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Ende der Rosinenzeit

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

In den Verhandlungen mit Großbritannien ist die EU nicht zu weitgehenden Zugeständnissen bereit.


Brüssel. Trotz aller Traurigkeit muss es ja weitergehen. Als "traurig" nämlich bezeichneten etliche Gipfelteilnehmer die vorherrschende Gefühlslage beim zweitägigen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs. Es war die vermutlich letzte Zusammenkunft mit dem britischen Premier David Cameron, und das Votum seiner Landsleute über einen Austritt aus der EU überschattete die Sitzung - auch gestern, Mittwoch, als der Brite nicht mehr dabei war.

Dennoch müssen die anderen 27 EU-Staaten nun ihre Zusammenarbeit fortsetzen. Die Themen Migration, Vollendung des Binnenmarkts und Wirtschaftsentwicklung bleiben weiterhin auf der Agenda, und bei einem Sondergipfel Mitte September wollen die Spitzenpolitiker darüber erneut beraten. Das werden sie erstmals seit mehr als zehn Jahren nicht in Brüssel tun, sondern in Bratislava. Denn die Slowakei übernimmt am morgigen Freitag für sechs Monate den EU-Vorsitz.

Ob London es in dieser Zeit schafft, seinen Austrittsantrag zu stellen, ist freilich unklar. Im September wohl wird Cameron als Premier abgelöst, doch auch sein Nachfolger wird es kaum eilig haben, das Ansuchen nach Brüssel zu schicken. Dann nämlich würde die Zwei-Jahres-Frist zu laufen beginnen, innerhalb der das Ausscheiden Großbritanniens geregelt werden sollte. Und dass London dabei auf keine "Rosinenpickerei" zählen dürfe, haben schon etliche Staaten deutlich gemacht. Es werde daher auch keinen Binnenmarkt "à la carte" geben, betonten die Präsidenten des EU-Rates und der EU-Kommission, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker. Wenn also Großbritannien weiterhin Teil dieses Marktes sein wolle, müsse es die vier Grundfreiheiten achten. Eine davon ist aber die Personen-Freizügigkeit für Arbeitnehmer, die auf der Insel für Unmut sorgt.

Wer soll Gespräche führen?

Damit wird ersichtlich, dass sich die Verhandlungen zäh gestalten werden. Doch noch bevor sie überhaupt begonnen haben, zeichnet sich schon ein weiteres Tauziehen ab, diesmal innerhalb der EU. Es geht um die Frage, wer die Gespräche mit London leiten soll. Die EU-Kommission - findet die EU-Kommission. Und wird dabei vom Europäischen Parlament unterstützt, das dies in einer Resolution fordert. Doch in der dritten EU-Institution, in der Versammlung der Mitgliedstaaten, gibt es abweichende Meinungen. Nicht zuletzt einige osteuropäische Länder haben nicht vor, der Brüsseler Behörde die Wortführung zu überlassen.

Aus Sicht der Kommission hat diese selbst die nötige Kompetenz: Sie verfügt über einen ausgebildeten Beamtenapparat und Erfahrung bei Verhandlungen über Handelsabkommen beispielsweise. Die Mitgliedstaaten hätten diese Expertise gar nicht, meinte EU-Kommissar Johannes Hahn vor kurzem bei einem Journalistengespräch.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hingegen erklärte nach dem Treffen mit seinen Amtskollegen: "Die Gespräche werden vorgegeben und kontrolliert von den Mitgliedstaaten." Die dominante Rolle sollen die Regierungschefs spielen. Die Kommission müsse zwar ebenfalls ihren Beitrag leisten, doch werde der eben nicht entscheidend sein.

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern formulierte es nicht so direkt. Die Verhandlungsführung werde im Einvernehmen zwischen den drei EU-Institutionen festgelegt, sagte er.

Ähnlich deutlich wie sein ungarischer Kollege war Kern jedoch dabei, ein Referendum über einen EU-Austritt im eigenen Land auszuschließen. Solche Abstimmungen würden meist "mit artfremden Diskussionen überfrachtet", stellte der Kanzler fest. Daher "werden wir Österreich keinem Referendum aussetzen".