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Debakel der EU-Handelspolitik

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Die Ablehnung des Abkommens Ceta durch ein Regionalparlament wirft Schatten auf künftige Verhandlungen.


Brüssel. Mit wem glaubt Europa noch Geschäfte machen zu können? Die Frage, die der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau vor wenigen Wochen in den Raum geworfen hatte, bleibt fürs Erste dort stehen. Denn die Wallonen beharrten auch am Montag auf ihrer Ablehnung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (Ceta), und so verzögerte der belgische Landesteil die Unterzeichnung des Vertrags, die für kommenden Donnerstag angesetzt war. Wenn sich aber die Gemeinschaft unfähig zeige, einen "fortschrittlichen Handelspakt" mit einem Land wie seinem abzuschließen, fragte sich Trudeau - mit wem könne sie es dann?

Tatsächlich wirft der Zwist um Ceta seine Schatten auf Verhandlungen um ähnliche Vereinbarungen mit den USA oder Japan. Nicht nur das: Auch innerhalb der Union droht solch ein mühsames Tauziehen. Schließlich stehen nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien Gespräche über den Austritt des Königreichs an - und ein wesentlicher Teil davon betrifft die künftigen Handelsbeziehungen.

Zu einem internen Problem wurde freilich auch Ceta. Denn mit den Kanadiern war das Abkommen bereits vor einiger Zeit ausverhandelt, und die EU-Kommission, die die Gespräche im Namen der Mitgliedstaaten führte, empfahl noch vor dem Sommer die Unterzeichnung der Vereinbarung. Doch dann regte sich Widerspruch in einigen Ländern, in denen die Kritik an Ceta gewachsen ist, parallel zu den Einwänden gegen TTIP, das heftig umstrittene transatlantische Abkommen mit den USA. Um dem Rechnung zu tragen, drängten Deutschland und Frankreich, aber auch Österreich darauf, Ceta als sogenannte gemischte Vereinbarung zu betrachten. Das bedeutet, dass damit nicht nur die EU-Institutionen befasst werden sein sollen, sondern auch die nationalen Parlamente ein Mitspracherecht haben.

Innenpolitische Motive spielen auch eine Rolle

Das wiederum eröffnete den Wallonen die Möglichkeit, das Vorhaben zu blockieren. Sie nutzten dafür das komplexe Verwaltungssystem und die föderale Aufsplitterung des Landes, die nicht nur Koalitionsverhandlungen nach jeder Wahl zu einem äußerst schwierigen Unterfangen geraten lassen. Denn Belgien hat einen frankophonen wallonischen und einen flämischen Teil, und das offiziell zweisprachige Brüssel ist eine von drei Regionen des Staates. Dort ist zwar der Sitz der Zentralregierung und des Parlaments, aber etliche Entscheidungen werden auf regionaler Ebene gefällt. Und die Gemeinden legen auf ihre Autonomie ebenfalls großen Wert. Daher kann Belgiens Premier Charles Michel nicht seine Zustimmung zu Ceta geben, solange nicht alle Regionen damit einverstanden sind.

So sind es neben den deklarierten Befürchtungen um die Absenkung von sozialen Standards oder Wettbewerbsnachteile für lokale Produkte auch innenpolitische Motive, die Wallonien gegen Ceta stimmen ließen. Der mit strukturellen Krisen und dem Abstieg der Industrie kämpfende Landesteil könnte sich finanzielle Zusagen und erhöhte Aufmerksamkeit in Belgien erhoffen. Dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paul Magnette werden außerdem über die Region hinausgehende politische Ambitionen nachgesagt.

So kam es, dass die belgischen Querelen die Aussicht auf eine baldige Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit Kanada von Tag zu Tag schwinden ließen. In der Vorwoche waren zunächst die Handelsminister der EU und kurz darauf die Staats- und Regierungschefs der Union ohne Einigung auseinandergegangen. Am Wochenende gab es dann noch hektische Krisengespräche, in die sich ebenfalls EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, ein Parteifreund Magnettes, eingeschaltet hatte. EU-Ratspräsident Donald Tusk soll auf eine Verständigung bis Montagabend gedrängt haben: Immerhin müsste Premier Trudeau wissen, ob er ins Flugzeug steigen soll, mit dem er zum EU-Kanada-Gipfel am Donnerstag kommen wollte.

Doch dieses "Ultimatum", wie es Magnette nannte, gefiel den Wallonen wenig. Nach einer Sitzung mit Vertretern der Zentralregierung und der Regionen blieben sie bei ihrem "Nein". Und Premier Michel musste Tusk mitteilen, dass es keine Verständigung gebe. Bis Ende des Jahres sei diese vielleicht möglich, fügte der wallonische Parlamentspräsident Andre Antoine hinzu.

Möglichkeiten eines Veto zu vielfältig

Für künftige Verhandlungen über internationale Handelsabkommen sei der "wallonische Vorfall" jedenfalls kein gutes Vorzeichen, finden Experten. Er zeige gleichzeitig, dass die EU in Teilen der Bevölkerung zunehmend als "Agentin einer uneingeschränkten Globalisierung" gesehen werde, meint Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik EPC (European Policy Centre). Daher sollten die EU-Institutionen Befürchtungen von Bürgern sowie kritische Argumente schon in einem frühen Stadium von Verhandlungen berücksichtigen. "Es brauche eine ehrliche Debatte", schreibt Emmanouilidis in einem Analysepapier. Vor allem aber müsse fixiert werden, welche Teile von Handelsabkommen nur in die Zuständigkeit der EU fallen und welche mit nationalen Parlamenten abgestimmt werden müssen. Andernfalls seien die Veto-Möglichkeiten zu vielfältig.