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Halbherziger Kampf um Zusammenhalt

Von Siobhán Geets

Politik

Die Regierung in London trifft die politischen Vertreter Nordirlands, Schottlands und Wales, um über den Brexit zu beraten. Dass es dabei zu einer Einigung kommt, mit der das gesamte Königreich zufrieden ist, ist unwahrscheinlich.


London. Für Theresa May geht es dieser Tage vor allem um eines: Das Vereinigte Königreich zusammenzuhalten - auch nach dem Brexit-Referendum, bei dem eine Mehrheit der Engländer und Waliser, aber nur eine Minderheit der Schotten und Nordiren für einen Austritt aus der EU gestimmt haben. Nun, nach dem Referendum, aber vor dem Beginn der Austrittsverhandlungen mit Brüssel, gilt es für die britische Premierministerin, Tendenzen zur Abspaltung (Schottland) und die Angst um das sozio-ökonomische Gleichgewicht (Nordirland) möglichst schon im Keim zu ersticken. Bisher hat May die Sorgen aus Edinburgh und Belfast weitgehend ignoriert. Am Montag traf sich die britische Premierministerin erstmals mit den Regierungschefs von Schottland, Nordirland und Wales, um über das Vorgehen beim Brexit zu beraten. Weitere Gespräche soll es im November und Dezember geben.

Wiedervereinigung Irlands "nicht auf dem Tisch"

Für May gilt es, eine ganze Reihe von Bällen in der Luft zu halten. Denn London ringt nicht nur um eine Strategie für die Verhandlungen mit Brüssel. Auch was die Lage im Rest des Vereinigten Königreichs betrifft, hält sich die Regierung mit klaren Ansagen zurück. Bei dem Gespräch mit Brexit-Minister David Davis in Downing Street hatten die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon, ihr walisischer Amtskollege Carwyn Jones und die Erste Ministerin Nordirlands Arlene Foster sowie deren Stellvertreter Martin McGuinness zumindest die Gelegenheit darzulegen, wie sie sich eine Zukunft mit dem Brexit vorstellen. London sei "bereit, Vorschlägen der politischen Führer" zuzuhören, hieß es dazu aus der Downing Street.

Doch diese Wünsche und Vorstellungen machen für London alles noch komplizierter. Schottland, Wales und Nordirland gehören zwar alle zum Vereinigten Königreich, verfügen aber über verschiedene Grade von Autonomie - und streben im Zuge des Brexit auch unterschiedliche Ziele an. Während in Wales 52,5 Prozent der Wahlberechtigten für den EU-Austritt gestimmt hatten, votierten in Schottland 62 und in Nordirland 55,8 Prozent für einen Verbleib in der Union. Eine erzwungene Trennung von der EU sei undemokratisch, heißt es aus Schottland. Auch in Nordirland bemängelt die irisch-republikanische Partei Sinn Féin, dass der Wille der Bevölkerung nicht gehört werde. Belfast und Edinburgh haben London wiederholt dafür kritisiert, ihren Anliegen bei den Gesprächen über einen Brexit keinen Raum zu geben.

Daran hat auch das Treffen am Montag nichts geändert. Die schottische Regierungschefin zeigte sich danach "extrem frustriert" über die Gespräche in London. Zuvor hatte Sturgeon gefordert, dass alle vier Parlamente des Vereinigten Königreichs über Londons Brexit-Strategie abstimmen müssten. Sturgeon will Schottland als "gleichberechtigten Partner" behandelt wissen und droht offen damit, bei einem "harten Brexit" - ohne Zugang zum EU-Binnenmarkt - noch einmal über eine Unabhängigkeit von Großbritannien abstimmen zu lassen. Bei einem Referendum im Jahr 2014 hatten die Schotten eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich zwar mit 55,3 Prozent abgelehnt, doch nun sind die Karten neu gemischt.

Anders verhält es sich mit Nordirland, denn eine Wiedervereinigung mit der Republik ist derzeit ausgeschlossen. Zwar sieht das Karfreitagsabkommen von 1998 vor, dass der Norden sich an Irland anschließen darf, wenn sich eine Mehrheit der Nordiren dafür ausspricht. Und Irlands Premier Enda Kenny sagte kurz vor dem Brexit-Votum, ein EU-Austritt könnte den Weg zu einem solchen Referendum ebnen. Doch nun, vier Monate nach der wohl wichtigsten Volksabstimmung in der Geschichte des Vereinigten Königreichs, ist der Ton ein anderer. "Das Thema des vereinten Irlands liegt nicht auf dem Tisch", sagte Irlands Europaminister Dara Murphy vergangene Woche zur "Wiener Zeitung". "Die Zeit ist nicht reif dafür." Ganz abgesehen davon, dass sich in Nordirland wohl keine Mehrheit für einen Anschluss an die Republik finden würde, hat Dublin kein Interesse, die marode, von London subventionierte Region in die Republik aufzunehmen.

Ein weiterer Unterschied zur Lage in Schottland ist die politische Situation in Nordirland. Seit 2006 teilen sich die katholische (pro-irische) Partei Sinn Féin und die protestantische (pro-britische) Democratic Unionist Party (DUP) die Macht in Belfast. Während sich die DUP von Anfang an für den Brexit aussprach, will Sinn Féin einen Sonderstatus verhandeln, damit Nordirland bei einem Austritt Großbritanniens in der EU bleiben kann. Dass die londontreue DUP dem zustimmt, ist jedoch ausgeschlossen. Angesichts eines möglichen "harten Brexit" und der Rückkehr von Grenzkontrollen zwischen Irland und dem Norden wächst auf beiden Seiten der Insel die Angst vor einem Wiederaufflammen des Konfliktes entlang der alten Trennlinie zwischen Katholiken und Protestanten.

Experten warnen vor Verfassungskrise

Experten sehen zudem die Gefahr einer Verfassungskrise, sollte May nicht alle vier Landesteile in ihre Brexit-Strategie miteinbeziehen. Die britische Premierministerin inszenierte sich am Montag zwar als aufmerksame Zuhörerin - machte zugleich aber klar, dass sie es nicht dulden werde, sollte jemand aus der Reihe tanzen. London will einen "Universaldeal" für das gesamte Königreich, das in den Brexit-Verhandlungen als vereinte Front auftreten soll. Gemeint ist damit freilich, dass sich die Anderen an die Strategie Englands zu halten haben.

Am Montag forderte May die dezentralisierten Regierungen in Nordirland, Schottland und Wales auf, davon abzusehen, ihre eigenen Verhandlungen zu führen, "um die Brexit-Strategie Londons nicht zu untergraben". "Welche Strategie?", fragte daraufhin Sturgeon, "Ich kann nichts untergraben, das nicht existiert."

Spätestens mit dem Beginn der offiziellen Austrittsgespräche mit Brüssel im März muss London seine Verhandlungsstrategie offen legen. Danach bleiben zwei Jahre Zeit, bis das Vereinigte Königreich aus der EU ausscheidet.