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Fracking gegen den Volkswillen

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Nach der Entscheidung zum Bau eines Atomkraftwerks gibt die britische Regierung nun grünes Licht für erste Schiefergas-Bohrungen in Lancashire - Grafschaftsrat und kommunale Verbände sind entschiedene Gegner.


London. Mit der Erklärung zum Bau des Kraftwerks Hinkley
Point C hat die britische Regierung im Sommer eine Renaissance der Atomenergie eingeläutet. Nun will das Kabinett von Premier Theresa May auch Fracking-Firmen Starterlaubnis für Bohrungen auf der Insel erteilen. Das enthüllte Mays Minister für Kommunalpolitik, Sajid Javid, als er allen kommunalen Widerstand in der nordenglische Grafschaft Lancashire ignorierte und grünes Licht fürs Bohren von zunächst vier Quellen zu Testzwecken gab. Er habe vor, vier weitere Fracking-Plätze in Lancashire freizugeben, sobald dort noch bestehende Verkehrsprobleme behoben seien, erklärte Javid. "Generell" sei es "die klare Überzeugung der britischen Regierung, dass Fracking und die Nutzung all der Ressourcen, die wir in unserem Land haben, Teil der Zukunft unseres Landes sind."

Die Regierungsentscheidung, die eine ganze Reihe ähnlicher Genehmigungen nach sich ziehen dürfte, bedeutet einen wichtigen Durchbruch für die Schiefergas-Industrie im Vereinigten Königreich. Bisher stand noch in Frage, ob es zu weitläufiger Ausbeutung solcher Gase mit Fracking-Methoden kommen würde.

Eine einzige Quelle, in Nord-Yorkshire, war bisher genehmigt worden. Die Bohrungen dort sind allerdings auf 2017 verschoben worden, weil der Umweltverband "Friends of the Earth" gegen den Beschluss vor Gericht zog. Über einen separaten Antrag für Testbohrungen will Mitte November der Grafschaftsrat von Nottinghamshire entscheiden. 2017 soll das Startjahr für Fracking in Großbritannien werden.

Helle Empörung hat die Regierungserlaubnis für die vier Bohrstellen in Lancashire unterdessen vor Ort, in der Umgebung von Preston New Road, ausgelöst. Der Grafschaftsrat von Lancashire hatte den Antrag des Fracking-Unternehmens Cuadrilla zwei Mal ausdrücklich verworfen. 18.000 Bürger hatten Widerspruch eingelegt gegen die Test-Bohrungen.

Labour verspricht Rücknahme bei Machtwechsel

Aber Cuadrilla wandte sich direkt an die Regierung - und erhielt jetzt von Minister Javid positiven Bescheid. Es sei "ein trauriger Tag", meinte der Verband der örtlichen Fracking-Gegner, an dem man begreifen müsse, dass "die Regierung taub" sei für die Stimmen der Bürger in den betroffenen Kommunen. "In jeder Instanz" sei das Fracking-Begehren abgewiesen worden. Nun zwinge London es den Menschen in Lancashire einfach auf.

Privater Profit komme im Regierungskalkül klar vor dem öffentlichen Interesse, erklärten die Bürgerverbände. Auch die großen Umweltgruppen protestierten scharf. Fracking bedrohe unmittelbar "unsere Landschaft und unsere Luftqualität", klagte Greenpeace. Friends of the Earth erklärte: "Statt uns auf den gefährlichen Weg zu zwingen, der unweigerlich zu Klimawandel führt, sollte die Regierung lieber in erneuerbar Energiequellen und in mehr Energieeffizienz investieren."

Liberaldemokraten und Grüne monierten, dass "die Regierung hier rücksichtslos über den Willen der örtlichen Bevölkerung weggegangen ist". Die größte Oppositionspartei, die Labour Party, hat bereits gelobt, dass sie im Falle einer Rückkehr an die Regierung Fracking verbieten würde. Selbst bei den regierenden Konservativen gibt es kritische Stimmen. Bisher geht es nur um Gebiete in Mittel- und Nordengland. Aber auch in Südengland, wo die Tories ihre ländlichen Hochburgen haben, soll es weitläufige Schiefergas-Vorkommen geben.

Regierung proklamiert Energie-Unabhängigkeit

In der Tat sind einer regierungsamtlichen Umfrage zufolge nur 19 Prozent der Briten fürs Fracking, 31 Prozent aber dagegen. 81 Prozent sind für und 4 Prozent gegen stärkere Investition in erneuerbare Energiequellen.

Die Regierung freilich weist alle Vorwürfe von sich, den Volkswillen zu missachten. Sie besteht darauf, dass schon allein für größere Unabhängigkeit vom Ausland in Sachen Energieversorgung die Ausbeutung nötig sei. Ähnlich argumentierte Premierministerin May im Vormonat im Nuklearbereich, als sie für den Bau des ersten Atomkraftwerks auf der Insel seit zwanzig Jahren grünes Licht gab.

Das nächste umstrittene Vorhaben ist bereits in Sicht, denn die eine Entscheidung, ob der Flughafen Heathrow eine dritte Start- und Landebahn erhalten soll, steht an - was sehr viel mehr Luftverkehr über London bedeuten würde. Auch diesem Projekt, gegen das es leidenschaftliche Proteste in der Bevölkerung gibt, scheint die Regierung May positiv gegenüberzustehen.