Zum Hauptinhalt springen

"Wir sind in der Krise"

Von WZ-Korrespondentin Cigdem Akyol

Politik

Nach zahlreichen Verhaftungen ihrer Mitarbeiter droht der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet" das Ende.


Istanbul. Der kommissarische Chefredakteur brüllt ins Telefon. Ein Mitarbeiter hat ein Problem, eine Kleinigkeit. "Wir sind in der Krise", schreit Aykut Küçükkaya so laut, dass Kollegen erschrocken aus ihren Büros treten, um nach dem Rechten zu sehen. Wie er es wagen könne, ihn jetzt mit solch einer Nichtigkeit zu behelligen, donnert der kommissarische Chef der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet". Küçükkaya sieht erschöpft aus, seine Augen sind rot. Er setzt sich fluchend an seinen Schreibtisch, ein Kollege nimmt ihm das Telefon aus der Hand. "Inmitten dieses Wahnsinns müssen wir jeden Tag eine Zeitung herausbringen", sagt Küçükkaya.

An der Fassade des Redaktionsgebäudes hängt eine riesige türkische Flagge. Die "Cumhuriyet" befindet sich im Istanbuler Stadtteil Sisli, einem mit Shoppingmalls zubetonierten Viertel. Die Straße ist abgesperrt, wer zur Redaktion will, wird von Polizisten durchsucht. Sicherheitsleute bewachen das durch einen Zaun gesicherte Gebäude. Auch im Redaktionsgebäude selbst wird das Gepäck durchleuchtet. Die Journalisten der "Cumhuriyet" sind gerade selbst landesweit und international ein Topthema - und in Gefahr.

"Wir können nichts dafür, dass wir gerade über uns selbst berichten müssen", sagt Küçükkaya. Wer aus seinem Bürofenster schaut, sieht das Logo der "Milliyet" - einer regierungstreuen Tageszeitung. Bis August 2013 war Can Dündar Kolumnist der "Milliyet" - dann wurde er wegen seiner AKP-Kritik entlassen und wechselte zur "Cumhuriyet". In Küçükkayas Büro steht ein Foto mit einem lachenden Dündar - Arm in Arm mit Kollegen. Der frühere Chefredakteur des Blattes wurde im Mai wegen Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Vor der Revisionsverhandlung setzte er sich nach Deutschland ab.

An diesem Nachmittag sehen viele Redakteure so müde aus wie ihr Chef, manche haben den Kopf auf ihren Schreibtisch gelegt. "Das Volk hat ein Recht auf Informationen" und "Journalismus ist kein Verbrechen" steht auf Plakaten, die auf einem Schreibtisch herumliegen. "Wer die Wahrheit schreibt, die Mächtigen kritisiert, der ist ein Verbrecher in diesem Land", sagt Küçükkaya. Ob die Verhaftungswelle für ihn überraschend kam? "Damit habe ich nicht gerechnet", sagt er, während im Hintergrund der Sender CNN-Türk zeigt, wie im Südosten des Landes weitere Journalisten festgenommen werden. "Würden wir immer daran denken, dass wir abgeholt werden, dann könnten wir nicht arbeiten. So funktioniert der Journalismus in der Türkei, man steht immer unter Druck." Küçükkaya gibt sich furchtlos, doch überzeugend wirkt er dabei nicht.

Es droht die staatliche Übernahme oder Schließung

Razzien in Redaktionsräumen, Journalisten hinter Gittern, die Übernahme von Verlagen durch staatliche Treuhänder oder gar deren Schließung schockieren niemanden mehr in der Türkei. Jeder wusste, dass auch die "Cumhuriyet" nicht von der staatlichen Willkür verschont bleiben würde. Aber diesmal ist es anders, denn die Zeitung ist ein geschichtsträchtiges Symbol der Republik. Nach der Festnahme von 13 Mitarbeitern am Montag vergangener Woche wurde am Samstag Untersuchungshaft für Chefredakteur Murat Sabuncu und acht ranghohe Mitarbeiter des Blattes angeordnet.

"Cumhuriyet" heißt "Republik" - und ist fast genauso alt wie der türkische Staat. Zum ersten Mal erschien das Blatt am 7. März 1924, kurz nach der Staatsgründung durch Mustafa Kemal Atatürk. Wegen ihrer streng kemalistisch-laizistischen Blattlinie wurden mehrere "Cumhuriyet"-Journalisten Opfer islamistisch motivierter Anschläge. Zu ihren zählen Ugur Mumcu und Ahmet Taner Kislali, die in den neunziger Jahren ermordet wurden.

Noch ist das Blatt die letzte kritische Zeitung in der Türkei. AKP-Kritiker befürchten, dass demnächst ein staatlicher Treuhänder die Zeitung übernehmen oder die Redaktion ganz geschlossen wird. Denn seit der Niederschlagung des Putsches im Juli führt Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan eine "Säuberungswelle" gegen all jene vor, die er für mitverantwortlich hält. Er will die totale Kontrolle.

Absurderweise wirft die Staatsanwaltschaft den "Cumhuriyet"-Journalisten vor, Verbindungen zu der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen zu haben, den Ankara als Drahtzieher des Putschversuchs verdächtigt. Beide Gruppen gelten in der Türkei als Terrororganisation.

Dabei hat die "Cumhuriyet" die niedergeschlagene Revolte umgehend verurteilt und auch die Gülen-Bewegung und die Gewalt der PKK immer wieder scharf kritisiert. Einer ihrer prominentesten Journalisten, Ahmet Sik, wurde 2011 wegen Terrorverdachts 13 Monate in Untersuchungshaft festgehalten. Grund dafür war sein noch unveröffentlichtes Buchmanuskript mit dem Titel "Die Armee des Imam", in welchem er über Fetullah Gülen und seine weltweit aktive Sekte schrieb. Bis Anfang 2013 waren Erdogan und Gülen noch enge Verbündete.

Repressionswellesetzte bereits 2015 ein

Ebenfalls scharf angegriffen haben die Journalisten die islamisch-konservative AKP-Regierung. Eine enorme Repressionswelle gegen das Blatt setzte bereits im Mai 2015 ein. Die Zeitung hatte Bilder veröffentlicht, die Lastwagen des türkischen Geheimdienstes MIT zeigen sollen, wie sie Anfang 2014 Waffen über die Grenze nach Syrien transportieren. "Der Moment, in dem der Staat scheitert", lautete die "Cumhuriyet"-Schlagzeile.

Doch kritisieren darf nur der Präsident. Er ist der oberste Zensor und Chefredakteur des Landes. Erdogan hat kein Interesse daran, dass unangenehme Wahrheiten über angeblich verdeckt geführte Operationen mit Dschihadisten die Bürger erreichen. So verklagte der Präsident den damaligen Chefredakteur Dündar und seinen Büroleiter in Ankara persönlich. Sabuncu, sein nun festgenommener Nachfolger, wurde erst im September zum Chefredakteur ernannt.

Sükran Soner ist die dienstälteste Redakteurin des Blattes. Seit 50 Jahren schreibt die 70-Jährige für die "Cumhuriyet", drei Militärputsche hat sie als Journalistin erlebt. "Die jetzige Situation macht mir keine Angst. Mir macht es aber Angst, wohin all diese Traumatisierungen führen werden", sagt sie. Zwar habe auch die Militärjunta die "Cumhuriyet" bedroht, doch sei damals klar gewesen, dass es sich um eine Übergangsphase handelte. Jetzt aber gehe eine Regierung gegen das Medium vor und ein Ende dieser Phase sei nicht absehbar. In ihrem chaotischen Büro schreibt Soner gerade einen Kommentar zum Thema Pressefreiheit. "Sie haben solche Angst", urteilt sie über die AKP. "Um zu überleben, wird immer größerer Druck ausgeübt." Doch genau dieser Druck führe dazu, dass der Widerstand sich erhärte.

"Die ,Cumhuriyet‘ wird am Leben bleiben", ist Soner überzeugt. "Wir sind ein Zeichen der Republik. Wir werden nicht von unserer Zeitung lassen." Dann fügt sie rasch hinzu: "Angst schützt uns nicht. Im Gegenteil: Angst macht uns angreifbar."