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Gerangel um Spitzenamt

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Die Regelung der Nachfolge von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist ein Balanceakt.


Brüssel/Straßburg. Martin Schulz hat sich noch nicht deklariert. Seit gut zwei Jahren ist der deutsche Sozialdemokrat Präsident des EU-Parlaments; ob er eine Verlängerung seiner Amtszeit anstrebt, hat er noch nicht erklärt. Vielleicht, spekulieren deutsche Medien, bevorzugt er einen Wechsel in die deutsche Politik, wo er gleich für mehrere Posten in Frage käme. Als künftigen Kanzlerkandidaten sehen ihn die einen, als möglichen Außenminister die anderen. Aber ein Verbleib im EU-Parlament ist eben auch noch nicht ausgeschlossen.

Wird Schulz also der Nachfolger von Schulz? Geht es nach den Sozialdemokraten in der EU-Volksvertretung, wäre das durchaus wünschenswert. Die Europäische Volkspartei (EVP) sieht das nicht unbedingt so.

Es gibt nämlich eine Abmachung zwischen den zwei größten Fraktionen: Deren Vertreter teilen sich die fünfjährige Legislaturperiode. So müsste in der zweiten Halbzeit ein Christdemokrat das Amt übernehmen. Das haben Schulz und der Fraktionsvorsitzende der EVP, Manfred Weber, sogar schriftlich fixiert. Der CSU-Politiker selbst ist an dem Posten des Parlamentspräsidenten jedoch gar nicht interessiert. Als potenzielle Kandidaten gelten eher der französische Abgeordnete Alain Lamassoure oder die Irin Mairead McGuinness.

Fixiert ist dies allerdings noch nicht. Die EVP muss erst einmal das Prozedere festlegen, wie die Entscheidung für einen Bewerber fallen soll. Diese Woche soll ein Zeitplan erstellt werden, bis wann Interessierte ihre Kandidatur einreichen können. Die mögliche Liste könnte Ende Oktober, Anfang November auf dem Tisch liegen. Denn eines ist klar: Die Christdemokraten wollen an der Vereinbarung festhalten und im Jänner einen Präsidenten aus ihren Reihen gewählt sehen. "Wir haben für Schulz mitgestimmt, und jetzt gehen wir davon aus, dass im Gegenzug unser Kandidat unterstützt wird", heißt es aus EVP-Kreisen. Für die Bestätigung des Präsidenten ist eine einfache Mehrheit nötig.

Debatte um Ratspräsidenten

Doch gibt es gleichzeitig Argumente für einen Verbleib des Sozialdemokraten Schulz, die sogar in der EVP Anklang finden. Die EU-Institutionen bilden ein fein austariertes Getriebe, in dem die Besetzung der Posten ein komplexer Vorgang ist. Selbst im EU-Parlament, dessen Vertreter gewählt werden, sind nicht nur die abgegebenen Stimmen zu berücksichtigen, sondern auch die Interessen der Mitgliedstaaten und Parteienfamilien. Noch mehr gilt das für die Bildung der EU-Kommission, wo diese Balance ebenfalls nötig ist. In das muss sich dann auch noch die Kür des EU-Ratspräsidenten fügen.

Wenn Schulz nun nicht bestätigt wird, kommt Bewegung in das gesamte Gefüge. Im Abgeordnetenhaus könnte es zu Änderungen kommen - wenn etwa die EVP den Posten eines Vizepräsidenten abtreten muss, weil ihr Vertreter ja den Vorsitz übernimmt. Und die nächste Debatte könnte das Amt des EU-Ratspräsidenten betreffen. Derzeit hat dieses der Pole Donald Tusk inne, dessen Parteikollegen in der EVP vertreten sind. Um ihn zu unterstützen, könnten die polnischen EU-Mandatare sogar für Schulz stimmen. Denn Tusks Amtszeit läuft kommenden Mai aus. Wenn die Sozialdemokraten aber nicht mehr den Parlamentspräsidenten stellen, könnten sie den Posten des Ratspräsidenten für sich beanspruchen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kommt nämlich ebenfalls aus den Reihen der Christdemokraten.

Politisches Gleichgewicht

"Wir können nicht akzeptieren, dass alle drei Topposten der EU-Institutionen in den Händen der EVP sind", sagt denn auch der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Abgeordnetenhaus, Gianni Pittella. Und auch wenn er Schulz höchstes Lob ausspricht, weist er darauf hin, dass es nicht nur eine Frage der Person sei, "sondern eine Frage des Gleichgewichts zwischen politischen Kräften". Ähnliches war schon ebenfalls aus den Reihen der Grünen zu hören. Als Argument wird außerdem angeführt, dass die Fortsetzung der Zusammenarbeit der EU-Institutionen in der jetzigen Form Stabilität gewähre, die die Union benötige.

In der EVP wird abgewiegelt. Es wäre nicht das erste Mal, dass alle drei Spitzenpositionen mit Christdemokraten besetzt sind. Gleichzeitig kommen warnende Stimmen: Allzu lange Personaldiskussionen seien nicht angebracht. "Keine Dringlichkeit" dafür ortet etwa der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas.