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"Populär, nicht populistisch"

Von Alexander Dworzak und Thomas Seifert

Politik

Sahra Wagenknecht über Ordoliberalismus, linke Alternativen und warum man mit der AfD nicht zusammenarbeiten kann.


"Wiener Zeitung":Für Ihr neues Buch "Reichtum ohne Gier" gab es auch von konservativer Seite überraschend große Zustimmung.

Sahra Wagenknecht: Auch im konservativen Lager sind viele der Meinung, dass es so wie gegenwärtig nicht weitergehen kann. Die alten Gegensatzpaare – Staatswirtschaft versus Privatwirtschaft, Planwirtschaft versus Marktwirtschaft - sind längst überholte Stereotype.

Sie wollen Banken und Konzerne zurückstutzen, eine straffe Regulierung des Finanzsektors mit Einführung der "Gemeinwohlbank" nach dem Sparkassen- und Genossenschaftsmodell. Wie soll das umgesetzt werden?

Es geht nicht um Verstaatlichung, sondern um eine Organisation von Unternehmen, die sich am Stiftungsmodell anlehnt. Eine Rechtsform, bei der ein Unternehmen sich selbst gehört. Der Begriff "Stiftung" hat einen unguten Beigeschmack bekommen, weil einige nur als Camouflage zur Steuervermeidung gegründet wurden. Mir geht es um ein Modell erfolgreicher Unternehmen, in denen kein externer Eigentümer mehr Geld aus dem Unternehmen ziehen kann und das Unternehmen auch nicht weitervererbt wird, weil dann zumindest in großen Unternehmen immer auch Wirtschaftsmacht vererbt wird. Unternehmen sind nach meinem Verständnis eben keine Sache im Sinne des bürgerlichen Eigentumsbegriffs, sondern sie sind Organisationen, die von der Arbeit und dem Zusammenwirken von tausenden Menschen leben. Die Erträge des Unternehmens sollten somit auch nicht einigen wenigen zugutekommen, sondern denen, von deren Leistung der Erfolg dieses Unternehmens abhängt. Zweiter positiver Effekt: Es gäbe auch keine Wirtschaftsmacht in privater Hand mehr, die Politiker erpressen kann, denn wir erleben ja immer wieder, wie Konzerne ganzen Staaten ihre Interessen aufzwingen.

In der Praxis ist das unrealistisch.

Überhaupt nicht. Mir geht es in dem Buch darum, wieder eine Debatte über eine andere Wirtschaftsordnung zu beginnen. Die ist ja völlig eingeschlafen. Es hat sich nach 1989 ein Verständnis breitgemacht, dass der Kapitalismus das Ende der Geschichte sei, ob man ihn nun gut findet oder nicht. Aus dieser Lethargie müssen wir heraus. Wenn sich in einer Gesellschaft der Wohlstand der Mehrheit nicht erhöht, sondern sich die wirtschaftliche und soziale Situation vieler Menschen verschlechtert und heute die meisten davon ausgehen müssen, dass es ihren Kindern einmal schlechter gehen wird als ihnen selbst, dann zeigt das, dass das heutige Wirtschaftssystem nicht mehr funktioniert und es seine Versprechungen nicht mehr einlöst. Denn es ist doch längst nicht mehr so, dass jeder, der sich anstrengt, auch eine Chance erhält. Oder dass der Wohlstand von der eigenen Leistung abhängt. Heute hängt vieles von der Herkunft ab, und darüber müssen wir diskutieren.

Wem sind eigentlich transnationale Konzerne verantwortlich?

Heute ausschließlich ihren Aktionären. In meinem Modell ihrer Gesamtbelegschaft. Aber: Wir müssen transnationale Konzerne von gigantischer Größe auch entflechten. Es gibt keine technologischen Gründe dafür, dass Unternehmen derartige Dimensionen annehmen. Es geht bei vielen Übernahmen doch um billige Lohnkosten und die Erlangung einer marktbeherrschenden Stellung. Deswegen finde ich die alte Idee des Ordoliberalismus, wonach Marktmacht auch Kontrolle braucht, richtig. Riesige Konzerne müssen entflochten werden. Wir brauchen internationalen Austausch und Handel. Aber gigantische, globale Riesenkonzerne brauchen wir wirklich nicht.

Sie präferieren nationale Lösungsansätze. Das widerspricht der sozialistischen Tradition des Internationalismus. Wie groß war denn der Trennungsschmerz vom Internationalismus?

Die Globalisierung hat nicht das Zusammenwachsen der Bevölkerungen weltweit gebracht, sondern besteht vor allem darin, dass heute Kapital mit einem Knopfdruck von New York nach Singapur transferiert werden kann. Davon hat die Mehrheit der Bevölkerung rein gar nichts, im Gegenteil. Ich wünsche mir einen Internationalismus, bei dem es keine nationale Borniertheit gibt. Heute erstarken genau solche Ressentiments in Europa wieder. Das ist eine zutiefst beängstigende Entwicklung. Aber diese Entwicklung hat die EU mitverursacht. Eine wirkliche europäische Politik wäre das Gegenteil von dem, was die EU verkörpert.

Der frühere griechische Finanzminister und linke Aktivist Yanis Varoufakis tendiert dazu, nach supranationalen politischen Lösungen zu suchen. Sind diese nicht realistischer angesichts der supranational organisierten Wirtschaft?

Ich glaube nicht, dass supranationale Lösungen derzeit auf demokratischer Basis machbar sind. Wir brauchen uns nur das heutige Europa ansehen: Wir haben keine wirklichen europäischen Parteien, die man als Parteien auch ernst nehmen kann. Das haben wir ja bei der letzten Wahl zum Europäischen Parlament gesehen: Die deutsche CDU hat Kanzlerin Angela Merkel und nicht Jean-Claude Juncker plakatiert. Ich weiß ja nicht, wie das in Österreich war, aber ich denke, die Juncker-Plakate haben sich auch bei der ÖVP in Grenzen gehalten. Es gibt schlicht keine gemeinsame politische Kultur auf europäischer Ebene. Wenn trotzdem immer mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagert werden, dann bedeutet das einen rapiden Demokratieabbau. Entscheidungen werden gefällt, die von außen überhaupt nicht transparent sind, die auch nicht demokratisch kontrollierbar sind. Die großen Wirtschaftslobbys dagegen haben in Brüssel riesige Einflussmöglichkeiten.

Sie liegen mit der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland zumindest in Sachen Euro-Kritik auf einer Wellenlänge. Sehen Sie in diesem Punkt Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der AfD?

Ich halte überhaupt nichts davon, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Wenn sie einfach eine demokratische konservative Partei wäre, die Kritik am Euro-Kurs übt, dann wäre das vielleicht eine Option. Aber die AfD hat einen starken Flügel, der offen nationalistische und auch ganz brutal rassistische Ressentiments pflegt. Da hört dann jede Kooperationsfähigkeit auf. So etwas kann man nicht legitimieren, indem man in anderen Fragen mit diesen Leuten zusammenarbeitet.

Bräuchte es einen linken Populismus, um den Rechtspopulisten etwas entgegenzusetzen?

Wenn man Populismus so versteht, dass man die Leute für blöd verkauft und ihnen Antworten anträgt, die nicht praktikabel sind, so einen Populismus braucht man nicht. Wenn man darunter versteht, dass man die Menschen und deren Interessen ernst nimmt und dass man sich auf verständliche Weise artikuliert, dann halte ich das für nichts Verwerfliches. Denn Parteien wollen und sollen ja populär sein. Populär, nicht populistisch. Die traditionellen Volksparteien haben ihre Popularität verspielt, indem sie seit Jahren für eine Politik stehen, die sich gegen die Interessen von Mehrheiten richtet. Und diese Politik ist auch der Grund für die schrumpfende Mittelschicht und die anwachsende Armut. Das rächt sich am Wahltag.

Glauben Sie, dass es in Österreich Raum für eine Partei links von der SPÖ Platz gibt?

Das kommt darauf an, wie die SPÖ sich weiterentwickelt. Sie war traditionell immer etwas linker als die deutsche Sozialdemokratie, aber sie hat in der großen Koalition viel Vertrauen verspielt. Dass die FPÖ in Österreich so stark ist, hat sicher auch damit zu tun, dass es links von der SPÖ kein Korrektiv gibt.

In der SPÖ werden Ideen wie Wertschöpfungsabgabe und Vermögenssteuer wieder diskutiert.

Erfreulicherweise, denn das gibt auch für Deutschland Impulse. Noch vor zwei Jahren hat SPD-Chef Sigmar Gabriel die Vermögenssteuer für tot erklärt, jetzt sagt er, darüber könne man nachdenken.

Sahra Wagenknecht ist promovierte Volkswirtin. Die 46-Jährige ist Co-Fraktionsvorsitzende
der deutschen Linkspartei, für die sie seit 2009 im Bundestag sitzt.
Davor, von 2004 bis 2009, war Wagenknecht Mitglied des Europaparlaments.
Die Ehefrau des früheren SPD- und Linke-Vorsitzenden Oskar Lafontaine veröffentlichte im März dieses Jahres das Buch "Reichtum ohne Gier – Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten" (Campus-Verlag, 292 Seiten, 20,60 Euro). Wagenknecht war auf Einladung des Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog in Wien.