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Protest schlägt Streit und Inkompetenz

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Alternative für Deutschland (AfD) wird am Sonntag bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern furios abschneiden.


Berlin/Schwerin/Wien. Sogar bei einer Wahl im nordöstlichsten Winkel Deutschlands spielen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen eine Rolle. 100 Euro Prämie lobt die Alternative für Deutschland (AfD) in Mecklenburg-Vorpommern für "nachprüfbare Hinweise auf Unregelmäßigkeiten" bei der dortigen Landtagswahl am Sonntag aus. Es sei die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass die Legitimation des Wahlergebnisses durch nichts in Zweifel gezogen werden kann, sagt AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm und verweist auf die österreichische Bundespräsidentenwahl.

Um Legitimation werben und gleichzeitig die Legitimität des vorherrschenden politischen Systems infrage stellen: Den Tenor rechtspopulistischer Gruppierungen in Europa hat mittlerweile auch die AfD verinnerlicht. CDU/CSU, SPD, Linke und Grüne werden in einen politischen Topf geworfen. "Dieses Land braucht endlich ein Gegengewicht zu den Berufspolitikern der Einheitsparteien", appelliert AfD-Mann Holm in einem Wahlkampfvideo.

Die Liste, wogegen die AfD in Mecklenburg-Vorpommern auftritt, ist lang: gegen den Verlust "unserer norddeutschen Identität", gegen die verpflichtenden Rundfunkgebühren - was eine Spitze gegen die "Mainstreammedien" ist -, gegen die "Kriegstreiberei" gegen Russland und gegen finanzielle Mittel für Gender Studies. Positive Botschaften sind rar, zu ihnen zählt ein zinsgünstiges Darlehen für junge Familien nach der Geburt des ersten Kindes. Dessen Rückzahlung soll mit dem dritten Kind erlassen werden.

Der Kurs der AfD kommt blendend an, 22 Prozent erreicht sie laut Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern. Das ist pikant, auch wenn hier nur 1,6 Millionen Einwohner leben. Denn die prominenteste Bürgerin ist Kanzlerin Angela Merkel, sie hat im Lande ihren Wahlkreis. Derzeit liegt die CDU mit der AfD in Umfragen gleichauf, vorne die SPD mit 28 Prozent. Für die Strategen der Rechtspopulisten gäbe es nichts Schöneres als einen Sieg über Merkels CDU.

"Wir machen nicht mit"

Als Hauptgrund für den Höhenflug der AfD gilt weitläufig Merkels Flüchtlingspolitik. Wahlforscher Frank Brettschneider zweifelt jedoch an dieser These: "In Mecklenburg-Vorpommern liegt der Ausländeranteil bei nur 3,7 Prozent und lediglich 22.000 Flüchtlinge sind hier untergebracht. Das Flüchtlingsthema hat also wenig mit den realen Verhältnissen zu tun, sondern dient stellvertretend für eine andere Botschaft bestimmter Wählersegmente. Sie lautet: ‚Wir machen nicht mit, was das Establishment will‘", sagt der Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim in Stuttgart zur "Wiener Zeitung".

Natürlich habe der umstrittene Flüchtlingskurs der konservativen Union Stimmen gekostet, insbesondere der Streit zwischen Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer, analysiert Brettschneider. Doch der AfD sei es darüber hinaus gelungen, Bürger zu mobilisieren, die schon lange nicht mehr wählen gegangen sind. Der Forscher verweist auf den Urnengang in Baden-Württemberg im März. Dort haben 32 Prozent der Arbeitslosen für die AfD gestimmt, die auch bei Arbeitern mit niedriger formaler Bildung stark abgeschnitten hat - was wiederum traditionelles SPD-Terrain ist. Eine weitere Hauptwählergruppe stellen Rechtsnationale und Rechtsradikale. Auf dem dritten Listenplatz der AfD in Mecklenburg-Vorpommern kandidiert Holger Arppe, er wurde 2015 wegen Volksverhetzung verurteilt. Etliche seiner Gefolgsleute machen - wie er selbst - keinen Hehl aus ihrer Nähe zur rechtsextremen "Identitären Bewegung", berichtet der Norddeutsche Rundfunk. Scharenweise wechseln daher Sympathisanten der NPD die Seiten. Bei der Landtagswahl 2011 noch mit sechs Prozent ins Schweriner Parlament eingezogen, kommen die Rechtsradikalen nunmehr auf zwei Prozent.

Besonders schmerzhaft ist der Aufstieg der AfD in Ostdeutschland für die Linkspartei. Sie war es gewohnt, dort die Proteststimmen einzukassieren, und auch sie fährt einen strammen Pro-Russland-Kurs. Nun droht die Linke in Mecklenburg-Vorpommern von 18,4 auf 13 Prozent zurückzufallen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt Mitte März verlor die Partei bereits mehr als sieben Prozentpunkte und rutschte deutlich unter die 20-Prozent-Marke. Im Gegenzug holte die AfD fast 25 Prozent.

Sie setzt sich in der Parteienlandschaft fest, wird nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag und in Berlin in zwei Wochen in zehn Landesparlamenten vertreten sein; nur drei Jahre nach ihrer Gründung. Bereits 2014 schnitt die AfD im Osten deutlich besser ab als im Westen der Bundesrepublik (siehe Grafik). Doch seit Beginn der Flüchtlingskrise sind die Werte auf einem noch nie gekannten Hoch - auch auf Bundesebene, wo die AfD derzeit bei zwölf Prozent liegt. Das ist vier Mal mehr als im Sommer vergangenen Jahres.

Damals verlor Parteimitgründer Bernd Lucke den Machtkampf mit der Co-Vorsitzenden Frauke Petry. Er gründete daraufhin den Rohrkrepierer "Alfa". Die AfD büßte viel von ihrem professoralen Image ein, das der habilitierte Ökonom Lucke lieferte. Zwar ist sein Nachfolger Jörg Meuthen ebenfalls Wirtschaftsprofessor, hat aber weniger Berührungsängste mit dem rechten Rand. In Meuthens Heimat Baden-Württemberg punktete die AfD dennoch beim Mittelstand und bei tiefreligiösen Wählern. Sie ist also eine ideologisch wilde Mischung. Um intern halbwegs Ruhe zu behalten, braucht die AfD einen Außenfeind - das Establishment.

Doch nicht einmal die Kanzlerin als Stellvertreterin dessen reicht dafür, zwischen Petry und Meuthen tobt ein Machtkampf. Es geht darum, wer die AfD bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 anführt. Turbulenzen gibt es nicht nur an der Spitze: Ausgerechnet Meuthens Landtagsklub in Baden-Württemberg hat sich im Juli gespalten. Entzündet hatte sich der Streit an antisemitischen Thesen eines Abgeordneten. In Thüringen verließen drei von elf AfD-Abgeordneten den Klub im Streit oder wurden hinausgeworfen, auch in Hamburg musste ein Hardliner gehen. Wahlforscher Brettschneider zieht eine verheerende Zwischenbilanz: "In den Landesparlamenten hat die AfD auffällige einzelne Abgeordnete. Und an politischer Sacharbeit ist nichts Konsistentes zu erkennen."

"Raus aus der Käseglocke"

Doch während der Machtkampf 2015 die AfD in der Wählergunst abstürzen ließ, bleiben die Sympathisanten diesmal ungerührt. Anscheinend hat sich der Vorwurf des Systemkartells - permanent ventiliert über die sozialen Medien - so verfangen, dass der politische Gegner ein größeres Ärgernis als die AfD darstellt. Wie können die anderen Parteien gegensteuern? "Das ist ganz schwer", sagt Frank Brettschneider. Die in Deutschland ungewöhnliche große Koalition zwischen der Union und der SPD trage dazu bei, dass lebendige politische Debatten fehlen. Zudem werde jede Kontroverse innerhalb etablierter Parteien zum Machtkampf stilisiert. Diese versuchen daher, Diskussionen unter der Decke zu halten. Auch zwischen den Bundestagsparteien werde in einer politischen Käseglocke möglichst überall Konsens gesucht. Der Wahlforscher rät den Parteien zu mehr Mut: "Das Für und Wider ihrer Positionen müsste viel deutlicher werden." Beim Flüchtlingsthema passiert das zumindest zwischen CDU und CSU, neuerdings mischt auch die SPD mit harter Kritik an Merkel mit. Davon profitiert aber eine andere Partei: die AfD.