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Duell der Wahlverlierer

Von Alexander Dworzak

Politik

Kanzlerkandidatur: Sowohl Noch-EU-Parlamentspräsident Schulz als auch Parteichef Gabriel haben eine durchwachsene Wahlkampfbilanz.


Berlin/Wien. Deutschland sucht den Kanzlerkandidaten, lautet dieser Tage das beliebteste politische Spiel in Berlin. Nachdem Angela Merkel am vergangenen Sonntag das Rennen eröffnet hatte, sind nun die Sozialdemokraten am Zug. Und wie bei den Konservativen scheint der interne Fahrplan nicht zu halten. Merkel wollte sich eigentlich erst Anfang Dezember äußern. Bei der SPD galt eine Vorstandsklausur im Jänner als Termin. Doch am Donnerstag bekam die "K-Frage" neue Dynamik: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz verkündete, dass er nicht für eine weitere Amtszeit ab Jänner zur Verfügung stehen wird: "Ich werde nun von der nationalen Ebene aus für das europäische Projekt kämpfen." Ob gar als SPD-Kanzlerkandidat bei der für Herbst 2017 angesetzten Bundestagswahl, ließ Schulz offen.

Parteichef Sigmar Gabriel hat seine Kandidatur noch nicht offiziell gemacht. Mit dieser rechnen jedoch sämtliche Beobachter. "Schlechte Nachricht für Europa, gute für Deutschland", kommentierte Gabriel nicht gerade frohlockend Schulz’ Entscheidung. Zwar ist der amtierende EU-Parlamentspräsident auch für das Amt des Außenministers im Gespräch, zumal Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier am 12. Februar zum neuen Bundespräsidenten gewählt wird. Der polyglotte Schulz - er verkündete seinen Wechsel nach Berlin auf Deutsch, Englisch und Französisch - ist Idealtypus des leidenschaftlichen EUropäers.

Schlechtestes SPD-Ergebnis nach dem Zweiten Weltkrieg

Seit 22 Jahren ist Brüssel der politische Hauptsitz von Martin Schulz. 1994 wurde er erstmals in das EU-Parlament gewählt. 2000 bis 2004 war er Vorsitzender der SPD-Gruppe im Europäischen Parlament, 2004 bis 2012 Vorsitzender der dortigen sozialdemokratischen Fraktion. Seit 2012 amtiert Schulz als Parlamentspräsent. Das Amt des Kommissionspräsidenten blieb ihm aber verwehrt. Die konservative Europäische Volkspartei blieb auch nach der EU-Wahl 2014 stärkste Fraktion, Luxemburgs Ex-Premier Jean-Claude Juncker kam zum Zug.

Überhaupt ist Wahlkämpfen nicht Schulz’ Paradedisziplin. 2004, als er erstmals Spitzenkandidat der SPD bei der EU-Wahl in Deutschland war, stürzten die Sozialdemokraten um mehr als 9 Prozentpunkte auf 21,5 Prozent ab. Auch, weil die Wähler dem damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder einen Denkzettel für seine Agenda-2010-Reformen verpassten. Fünf Jahre später unterbot Spitzenkandidat Schulz sein Ergebnis nochmals, die SPD landete bei 20,8 Prozent - zu jener Zeit das schlechteste Abscheiden der Partei bei bundesweiten Wahlen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Erst bei der Europawahl 2014 legte die SPD zu, dann aber deutlich auf 27,3 Prozent.

"Vertrauen in die europäische Idee zurückgewinnen", hieß 2014 ein Punkt im Wahlprogramm von Schulz. In Zeiten wie diesen, in dem EU-feindliche Parteien in mehreren Ländern Regierungsverantwortung zu übernehmen drohen, wäre Schulz ein starkes Signal und Gegengewicht - ob als Kanzlerkandidat oder Außenminister. Er kann über das Zivilisationsprojekt Europa Stunden sprechen, genauso über Bankenunion oder Subsidiarität. Europa als Passion. Aber wofür steht Martin Schulz innenpolitisch? Dazu ist vergleichsweise wenig überliefert, obwohl er seit 1999 Mitglied des SPD-Parteivorstandes und Mitglied des Parteipräsidiums ist. Wie hält er es etwa mit einer rot-rot-grünen Koalition, um die SPD aus Merkels Fängen zu befreien? Mit seiner Ankündigung vom Donnerstag, er werde bei der Bundestagswahl Platz eins der Landesliste der SPD Nordrhein-Westfalen "einnehmen", nahm Schulz nonchalant vorweg, was eigentlich der Parteitag beschließen müsste.

Die Vita des 60-Jährigen ist eine klassische sozialdemokratische Aufstiegsbiografie: vom Buchhändler der 40.000-Einwohner-Stadt Würselen nahe der Grenze zu Belgien und den Niederlanden zu einem EU-Spitzenposten. Persönliche Schicksalsschläge sind Schulz nicht fremd. Eine Verletzung kostete ihn die Karriere als Profifußballer, daraufhin verfiel er dem Alkohol. Seit Jahrzehnten trinkt Schulz keinen Tropfen.

SPD-Chef Gabriel sollte mit zehn Jahren in die Sonderschule geschickt werden, "weil ich angeblich zu dumm war und zu viel Ärger machte. In Wahrheit war es unsere Familiensituation, mit der ich nicht klarkam", schreibt er auf seiner Webseite. Nachdem der Sorgerechtsstreit beendet war, gehörte er zu den Klassenbesten. "Nie ein Kind aufgeben", ist daher sein Motto.

"Siggi Pop" gab den SPD-Beauftragten für Popkultur

Fehlenden Kampfgeist attestieren auch politische Gegner Sigmar Gabriel nicht. Seine Launenhaftigkeit macht ihn zu einem gefürchteten Redner im Bundestag, sein politischer Instinkt sichert ihm die nächste Pointe. In langen Wahlkämpfen ging ihm dafür die Puste aus. Ohne Wahl wurde Gabriel 1999 niedersächsischer Ministerpräsident. Bei der Landtagswahl 2003 setzte es für seine SPD ein Debakel; sie verlor 14,5 Prozentpunkte und den Ministerpräsidenten an die CDU. Stehaufmännchen Gabriel bekam den Fraktionsvorsitz, und die Bundespartei machte ihn 2003 bis 2005 zu ihrem Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs - der Spitzname "Siggi Pop" war geboren.

Beim Parteitag im vergangenen Dezember erhielt Gabriel - seit 2009 Chef der SPD - desaströse 74,3 Prozent; auch weil sie in Umfragen um 25 Prozent dümpelt. Eine Bundestagswahl hat er noch nie als Spitzenkandidat geschlagen. 2013 setzte sich der damalige Finanzminister Peer Steinbrück durch. Aufseiten der CDU strebt Angela Merkel nun ihre dritte Wiederwahl an. Die Schwesterpartei CSU schießt derzeit wieder gegen die Kanzlerin, macht die Flüchtlingsobergrenze von 200.000 Personen pro Jahr zur Koalitionsfrage.

Da sowohl Gabriel als auch Schulz derzeit schlechte Karten gegen Merkel haben, könnten sie womöglich Anleihen bei Politikberater Stanley Greenberg nehmen. Der riet der SPÖ 2002 angesichts des Kandidaten Alfred Gusenbauer: "Put him in a team." Verloren ging die Wahl trotzdem.