNachfolger aufkommen

Die anderen, darunter auch viele politische Alphatiere, müssen draußen bleiben. Denn sie sind nach Ansicht von Marina Berlusconi, der erstgeborenen Tochter und Chefin des Familienkonzerns Fininvest, überhaupt verantwortlich für die Misere. Dass die engsten Mitarbeiter den Presidente, wie er von allen genannt wird, zu den entlegensten Wahlkampfterminen und angesichts seines Schwächeanfalls auch noch zur Kommunalwahl am Sonntag vor einer Woche schleppten, will sie ihnen nicht verzeihen, heißt es.

Die Partei, die Umfragen zufolge italienweit nur noch mit gut zehn Prozent der Stimmen rechnen kann, gleicht schon seit längerem einem Scherbenhaufen. Berlusconi selbst ließ trotz seines fortschreitenden Alters und seines zunehmenden Machtverlusts nie einen Nachfolger aufkommen. Potenzielle Kandidaten wie der heutige Innenminister Angelino Alfano spalteten sich ab und gründeten eigene Gruppierungen.

So brach das Berlusconi-Lager, das 20 Jahre in der italienischen Politik bestimmend war, langsam in ein undefinierbares Konglomerat verschiedener Strömungen auseinander. Diese Interessen ringen angesichts der Schwäche des Chefs nun um die Nachfolge. Auch um diesem politischen Erbstreit Einhalt zu gebieten, ließ Berlusconi vor Tagen eine Erklärung verbreiten, in der es hieß, die Partei sei auch in seiner Abwesenheit "voll operativ".

Tatsache ist wohl, dass der engste Zirkel an Mitarbeiterinnen um die Koordinatorin Maria Rosaria Rossi und die 30-jährige Berlusconi-Freundin Francesca Pascale die Kontrolle über das politische Erbe übernommen haben, was weder den Kindern Berlusconis noch den unter einander rivalisierenden Forza-Italia-Politikern behagt. Wie es heißt, gibt es in der Partei geheime Initiativen zur Neubildung eines schlagkräftigen Mitte-Rechts-Lagers, also für ein Zusammenwürfeln der auseinander gegangenen Mitstreiter.

Der Leibarzt rät von einer Rückkehr in die Politik ab

Tatsächlich gibt es in Italien derzeit keine große konservative Partei. Die Wähler dieses Spektrums befürworten entweder den populistisch-marktliberalen Reformkurs des linksdemokratischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi oder haben sich der fremdenfeindlich-extremistischen Lega Nord unter Matteo Salvini zugewendet.

Von Berlusconis zweifelhaftem Mythos ist nach über 20 Jahren politischer Abnutzung und unzähliger Justiz- wie Sexskandale kaum noch etwas übrig. Berlusconis Leibarzt Alberto Zangrillo tat zuletzt auch noch das Seine, um den politischen Erbstreit zusätzlich anzuheizen. Tage vor der Operation sagte er, der Presidente könne gewiss nach einer Pause ein normales Leben führen. Als Arzt rate er aber von einer Rückkehr in die Politik dringend ab.