Brüssel. Was passiert bei einem Brexit mit dem Finanzplatz London? Wie wird konkret vorgegangen, wenn Großbritannien aus der EU austritt? Noch hat London keine Antworten auf diese Fragen. Und auch in der EU wird über die weitere Vorgangsweise der Briten gerätselt. In Brüssel beraten heute, Dienstag, die EU-Finanzminister (Ecofin) über die Folgen der Brexit-Abstimmung. Auch die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) sollen ihre Sicht der Dinge darlegen. Letztere wird dabei vor allem über die Auswirkungen auf die Finanzmärkte sprechen.
Manche Politiker, darunter Finanzminister Hans Jörg Schelling, der für Österreich nach Brüssel reist, rechnen ohnehin nicht mit einem EU-Austritt Großbritanniens: Schelling hatte zuletzt im "Handelsblatt" erklärt, er glaube nicht, dass London die EU wirklich verlassen werde. Auch in fünf Jahren werde die EU noch 28 Mitgliedsstaaten haben.
Auf der Tagesordnung stehen jedoch noch eine Reihe anderer Themen - die Lage der italienischen Banken, deren Schieflage zuletzt Sorgen ausgelöst hatte, ist offiziell nicht dabei. So befasst sich der Ecofin mit den Defizitverstößen Spaniens und Portugals. Beiden Ländern drohen deshalb Strafen wie das Einfrieren von EU-Strukturhilfen oder Geldbußen von bis zu 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Kommission hatte festgestellt, dass Portugal ebenso wie Spanien nicht genug getan habe, um das Defizit 2015 unter die Drei-Prozent-Marke zu drücken. Die portugiesische Neuverschuldung lag im vergangenen Jahr bei 4,4 Prozent der Wirtschaftsleistung, die Spaniens bei 5,1 Prozent. Eine Entscheidung, das Sanktionsverfahren in Gang zu bringen, könnte bereits heute fallen. Die EU-Kommission könnte dann binnen 20 Tagen Bußgelder für beide Länder vorschlagen.
Frankreich gegen
Strafen für Portugal
Das Prozedere sieht nun vor, dass die EU-Finanzminister eine Empfehlung für einen Ratsbeschluss vorlegen müssen. Spanien und Portugal könnten dann innerhalb von zehn Tagen um eine Milderung der Sanktionen ansuchen, wenn sie "berücksichtungsungswürdige Gründe" angeben, hieß es am Montag aus EU-Ratskreisen. Die Strafmaßnahmen könnten also frühestens Mitte August kommen.
Stimmen gegen eine zu harte Bestrafung der Defizitsünder wurden indes schon vor dem Treffen der Finanzminister laut. So riet Frankreichs Michel Sapin seinen EU-Kollegen am Montag von der Eröffnung eines Sanktionsverfahrens gegen Portugal ab. Die Regierung in Lissabon habe "enorme Anstrengungen" unternommen, um die Neuverschuldung zurückzufahren und keine Strafen verdient. Frankreich selbst hat wiederholt gegen die Defizitregeln verstoßen und dürfte im nächsten Jahr erstmals seit 2007 wieder die erlaubte EU-Obergrenze von drei Prozent Neuverschuldung unterschreiten.
Ebenfalls auf der Agenda des Ministerrats steht eine Zwischenbilanz der EU-Bankenunion. Belgien und Polen haben die Richtlinien für die Bankensanierung und -abwicklung sowie für die Einlagensicherung noch nicht umgesetzt. Beraten wird auch über den Baseler Ausschuss zur Finalisierung der Bankenreformagenda. Dabei seien keine weiteren Anhebungen bei den Eigenmittelvorschriften vorgesehen, hieß es. Debattiert werden soll auch der jüngste Vorschlag der EU-Kommission im Kampf gegen Geldwäsche. Brüssel möchte virtuelle Währungen wie das dezentrale Zahlungssystem Bitcoin miteinbeziehen und anonyme Prepaid- oder Zahlungskarten einschränken, um Missbrauch entgegen zu wirken.