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Die Krisen-Duma

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Die Kreml-Partei "Geeintes Russland" hat sich ihre Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament gesichert. Doch die wirtschaftlichen Boomjahre sind vorbei, und auf die Duma kommen schwierige Zeiten zu.


Moskau. Wladimir Putin gab am Wahlabend den Gönner. Die Wähler hätten verstanden, dass die Abgeordneten "wirklich hart arbeiten, obwohl nicht immer alles klappt", versicherte der Kreml-Chef vor den andachtsvoll lauschenden Parteifunktionären. "Wir wissen, dass die Menschen harte Zeiten durchleben, und es gibt viele ungelöste Probleme", dozierte Putin weiter. "Trotzdem hat die Partei gewonnen, und dazu gratuliere ich euch."

Der Präsident, der über den innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen zu schweben scheint - es ist nicht zuletzt dieses Image, das "Geeintes Russland" zum Wahlsieg bei den Parlamentswahlen am Sonntag verholfen hat. Zuletzt hat die Kreml-Partei massiv mit Putin geworben, der offiziell gar kein Parteimitglied ist. Im Gegensatz zur Duma, die in der Bevölkerung wenig angesehen ist, liegen Putins Popularitätswerte noch bei über 80 Prozent. Laut aktuellem Stand kommt "Geeintes Russland" bei den per Verhältniswahl vergebenen Mandaten mit 54 Prozent auf mehr als die Hälfte der Stimmen.

Es war eine eigentümliche Trägheit, die diesen Wahlkampf begleitet hat. Vor allem in Sankt Petersburg und Moskau, traditionell stärker dem Kreml-kritischen Lager zugewandt, blieben zwei von drei Wahlberechtigen den Wahlurnen fern. Die beiden demokratischen Oppositionsparteien Jabloko und Parnas sind mit 1,85 und 0,7 Prozent klar an der Fünfprozent-Hürde gescheitert. Dass diesmal mehr Parteien antreten durften als noch 2011, ist vom Segen zum Fluch für die Kleinparteien geworden: 13 Prozent der abgegebenen Stimmen entfallen auf Parteien, die unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben.

Dementsprechend erhöht sich der Mandatsanteil der vier Parteien, die ins Parlament kommen: "Geeintes Russland" kommt nach derzeitigem Stand mit 343 Mandataren in der 450-Sitze-Duma auf eine überwältigende Zwei-Drittel-Mehrheit. Dabei hat die Partei bei den Direktmandaten, die erstmals seit 2003 wieder für die Hälfte Duma-Sitze eingeführt wurden, erst so richtig abgeräumt: 203 der 225 Direktmandate fallen nach aktuellem Stand der Kreml-Partei zu. Neben "Geeintes Russland" ziehen mit den Liberaldemokraten (LDPR) des Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski, den Kommunisten und der Partei "Gerechtes Russland" drei systemkonforme Parteien in das Parlament ein.

Eine Art Ein-Parteien-System

Somit ist die Duma konservativer und Kreml-treuer als je zuvor. Von einem "Ein-Parteien-Parlament unter formeller Einhaltung der Demokratie" schreibt Kirill Martynow in der Oppositionszeitung "Nowaja Gaseta".

Auf die Duma kommen indes schwere Zeiten zu: Mit dem niedrigen Ölpreis sind die wirtschaftlichen Boomjahre vorbei. Diese Duma wird die erste seit langem sein, die unter einer Wirtschaftskrise antritt und ein Staatsbudget mit schrumpfenden Ressourcen bewältigen muss. Um die weitere Kürzung von Sozialausgaben wird die neue Duma nicht herumkommen, so Beobachter.

Wenig dürfte sich indes an der Außenpolitik ändern. Sie gilt als das Steckenpferd des Präsidenten, der vor allem mit seinen internationalen Muskelspielen bei den russischen Wählern gepunktet hat. Dass der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski, der für seine aggressive anti-westliche Rhetorik bekannt ist, mit knapp 14 Prozent als heimlicher zweiter Wahlsieger gilt, wird als Signal gesehen, den Kurs weiterzuhalten. "Ein Aufruf zur Fortsetzung der Militarisierung", formuliert es Martynow.

Eine Art Erneuerung soll es derweil in der Regierungspartei selbst geben: Sie sorgte dafür, dass neue Gesichter aus Medizin, Medien und Wirtschaft in die Duma einziehen. Frischer Wind oder nur Kosmetik? "Die Leute, die über Direktmandate in die Duma gekommen sind, werden weniger mit der Parteiführung verbunden sein als vielmehr mit regionalen Interessensgruppen", meint die Politologin Jekaterina Schulmann. "Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Leute in der Duma mehr Rechte für sich einfordern werden, unabhängig von ihrer parteilichen Zugehörigkeit."

Der Kreml feiert das Ergebnis derweil als einen erfolgreichen Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen 2018. "Wieder hat der Präsident ein imposantes Vertrauensvotum vom Volk erhalten", so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Wichtiger als das Ergebnis seien aber "die Schlüsse, die der Kreml daraus zieht", schreibt Tatjana Stanowaja vom Zentrum für politische Technologien in Moskau: "Die Wahlen haben eine wichtige Funktion für die Elite: Sie sind ein Versuchsfeld für die künftigen Anwärter für Toppositionen in der Machtpyramide, die sich nach den Präsidentschaftswahlen 2018 formieren wird."

Die "ehrlichsten Wahlen" hatte die neu ernannte Leiterin der Wahlkommission, Ella Pamfilowa, den Russen versprochen. Dennoch wurden am Wahltag zahlreiche Wahlfälschungen dokumentiert. Von einem fairen Wettbewerb aller Parteien konnte auch diesmal keine Rede sein. Im Gegensatz zu den Wahlen 2011, als sich Massenproteste entzündeten, hätten sich die Fälschungen diesmal zumindest in Grenzen gehalten, räumen auch Wahlbeobachter ein. Doch es scheint, als hätten auch die Russen selbst an diesen vordergründig "ehrlichen Wahlen" inzwischen das Interesse verloren: Mit 48 Prozent ist es die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte Russlands.