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Die letzten Siebenbürger Sachsen

Von Maria Harmer

Politik

Siebenbürgen ist ein multikultureller Teil Rumäniens. Doch eine Bevölkerungsgruppe verschwindet zusehends: die Siebenbürger Sachsen. Ein Besuch bei einer untergehenden Kultur.


Sibiu.Die Aussicht ist prachtvoll. Dabei war es eigentlich eine Strafe, in der Bastei zu sein. Sie diente als sogenanntes "Scheidungshaus", als "Ehegefängnis". Hier wurden Ehepaare, die sich stritten, eingesperrt und mussten so lange ein einziges Bett und einen Tisch gemeinsam benutzen, bis sie versprachen, sich in Zukunft zu vertragen und herausgelassen wurden. In 400 Jahren - so erzählt Andrea Fröhlich auf Deutsch mit starkem siebenbürger-sächsischen Akzent - sei es in Biertan nur ein einziges Mal zu einer Trennung gekommen.

Biertan ist der rumänische Name der Kirchenburg und der Ortschaft, die deutschsprachige Bevölkerung sagt Birthälm und die ungarische Berethalom. Siebenbürgen ist ein multiethnischer und auch ein multireligiöser Teil Rumäniens.

In Biertan steht eine der bedeutendsten und größten der 150 Wehrkirchen und Kirchenburgen Siebenbürgens, die zur Verteidigung vor allem gegen Einfälle der Türken und Tataren diente. Der älteste Mauerring des Unesco-Weltkulturerbes wurde schon im 14. Jahrhundert erbaut. Die Silhouette der massiv befestigten Kirchenburg, die auf einem steilen Hügel inmitten des Ortes steht, ist weithin sichtbar.

Die Zusammensetzung der Ortsbevölkerung hat sich in den letzten Jahren massiv verändert: Bei der Volkszählung von 1930 hatte Biertan 2331 Einwohner, davon waren 1228 Siebenbürger Sachsen. Mittlerweile leben nur noch mehrere Dutzend in der Gemeinde. Andrea Fröhlich zählt zu jenen, die geblieben sind. "Meine Großmutter hat gesagt, nachdem sie den Krieg, die Vertreibung und die Zwangsarbeit in Russland überlebt und nachher hier in Biertan den Hof gerichtet hat, da geht sie nicht weg. Und so sind wir geblieben", erzählt Fröhlich, die für Besucher die Kirchenburg aufsperrt.

Allein zwischen Weihnachten 1989, nach der Revolution und dem gewaltsamen Tod des Diktators Nicolae Ceausescu, und Ostern 1990 verließen mehr als 100.000 Siebenbürger Sachsen Rumänien vor allem in Richtung Deutschland. "Da waren wir nur noch vier aus meiner Klasse in der deutschen Schule. Die wurde geschlossen und wir mussten dann in die rumänische gehen", erzählt die heute 34-jährige.

Dabei haben die Siebenbürger Sachsen eine jahrhundertealte Geschichte. 850 Jahre lang gab es rund um Sibiu (Hermannstadt) im heutigen Rumänien eine lebendige, deutschsprachige Gemeinde. Im Auftrag des ungarischen König Geza II. waren deutsche Siedler im 12. Jahrhundert entgegen ihrer Bezeichnung nicht aus Sachsen, sondern aus dem Gebiet zwischen Mosel und Mittelrhein bis zum Niederrhein und Flandern nach Siebenbürgen gezogen. Sie sollten die damals menschenleeren Gebiete bevölkern und die Grenzen gegen Einfälle der Mongolen sichern. Quasi im Gegenzug wurde ihnen Land gegeben sowie Steuerbefreiung und Rechtsprivilegien zugesichert.

Seit ein Großteil der "Deutschen", die laut Staatsbürgerschaft längst Rumänen waren, weggezogen ist, stehen viele Häuser leer, erzählt Andrea Fröhlich. Auch ihre beiden Schwestern mit ihren Familien leben im Ausland: eine in Deutschland und eine in Italien. "So kann ich immer ins Ausland fahren!".

Gleichzeitig sei das Geld aus dem Ausland für viele der Gebliebenen wichtig, meint Fröhlich. Vor allem ältere Menschen könnten mit ihrer niedrigen Pension die hohen Lebensmittelpreise nicht bezahlen.

Sommer in der alten Heimat

Allein in Deutschland leben heute rund 250.000 Siebenbürger Sachsen. Als sogenannte "Sommer-Sachsen" kämen sie zu Besuch, "sie möchten die alte Heimat wiedersehen, die Kirche und die Familiengräber besuchen", erzählt Fröhlich.

Rumänen sind in die ehemals sächsischen Dörfer gezogen, und an vielen Ortsrändern entstanden und entstehen große Roma-Siedlungen. Die Roma sind mit Sicherheit die am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe Siebenbürgens. Genaue Statistiken und Zahlen gibt es nicht. Genaugenommen sind sie auch keine Roma, sondern vor allem Lovara und Kalderasch. Die Namen beziehen sich auf die traditionellen Berufe: Lovara waren die Pferdehändler, Kalderasch Kupferschmiede und Kesselflicker. Auch sie leben schon seit Jahrhunderten in Siebenbürgen. Immer wieder gab es Anstrengungen zur Zwangsassimilation und Zwangsansiedlung. Geblieben ist ihnen die Armut, in der sie bis heute gefangen sind.

Auch in Sibiu, auf Deutsch Hermannstadt, merkt man, dass sich die Bevölkerungszusammensetzung der Revolution im Dezember 1989 gewaltig verändert hat. Für viele deutschsprachige Bürger der Stadt ist der Sonntagsgottesdienst in der vom Hauptplatz nahegelegenen evangelischen Stadtpfarrkirche im Zentrum ein Fixpunkt. Von den etwa 200 Gläubigen, die zum Gottesdienst kommen, haben die meisten graue Haare. Mitte der 1970er Jahre lebten bis zu etwa 20.000 Siebenbürger Sachsen in Hermannstadt. Derzeit sind nur noch etwas mehr als 1000.

"Sie sind alle weg. Meine Freunde, meine eigenen Kinder", sagt Marianne Kiss. Sie steht im Eingang der evangelisch-lutherischen Stadtpfarrkirche und schlichtet nach dem Gottesdienst Gebets- und Liederbücher wieder zurück in ein Regal, während sie erzählt. "Mein Mann ist hier begraben, ich möchte nicht weg."

In der katholischen Stadtpfarrkirche findet eine Messe statt. Pfarrer Oscar Raicea liest sie auf Deutsch. "Die deutschsprachigen Katholiken in Siebenbürgen sind wie weiße Büffel, sehr selten!", sagt er schmunzelnd. Gerade hat Raicea noch Staatspräsident Klaus Johannis nach der Messe die Hand geschüttelt, bevor der mit seiner Frau im gepanzerten Wagen zur Schwiegermutter zum Mittagessen fuhr. Der Siebenbürger Sachse war bis zu seiner Wahl Bürgermeister von Hermannstadt; er ist evangelisch, begleitet aber seine Frau, die katholisch ist, in die Messe, freut sich der Priester.

Kampf gegen die Zeit

"Ein Großteil der Stadträte sind bis heute Deutsche. Die Deutschsprachigen genießen einen guten Ruf in der Stadt", sagt Oscar Raicea. Die Bewahrung der Sprache ist ihnen ein wichtiges Anliegen: Wöchentlich erscheint die "Hermannstädter Zeitung"; in der Stadt gibt es eine deutsche Buchhandlung, deutsche Kindergärten und Volksschulen. Das wichtigste deutsche Gymnasium ist das "Brukenthal-Lyzeum". "Aber ein Großteil der Schüler sind jetzt Rumänen", fügt Raicea hinzu. "Sie erhoffen sich dadurch bessere Chancen in Europa."

Es ist ein Kampf gegen die Zeit, gegen die Überalterung. Die Zahl der Deutschsprachigen sinkt beständig. Und vor allem die Jungen wandern weiter aus. Das langsame Ende der Siebenbürger Sachsen . . .