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Rajoy wirbt mit Stabilität und EU

Von Manuel Meyer

Politik
Für Podemos (l.): Hugo Alonso. Gegen Podemos: Luis Segura-Mori.
© Manuel Meyer

Bei den vorgezogenen Wahlen in Spanien am Sonntag droht das Land wieder in eine Patt-Stellung zu verfallen.


Madrid. "Der Brexit ist ein Grund mehr dafür, dass Spanien nun Stabilität braucht, die nur wir garantieren können", versprach Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy am Freitag mit Blick auf die spanischen Parlamentswahlen am kommenden Sonntag.

Rajoy ist überzeugter Europäer. Dennoch kommt ihn der Brexit derzeit wie gerufen, um seine bisherige Angstkampagne gegen die linke Protestpartei Podemos (Wir können) zu untermauern, die bei den Wahlen die Sozialisten (PSOE) als linke Alternative ablösen dürfte. Immer wieder wetterte Podemos-Chef Pablo Iglesias in den vergangenen Monaten gegen Rajoys Brüssel-Hörigkeit bei der Umsetzung drastischer Austeritätspolitik und forderte mehr Autonomie für Madrid, sozial verträglichere Wege aus der Krise zu gehen.

Nach dem Motto "Ich oder linksextremistische Abenteuer" will Rajoy nun vor allem Wähler zurückgewinnen, die bei den vergangenen Wahlen im Dezember die regierende konservative Volkspartei (PP) für ihre Korruptionsaffären abstraften und ihre Stimmen der neuen liberalen Ciudadanos-Partei (Bürger) gaben. Die Strategie scheint aufzugehen. Rajoys Konservative gelten am Sonntag erneut als Wahlfavoriten. Auch Luis Segura-Mori wird den Konservativen seine Stimme geben, nachdem er im Dezember noch die Liberalen wählte. "Es ärgert mich ein wenig, da die PP wegen ihre Korruption bestraft gehört und ich mich mehr in der Politik der Ciudadanos wiederfinden. Aber um eine Podemos-Regierung zu verhindern, hat es mehr Sinn, die Konservativen zu wählen", meint der 36-jährige Zahnarzt aus Madrid.

Vor allem Podemos arbeitgeberfeindliche Pläne gefallen ihm nicht. "Ich bin für den Schutz der Arbeiterrechte, aber wenn die Wirtschaft anziehen soll, muss die Politik auch an die Arbeitgeber denken", meint der Zahnarzt, der in seiner Praxis zehn Angestellte unterhält. Der teils utopische Anti-Kapitalismus von Podemos, einer Schwesterpartei der griechischen Syriza, mache ihm Angst. "Eine solche Politik würde erneut zu großer Instabilität und Kapitalflucht führen und das Vertrauen in unser Land schwächen. Wie wollen wir uns dann an den internationalen Märkten finanzieren?", fragt Segura-Mori.

Seine Befürchtungen scheinen nicht ganz unbegründet zu sein. Podemos verteidigt ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien. Spaniens separatistische Regionalregierung dürfte durch den Brexit motiviert werden, demnächst stärker auf eine Abspaltung zu pochen und mit einer Podemos-Regierung das Recht auf ein Referendum erhalten. Die Börsen regierten bereits. Es kam zum Ausverkauf katalanischer Staatsanleihen, deren Rendite auf zehnjährige Titel zeitweise um einen Prozentpunkt auf 5,5 Prozent stiegen.

Wer Spanien demnächst regieren wird, steht in den Sternen. Die Wahlen werden ein ähnliches Ergebnis wie im Dezember mit den Konservativen. Die große Frage ist, ob Podemos nach seinem Wahlbündnis mit der kommunistischen Vereinten Linken (IU) die Sozialisten von Oppositionsführer Pedro Sánchez überholen kann.

"Wir haben doch erstseit 1976 eine Demokratie"

Das Mitte-Rechts-Lager von Konservativen und liberalen Ciudadanos dürfte etwa ebenso stark werden wie die Linke mit Podemos und PSOE. Alles wird von den Koalitionsgesprächen abhängen. Und die werden kompliziert. Zumal beide Lager in sich zerstritten sind. Die Liberalen geben Rajoy die Verantwortung für die ausufernde Korruption und verweigern ihm ihre Unterstützung. Den Sozialisten widerstrebt eine Koalition mit Podemos, da die Partei nicht nur die sozialistischen Wähler im Fokus hat, sondern auch politische Ideen weit links der Sozialisten verteidigen.

Nicht wenige Bürger und Medien fürchten, das Land könne unregierbar werden, seitdem mit den beiden relativ jungen Parteien Podemos und Ciudadanos nicht mehr zwei, sondern vier Parteien sich einigen müssen.

Hugo Alonso beunruhigen schwere oder vielleicht erneut scheiternde Koalitionsverhandlungen nicht. Selbst ein dritter Urnengang würde ihn nicht stören. "Wir haben erst seit 1976 eine Demokratie in Spanien und seit knapp einem halben Jahr ein Parlament mit vier großen Spielern. Ich sehe es als eine Art Lehrzeit an. Ein Parlament, in dem mehr als nur zwei Parteien den Ton angeben, wird Spanien früher oder später guttun", ist sich der 36-jährige Friseur sicher. Die letzten Monate hätten laut Alonso zumindest dazu geführt, dass Spanien mehr über seine Zukunft nachdenkt: "Wo wollen wir hin? Was für eine Art von Politiker und Politik möchten wir? Solche Fragen sind mit dem Brexit noch wichtiger als je zuvor." Er wird am Sonntag wieder Podemos wählen. "Spanien braucht eine politische Erneuerung. So wie bisher kann es nicht weitergehen. Weder in Spanien noch in Europa."