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"Fidesz hat Angst"

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Der frühere EU-Kommissar Péter Balázs über das Referendum der ungarischen Regierung.


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"Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des (ungarischen) Parlaments die Ansiedlung nichtungarischer Staatsbürger in Ungarn vorschreibt?" So lautet die Frage der nationalkonservativen Fidesz von Premier Viktor Orbán an die Bürger bei dem Referendum am Sonntag. Die Regierung will mit allen Mitteln ein "Nein" der Bürger, gibt umgerechnet 26 Millionen Euro für die Kampagne aus.<p>"Wiener Zeitung": Gehen Sie zur Abstimmung?<p>Péter Balázs: Nein. Denn die dort gestellte Frage ist ja keine Frage. Es gibt bei uns keine Migranten. Es gibt mehr Propagandaplakate als Migranten. Außerdem ist die Fragestellung falsch. Darauf kann man keine Antwort geben. Die meisten Oppositionsparteien sind für einen Boykott, mit Ausnahme der Liberalen, die mit Ja (für die Aufnahme von Flüchtlingen, Anm. d. Red.) stimmen wollen. Ich glaube, Boykott ist die beste Lösung.<p>Damit das Referendum gültig ist, müssen 50 Prozent der Bevölkerung plus eine Stimme teilnehmen? Wird das Quorum erfüllt werden?

<p>Es wird in der Nähe der Gültigkeitsgrenze schweben. Aber diejenigen, die hingehen, werden höchstwahrscheinlich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen stimmen. Analysten sagen, dass Orbán in jedem Fall einen Sieg verkünden wird.<p>Auch wenn das Referendum nicht gültig ist?<p>Ja. Ein Populist kann immer die Formulierungen für eine ihm genehme Interpretation finden. Es wird ein "großer Sieg" sein, unabhängig vom Ergebnis.<p>Orbán hat aber hoch gepokert. Er hat erklärt, er wäre enttäuscht, sollte die Beteiligung am Referendum unter hundert Prozent liegen. Andere Fidesz-Politiker behaupten, dieses Referendum sei wichtiger als eine Parlamentswahl.<p>Die Unterstützung für Orbán im Volk war in letzter Zeit schwächer geworden. Deshalb hat er das Referendum in die Wege geleitet. Um von anderen Problemen abzulenken, wie jene im Gesundheitswesen, im Unterrichtswesen, in Sicherheitsfragen - die Liste ist lang. Fidesz hat wie für eine Wahlkampagne mobilisiert.<p>Ungarische Medien sprechen von einer Panikstimmung bei Fidesz. Wird dort befürchtet, dass das Referendum an mangelnder Beteiligung scheitert?<p>Genau. Fidesz hat Angst. Das spürt man, das sieht man. Sie sind aggressiv, weil sie sich fürchten. Sie haben unglaublich viel Geld für die Kampagne mobilisiert, und zwar aus dem Staatsbudget, denn bei uns ist ja keine Trennlinie zwischen Staat und Partei sichtbar.<p>Es gibt aber auch viele Ungarn, die zwar sonst gegen Orbán sind, aber seine Flüchtlingspolitik gut finden. Warum ist das so?<p>Es ist weitgehend dasselbe Phänomen wie in den neuen Bundesländern in Deutschland. Dort herrscht Fremdenfeindlichkeit, es gab über lange Zeit keine Kontakte zum Ausland. Es ist so leicht, die Leute auf diesem Weg zu mobilisieren, mit dem Argument, dass Fremde kommen, mit einer anderen Sprache, anderer Kleidung, anderer Kultur, anderer Religion. Das ist allgemein so in den osteuropäischen Staaten, die früher isoliert waren. Hinzu kommen in Ungarn der große Nationalismus und das Trianon-Thema (Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg, Anm.). Orbán hat das meisterhaft ausgespielt.<p>Welche Schritte wird Orbáns nach dem Referendum unternehmen?<p>Fidesz hat die Pläne teilweise schon enthüllt: Es wird eine Änderung des Grundgesetzes geben, falls das Referendum auch nur eine knappe Mehrheit bekommt. Sie werden wohl Elemente aus der beim Referendum gestellten Frage in die Verfassung einbauen.<p>Die Referendumsfrage bezieht sich ja explizit nicht nur auf Flüchtlinge, sondern auf "nicht-ungarische Menschen", gegen deren "Ansiedlung" in Ungarn das Parlament ein Vetorecht bekommen soll. Ist das noch EU-konform?<p>Die ganze Frage ist Unsinn. Die Formulierung geht eindeutig auf das Konto der (rechtsextremen Partei, Anm. d. Red.) Jobbik. Laut deren Propaganda sind nur die Ungarn gut und alle anderen schlecht.

Péter Balázs ist einer der Architekten des ungarischen EU-Beitritts 2004. Der 74-Jährige war Ungarns EU-Botschafter, EU-Kommissar und Außenminister der 2010 abgewählten sozial-liberalen Regierung. Derzeit lehrt der Wirtschaftswissenschafter an der Zentraleuropäischen Universität (CEU) in Budapest.