Zum Hauptinhalt springen

Denn sie hatten Rückenwind

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

Unter dem Eindruck des Brexit gewannen die Konservativen überraschend klar die Parlamentswahlen.


Madrid. Auf dem Platz vor dem Madrider Königin Sofía Museum waren alle auf die große Wahl-Fiesta eingestimmt. Doch nun ist Julio Gómez den Tränen nahe. "Mit so einem Ergebnis habe ich wirklich nicht gerechnet. Eine Katastrophe. Ich bin frustriert", sagt der 33-Jährige. Seit dreieinhalb Jahren ist der technische Bauzeichner arbeitslos. Ein Opfer der spanischen Immobilienkrise. Er hatte auf einen Regierungswechsel gehofft, auf eine "andere Politik". Mit einem schwarzen Edding-Stift hat er auf ein Stück Pappe den Wahlslogan der Partei geschrieben, von der er sich den politischen Wechsel erhoffte: "Si se puede" (Yes we can) steht auf dem improvisierten Plakat.

Entgegen allen Prognosen

Doch Spaniens linke Parteiallianz Unidos Podemos (Gemeinsam können wir es) konnte es nicht. Schlimmer noch: Bei den Parlamentswahlen am Sonntag schafften sie es entgegen allen Prognosen nicht einmal, die Sozialisten (PSOE) von Pedro Sánchez als zweitstärkste Kraft und damit als politische Alternative zu den Konservativen von Premier Mariano Rajoy (PP) abzulösen.

Rajoys konservative Volkspartei machte im Vergleich zu den letzten Wahlen am 20. Dezember 2015 sogar Boden gut und erreichte 33 Prozent der Stimmen und 137 Mandate. Unidos Podemos hingegen verlor fast eine Million Stimmen, kam nur auf 71 Sitze, zwei mehr als im Dezember. Und das, obwohl sich die linkspopulistische Protestpartei Podemos und die kommunistische Vereinte Linke (IU) durch ihr erst vor zwei Monaten geschmiedetes Wahlbündnis eigentlich bis weit über 90 Mandate erhofft hatten.

"Ich verstehe es nicht. Wie konnten so viele ausgerechnet einer Partei ihre Stimme geben, deren Politiker das Land seit Jahren ausbeuten und öffentliche Gelder in ihre eigene Tasche abzweigen?", fragt sich Andrea Serrano, Julios Freundin. Sie schlägt die Hände vors Gesicht, während auf der Bühne vor dem Königin Sofía Museum auf einer großen Leinwand die TV-Wahlhochrechnung aktualisiert wird.

Die Antwort auf Serranos Frage ist dreigeteilt: gute Wahlkampfstrategie, Wirtschaftskrise, Brexit. "Es ist nicht so, als hätten sich plötzlich über Nacht 669.220 Spanier unsterblich in die PP verliebt", meint der Soziologe Narciso Michavila. Viele konservative Wähler, die Rajoy im Dezember noch für die Korruptionsfälle in seiner Partei abgestraft und die neuen liberalen Ciudadanos gewählt hatten, gaben nun doch wieder den Konservativen ihre Stimme, um eine mögliche Linksregierung von Unidos Podemos und Sozialisten zu verhindern.

Angst vor der Krise

Die Konservativen hätten die guten Wahlprognosen für Unidos Podemos genutzt, um die Wahlkampagne zu einem ideologischen Krieg gegen die Linkspopulisten zu machen, meint Michavila.

Wochenlang wetterte Rajoy, Podemos, eine Schwesterpartei der griechischen Syriza, werde durch ihre linksextremen Ideen und fehlende Regierungserfahrung die zaghafte Wirtschaftserholung in Gefahr bringen. Das machte vielen Spanier Angst. Wie könnte es auch anders sein in einem Land, das nach acht harten Krisenjahren immer noch mit einer Arbeitslosenquote von 22 Prozent zu kämpfen hat? Und dann kam nur drei Tage vor den Wahlen die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen. "Das war der perfekte Sturm für die Konservativen, um Unidos Podemos anzugreifen. Der Brexit gab Rajoys Angstkampagne im Endspurt noch mal große Überzeugungskraft", so Politologe Pablo Simón. Geschickt wies Rajoy darauf hin, wie wichtig es in für Europa turbulenten Zeiten sei, eine erfahrene und gemäßigte Regierung zu haben, die politisch nach Berlin und Brüssel schaue und nicht nach Griechenland und Venezuela.

Referendum als "Katastrophe"

Auch den Sozialisten gab der Brexit neue Munition, um die immer populärer werdende Bedrohung von Links zu bombardieren. Genussvoll erinnerte Sozialistenchef Sánchez die Spanier daran, dass Podemos ein Unabhängigkeitsreferendum in Spaniens wirtschaftsstärkster Region Katalonien befürwortet: "Wir haben in Großbritannien gerade erst gesehen, zu welchen Katastrophen Referenden führen können."

Doch trotz des überraschend klaren Siegs der Konservativen ist nicht klar, wer die Geschicke Spaniens lenken wird. Am Montag bot Rajoy den Sozialisten zwar erneut eine große Koalition an. Doch Sánchez winkte ab. Das Kräfteverhältnis zwischen dem linken und rechten Block im Parlament ist fast unverändert. Dieses Patt führte bereits nach den Wahlen vor sechs Monaten zur politischen Blockade und zu Neuwahlen. So dürfte die politische Hängepartie in Spanien nun vorerst weitergehen.

Auch Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias reichte den Sozialisten die Hand. "Wir können mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein. Doch unser Weg endet nicht hier. Früher oder später werden wir in Spanien regieren und dem Neoliberalismus und der Austeritätspolitik Europas die Stirn bieten", schmettert Iglesias der Masse entgegen. Julio Gómez hebt lustlos den linken Arm in die Höhe und sagt mehr zu sich selbst: "Si se puede."