Berlin/Wien. Deutschland sucht den Kanzlerkandidaten, lautet dieser Tage das beliebteste politische Spiel in Berlin. Nachdem Angela Merkel am vergangenen Sonntag das Rennen eröffnet hatte, sind nun die Sozialdemokraten am Zug. Und wie bei den Konservativen scheint der interne Fahrplan nicht zu halten. Merkel wollte sich eigentlich erst Anfang Dezember äußern. Bei der SPD galt eine Vorstandsklausur im Jänner als Termin. Doch am Donnerstag bekam die "K-Frage" neue Dynamik: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz verkündete, dass er nicht für eine weitere Amtszeit ab Jänner zur Verfügung stehen wird: "Ich werde nun von der nationalen Ebene aus für das europäische Projekt kämpfen." Ob gar als SPD-Kanzlerkandidat bei der für Herbst 2017 angesetzten Bundestagswahl, ließ Schulz offen.

Parteichef Sigmar Gabriel hat seine Kandidatur noch nicht offiziell gemacht. Mit dieser rechnen jedoch sämtliche Beobachter. "Schlechte Nachricht für Europa, gute für Deutschland", kommentierte Gabriel nicht gerade frohlockend Schulz’ Entscheidung. Zwar ist der amtierende EU-Parlamentspräsident auch für das Amt des Außenministers im Gespräch, zumal Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier am 12. Februar zum neuen Bundespräsidenten gewählt wird. Der polyglotte Schulz - er verkündete seinen Wechsel nach Berlin auf Deutsch, Englisch und Französisch - ist Idealtypus des leidenschaftlichen EUropäers.

Schlechtestes SPD-Ergebnis nach dem Zweiten Weltkrieg

Seit 22 Jahren ist Brüssel der politische Hauptsitz von Martin Schulz. 1994 wurde er erstmals in das EU-Parlament gewählt. 2000 bis 2004 war er Vorsitzender der SPD-Gruppe im Europäischen Parlament, 2004 bis 2012 Vorsitzender der dortigen sozialdemokratischen Fraktion. Seit 2012 amtiert Schulz als Parlamentspräsent. Das Amt des Kommissionspräsidenten blieb ihm aber verwehrt. Die konservative Europäische Volkspartei blieb auch nach der EU-Wahl 2014 stärkste Fraktion, Luxemburgs Ex-Premier Jean-Claude Juncker kam zum Zug.

Überhaupt ist Wahlkämpfen nicht Schulz’ Paradedisziplin. 2004, als er erstmals Spitzenkandidat der SPD bei der EU-Wahl in Deutschland war, stürzten die Sozialdemokraten um mehr als 9 Prozentpunkte auf 21,5 Prozent ab. Auch, weil die Wähler dem damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder einen Denkzettel für seine Agenda-2010-Reformen verpassten. Fünf Jahre später unterbot Spitzenkandidat Schulz sein Ergebnis nochmals, die SPD landete bei 20,8 Prozent - zu jener Zeit das schlechteste Abscheiden der Partei bei bundesweiten Wahlen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Erst bei der Europawahl 2014 legte die SPD zu, dann aber deutlich auf 27,3 Prozent.