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"Mit ganzer Kraft" gegen die serbische Freunderlwirtschaft

Von Anja Stegmaier

Politik
Der Parteibonze unterwegs mit seiner Entourage: Polit-Parodie "Beli", der Weiße, will Boss von Mladenovac werden und spielt dabei alle fiesen Tricks der Politik.
© Jovan Velickovic

In einer Vorstadt von Belgrad versuchen junge Parodisten, die besseren Politiker zu sein - und bringen die politische Elite allmählich unter Druck.


Wien/Mladenovac. Er tätschelt Kindern die Wangen, streichelt Tierbabys, reitet auf einem Pferd. Und immer: Daumen hoch. Ljubisa Preletacevic erscheint stets im weißen Anzug mit weißen Lederslippern. Er gibt sich laut und protzig, ist immer umringt von seiner Entourage - und macht die wildesten Versprechen im Wahlkampf um das Stadtparlament von Mladenovac. Der große, muskulöse Serbe will der neue "Boss" der 25.000 Einwohner zählenden Stadt werden.

Rund 50 Kilometer südlich von Belgrad mischt die Satiregruppe "Beli - Samo Jako" (Die Weißen - Mit ganzer Kraft) im März dieses Jahres den kommunalen Wahlkampf auf. Seitdem tut sich etwas in der Stadtverwaltung. Die Liste des schmierigen Politikers, genannt "Beli" (der Weiße), erreichte mit dem kitschigen Wahlslogan nämlich mehr als 20 Prozent der Stimmen und hält seit fast fünf Monaten 12 von 55 Plätzen im Stadtparlament. Und das nicht nur wegen seiner spaßigen Polit-Parodie.

Preletacevic ist eine Kunstfigur, der Name heißt übersetzt so viel wie Überläufer und wird von Luka Maksimovic gespielt, einem 25-jährigen Kommunikationsstudenten. Mit einer Gruppe von Freunden parodiert er seit diesem Frühjahr die denkmöglich schlechtesten Seiten serbischer Lokalpolitiker. Die Vergangenheit des machtbesessenen "Edelprolos" ist zwielichtig: Er war Mitglied in jeder existierenden Partei, bevor er seine eigene gründete. Der Parteibonze protzt mit seinem Reichtum - von dem keiner weiß, woher er stammt. Dementsprechend fordert er die Legalisierung von Korruption. Seine Wahlversprechen reichen von großen Projekten mit einem saudischen Investor, die in der ehemaligen Industriestadt Arbeitsplätze und Wohlstand bringen sollen, über Ansiedelungen von Lamborghini und Sony in den stillgelegten Fabriken, die heute wie Ruinen dastehen, bis hin zur Errichtung eines eigenen Meers - mittels Tonnen von Salz, die in den örtlichen See gekippt werden sollen.

Ehrliche Lügner

Die offensichtlichen Lügen ähneln den Wahlversprechen, die viele Serben schon oft gehört haben. Die Showeinlagen der Gruppe finden im März vor den Wahlen auf den Straßen von Mladenovac und in Videos auf Facebook und YouTube statt. "Beli", der Mann mit der weißen Weste, ist dabei laut, obszön, machohaft. Das Spaßprogramm kommt bei den Leuten an, die Facebook-Seite der Gruppe hat 20.000 Likes.

Zunächst nur als Parodie des lokalen Wahlkampfs angedacht, entschließt sich die Gruppe kurzerhand, selbst anzutreten. Keine vier Wochen betreiben die Weißen Wahlkampf mit einem Budget von gerade einmal 300 Euro. Statt Plakaten und Flyern werden Fake-Diplome verteilt, in die jeder seinen Namen setzen kann. In dem Land, in dem sich viele Leute - darunter auch Politiker - falsche Universitätsabschlüsse kaufen, kommt das bei den Bürgern gut an. An zwei Tagen erreicht die Liste "Beli - Samo Jako" mehr als das Doppelte an benötigten Unterschriften, um bei der Wahl anzutreten.

Eine seriöse Gruppe formiert sich, Bürger aus Mladenovac tun sich zusammen. Ein Manifest mit einem seriösen politischen Programm wird entwickelt. Die Gruppe macht Ernst und will gegen den Filz antreten, der sich über Jahre und Jahrzehnte in der Politik im Land gebildet hat.

Branislav Sjeran von der Liste "Die Weißen" wird emotional, wenn er von den Problemen in seiner Stadt spricht. Die weitverbreitete Freunderlwirtschaft zieht sich durch das politische System im ganzen Land und frustriert vor allem die serbische Jugend. Das EU-Beitrittsland hat eine Jugendarbeitslosenquote von rund 50 Prozent. "Nepotismus bestimmt, wer welchen Job bekommt und was wie getan wird", sagt Sjeran. Die Immergleichen halten sich seit Jahrzehnten an der Macht, mit sich wiederholenden Versprechen, die nie erfüllt werden. Politiker wechseln Partei und Überzeugung geradezu beliebig. "Jeder protegiert seine Parteifreunde, was dazu führt, dass in hohen und wichtigen Positionen nicht immer die fähigsten Personen sitzen", kritisiert der 33-Jährige das politische System. Sjeran sitzt für die Liste seit April im Stadtparlament und bezeichnet sich selbst nur ungern als Politiker. "Den Leuten reicht es" sagt er. Ihm ging es wie vielen in Mladenovac. Der Englischlehrer ist aktiv geworden, weil er verärgert war und frustriert. Viele haben aus genau demselben Grund die Parodisten gewählt. Auch Sjeran beobachtet seit 20 Jahren, wie die politische Elite ständig die Seiten wechselt, um an der Macht zu bleiben. Im unentwegt betriebenen "Blame Game" - vor wie nach dem Wahlkampf - geht es vornehmlich darum, wer mehr Dreck am Stecken hat. "Bevor es unsere Gruppe gab, konnte ich niemanden wählen", sagt Sjeran. "Das ganze politische System ist irrelevant geworden. Es ist eigentlich alles andere als irrelevant, weil es uns alle betrifft, aber wir fühlten uns machtlos. Und eines der wenigen Dinge, die wir dagegen tun konnten, war uns darüber lustig zu machen."

Die Komikertruppe hat mit Witzen die Aufmerksamkeit der Leute gewonnen, aber vor allem das seriöse Programm brachte breite Unterstützung, mit der die Weißen nun die stärkste Oppositionsfraktion im Parlament stellen.

Die Parodisten wollen die besseren Politiker sein. Die Weißen sind aber keine Partei, wollen auch keine werden - selbst wenn die Rufe laut werden, in weiteren Städten und gar republikweit anzutreten. Doch das will die engagierte Bürgergruppe nicht. Für die verbleibenden dreieinhalb Jahre im Stadtparlament hat sich die Liste vorgenommen "alles zu geben", sagt Sjeran, sie wollen aber in der Lokalpolitik bleiben: "Sinn der Sache ist, nicht größer und mächtiger zu werden, sondern andere Menschen in anderen Orten dazu zu inspirieren, sich politisch einzubringen, etwas zu verändern."

Mehr Transparenz

Die Liste hattte zwar mit einem knappen Einzug ins Stadtparlament gerechnet. Doch die derartig große Unterstützung der Mladenovacer hat sie überrascht. Und das macht die politische Elite nervös. "Wir versuchen, das System zu ändern, nicht nur, uns darüber lustig zu machen", betont Sjeran. Die Liste hat den Wählern versprochen, keine Koalition mit anderen Parteien einzugehen. Und das haben sie bis heute eingehalten. "Die Leute haben geglaubt, dass wir das nicht durchhalten würden, denn Parteienwechsel ist leider gängige Praxis in der serbischen Politik", sagt Sjeran. "Viele Politiker waren überzeugt davon, dass wir uns ihnen nach der Wahl anschließen werden, weil bei ihnen das Geld, die Jobs und der Einfluss sind, aber das haben wir nicht gemacht - auch wenn es Angebote und Druck gab."

Stattdessen wollen die Weißen die Lokalpolitik den Bürgern zurückgeben. "Es geht uns um Fairness und Kontrolle und ein Ende des Nepotismus. Das Geld soll da ankommen, wo es hin soll und nirgendwo anders", stellt Sjeran klar. Mit 20 Prozent kann man zwar keine Abstimmungen gewinnen, aber Veränderungen sind trotzdem möglich. Die Neo-Politiker stellen parlamentarische Anfragen, weisen auf Unstimmigkeiten hin und rechnen Budgetposten durch.

"Wir zeigen mit dem Finger drauf und bringen es an die Öffentlichkeit. Egal wie viele Stimmen die anderen haben - wir stellen uns ihnen, fragen nach, kritisieren und machen ihnen das Leben schwer", sagt Sjeran. Auf ihrer Website und in den sozialen Medien veröffentlicht die Gruppe regelmäßig Informationen. "Transparenz macht einen echten Unterschied, auch ohne Mehrheit im Parlament."

Schluss mit lustig?

"Es ist harte Arbeit", sagt Sjeran und wird ernst, sobald er über die Arbeit im Parlament spricht. Jedes Parlamentstreffen muss vorbereitet werden. Keiner in der Gruppe hat politische Erfahrung. Es gibt keine Parteilinie, die Abstimmungen vorgibt. Die Lokalpolitik muss neben Arbeit und Privatleben organisiert werden. Zudem wird die politische Elite nervös, stellt die Gruppe als Clowns dar, nennt sie Idioten, mit der Konsequenz, dass sie noch mehr Zuspruch erhält.

Branislav Sjeran ist zuversichtlich: "Wenn wir gute Arbeit machen, also das tun, was wir sagen und nicht die Seiten wechseln und die Geldflüsse kontrollieren, dann werden wir erfolgreich sein und wachsen. Wenn nicht, dann waren wir es eh nicht wert." Beli, der Mann mit der weißen Weste, könnte sowieso frühestens in zehn Jahren "Boss von Serbien" werden. Denn das Mindestalter für Präsidenten liegt in dem Balkanstaat bei 35 Jahren.