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Riskantes Einlenken

Von Martyna Czarnowska und Alexander Dworzak

Politik
Gegen Ceta wurde am Wiener Ballhausplatz ebenso demonstriert,wie in Kanadas Metropole Toronto.

Nationale Parlamente der EU sollen nun doch über Ceta entscheiden. Sagt ein Parlament nein, droht auch TTIP das Aus.


Straßburg/Brüssel/Wien. Die rechtliche Seite ist die eine. Die politische aber muss nicht unbedingt damit zusammenfallen. Bei Ceta, der umfassenden Handelsvereinbarung der EU mit Kanada, fällte die EU-Kommission am Dienstag eine politische Entscheidung. Der Vertrag solle als sogenanntes gemischtes Abkommen eingestuft werden, schlägt die Behörde vor. Damit sind die nationalen Parlamente in die Ratifizierung eingebunden: Sie müssen zustimmen.

Dabei wäre das aus Sicht der Kommission gar nicht notwendig. Die rechtliche Prüfung habe ergeben, dass die Ratifizierung in die Zuständigkeit der EU-Institutionen falle, betonte Handelskommissarin Cecilia Malmström in Straßburg, wo das EU-Parlament zu seiner Plenarsitzung zusammengekommen ist. Doch wird die Behörde nicht darauf beharren. Denn mit diesem Standpunkt hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon in der Vorwoche Unmut in einigen Mitgliedstaaten ausgelöst. Ausgerechnet beim Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel kündigte er an, Ceta als reines EU-Abkommen einzustufen. Die Kritik daran folgte prompt. Bundeskanzler Christian Kern sprach von einem "Ruck-Zuck-Verfahren", das die EU viel Glaubwürdigkeit koste. Seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel stellte klar, dass der Bundestag auf jeden Fall über den Vertrag abstimmen werde.

Das Einlenken der Kommission muss für diese bitter sein. Immerhin verfügt sie laut EU-Recht über die Kompetenz, Gespräche über Handelsabkommen zu führen und zu Ende zu bringen. Und diesem Mandat hätten die Mitgliedstaaten ja zugestimmt, erklärte denn auch Malmström. Sie lobte das Ergebnis dieser Verhandlungen: Ceta bedeute mehr Handel und damit mehr Wirtschaftswachstum. Und damit mehr Jobs. Es werden Zölle abgebaut, und für Unternehmen ergebe sich im Waren- und Dienstleistungsaustausch leichterer Marktzugang, zählte die Kommissarin auf. Die Herkunftsbezeichnung einer Reihe europäischer Produkte werde künftig auch in Kanada geschützt sein, was bisher nicht der Fall war.

Gespräche seit 2009

Die Skeptiker aber überzeugt das kaum. Sie befürchten Zugeständnisse, die sich auf das transnationale Handelsabkommen zwischen der EU und den USA auswirken könnten. Der TTIP genannte Vertrag ist seit längerem bereits im Kreuzfeuer ihrer Kritik, während Ceta über Jahre in der öffentlichen Debatte kaum beachtet wurde. Die Gespräche darüber begannen schon 2009; das Verhandlungsergebnis liegt seit eineinhalb Jahren vor. Im Laufe der Proteste gegen TTIP und - nicht zuletzt - die Idee der Etablierung privater Schiedsgerichte für Konzerne rückte auch Ceta in den Fokus der Aufmerksamkeit. "TTIP hat es Kanada schwer gemacht", sagte der kanadische Ceta-Chefverhandler Steve Verheul bereits 2014 zur "Wiener Zeitung".

Gerade in Österreich und Deutschland haben die geplanten Freihandelsabkommen einen besonders schweren Stand. 59 Prozent der Deutschen lehnen TTIP ab, ergab eine Erhebung der EU-Statistikbehörde Eurostat. Die Österreicher sind mit 70 Prozent gar einsame Spitzenreiter in dem Negativ-Ranking, während in Lettland und in den Niederlanden rund drei Viertel der Bevölkerung die transatlantische Vereinbarung begrüßen.

Wie kontrovers die Debatte auch unter den Parlamentsparteien verläuft, war zuletzt Mitte Mai im Nationalrat zu erleben. In der "Aktuellen Europastunde" forderten die Grünen den Ausstieg aus den TTIP-Verhandlungen. Sie lehnen auch eine vorläufige Anwendung von Ceta ab. Laut der Parteivorsitzenden Eva Glawischnig müsse verhindert werden, dass die auf Nachhaltigkeit setzende österreichische Landwirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig sei. Sonst meist Gegenpole im Nationalrat, versuchen sich Grüne und FPÖ gegenseitig zu übertrumpfen, wer der größere Gegner der Handelsabkommen ist. Im Fahrwasser der beiden Parteien möchte auch das Team Stronach punkten.

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hingegen beruhigt: Die Mahner sollen nicht so tun, als wäre TTIP wie eine Invasion vom Mars. Die Volkspartei sieht weniger Großkonzerne als Profiteure sondern kleine Zulieferer. Auch die Neos befürworten die Vereinbarungen.

Unterschiedliche Linien bei den Koalitionspartnern sieht der Grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon, der seit langem gegen TTIP und Ceta auftritt. Die SPÖ-Mandatare in Brüssel würden den Vertrag mit Kanada negativer beurteilen als ihre ÖVP-Kollegen. "Bundeskanzler Kern sollte der berechtigten Kritik seiner EU-Abgeordneten glauben und sicherstellen, dass Österreich gegen Ceta stimmt", fordert Reimon.

Die Fixierung einer eindeutigen Position steht bei den Sozialdemokraten aber noch aus: Klubobmann Andreas Schieder sagte vor kurzem zu TTIP, entweder würden Standards auf "unserem weltweit einzigartigen Niveau" noch hineinverhandelt, oder es könne keine Zustimmung geben. Die Vorarlberger SPÖ ist bereits einen Schritt weiter und unterstützt vier niederösterreichische SPÖ-Bürgermeister in deren Bestreben, ein Volksbegehren gegen die Unterzeichnung von TTIP, Ceta und das Dienstleistungsabkommen Tisa zu organisieren. Die sowohl im Vertrag mit Kanada als auch in jenem mit den USA vorgesehenen Schiedsgerichte werden dort als "brandgefährlich" bezeichnet.

Die EU-Kommission hofft trotzdem, dass Ceta beim EU-Kanada-Gipfel im Oktober ratifiziert werden kann. Doch ihre Entscheidung zum gemischten Abkommen erhöht das Risiko, dass eines der nationalen Parlamente das ablehnen wird. Wenn aber Ceta scheitert, wird das wohl Auswirkungen auf TTIP haben. Der noch umstrittenere Vertrag könnte dann nur unter noch größeren Schwierigkeiten abgeschlossen werden - wenn überhaupt.