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Held des eigenen Rückzugs

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Mit seinem Verzicht auf eine weitere Kandidatur versucht François Hollande, seine Partei zu retten.


Paris. Pragmatiker könnten François Hollande schlicht konsequent nennen. Hatte der Präsident nicht von Anfang an gesagt, er wolle sich am Ende seiner Amtszeit vor allem am Versprechen messen lassen, die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken? Zwar ging diese in den vergangenen Monaten zurück - aber nachdem sie lange stetig angestiegen war. Vielleicht gibt ihm die Geschichte noch Recht, vielleicht werden seine Reformbemühungen erst später Früchte tragen - doch mit der Absicht, in fünf Jahren Frankreichs Wirtschaft wieder aufzurichten und den Franzosen das verlorene Vertrauen in ihr Land zurückzugeben, scheint der Präsident gescheitert. Wie mit vielen anderen seiner selbst gesteckten Ziele auch. "Ich habe entschieden, nicht als Kandidat für die Präsidentschaftswahl anzutreten, also für die Erneuerung meines Mandates." Die Worte, die der 62-jährige Staatschef am Donnerstagabend in einer kurzfristig anberaumten TV-Rede aussprach, nachdem er minutenlang seine Bilanz gepriesen hatte, ließen alle perplex zurück - Freunde, Kritiker, Experten.

Missverständnisse, Fehltritte

Zwar galt als ausgemacht, dass ihm kaum Gewinnchancen bei den Wahlen im Frühjahr 2017 blieben und er nicht einmal sicher sein konnte, die Kandidatenkür seiner Parti Socialiste (PS) im Januar für sich zu entscheiden. Dass er aber seiner drohenden Niederlage zuvorkommen und damit sein eigenes Scheitern so klar eingestehen würde - das erwartete niemand von dem Mann, der sein ganzes Leben der Politik gewidmet hat. Zunächst war er im Beraterstab von Präsident François Mitterrand, später agierte Hollande elf Jahre lang als Parteichef der PS als perfekter Mann für Konsensbildung, der verschiedene Interessen vereinen konnte. Umso bitterer erscheint es, dass ihm genau das in der Rolle des Präsidenten nicht mehr gelang. Gegen eine Liberalisierungs- und Arbeitsmarktreform bäumte sich ein Teil der linken Abgeordneten derart heftig auf, dass die Regierung beide Gesetze nur mithilfe eines Sonderparagraphen am Parlament vorbei - und stark verwässert - durchsetzen konnte, was wiederum die Wirtschaft aufbrachte. Hollandes ewige Suche nach einem Kompromiss, sie funktionierte nicht mehr.

Er selbst gestand in seiner Ansprache nur einen Fehler ein: Nach den Attentaten von Paris im November 2015 auf den Druck von rechts hin eine Verfassungsänderung vorgeschlagen zu haben, die den Entzug der französischen Staatsbürgerschaft für Terroristen vorsah. Mit diesem Tabubruch verlor er den Linksflügel seiner Partei endgültig - und musste letztlich trotzdem von dem Projekt absehen.

Vielen erscheint seine Amtszeit als Abfolge von Missverständnissen, Fehltritten und Skandalen - von der Aufdeckung der geheimen Schweizer Konten des Ex-Budgetministers Jérôme Cahuzac über das als schamlos empfundene Plaudern im Buch "Ein Präsident sollte so nicht reden..." bis zur aufsehenerregenden Trennung von der Journalistin Valérie Trierweiler, die sich mit einem bissigen Enthüllungsbuch rächte.

So schlug der Mann, der die Franzosen von ihrer Verdrossenheit erlösen und ein "normaler Präsident" ohne übertriebenes Machtgehabe sein wollte, alle Rekorde der Unbeliebtheit. Dass er nach den Anschlägen als mitfühlender und starker Landesvater auftrat, mit einer Militärintervention in Mali nervenstarkes Verantwortungsbewusstsein zeigte und das hohe Defizit des Landes langsam, aber effizient abbaute - geschenkt. In den Augen der Öffentlichkeit hat Hollande durch die Bank versagt. Selbst Kritiker äußern nun aber Respekt, da er sich opfert, um eine Zersplitterung seiner Partei zu verhindern.

Macron wittert seine Chance

Die Präsidentschaftswahl am 23. April 2017 droht auf ein Duell zwischen der Rechtspopulistin Marine Le Pen und dem Rechtskonservativen François Fillon hinauszulaufen, sollten sich die Sozialisten nicht geschlossen hinter einen gemeinsamen Kandidaten stellen. Doch es drohen Grabenkämpfe. Längst scharrt ein knappes Dutzend linker und grüner Anwärter mit den Hufen, unter ihnen Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Bei der Kandidatur mit seiner eigenen Partei "En marche!" ("In Bewegung!") will er keine Rücksicht auf die Vorwahl der Sozialisten nehmen, denen er einst angehörte. Er positioniert sich "weder links noch rechts" und will einen Systemwechsel der französischen Politiker verkörpern, der über die traditionellen ideologischen Spaltungen hinausgeht.

Macron, der bei seiner Kandidatur auch auf die Stimmen der Hollande-Enttäuschten setzt, wird durch seinen Alleingang Vertrauensbruch vorgeworfen - während Premierminister Manuel Valls im Boot mit dem unbeliebten Präsidenten blieb. Der 54-Jährige reagierte am Donnerstag denn auch als Erster auf die Verzichtserklärung seines einstigen Mentors, die er öffentlich selbst gefordert hatte, und zollte dem Beschluss Respekt. Es handle sich um eine mutige, reife und schwierige "Entscheidung eines Staatsmannes", so der Premier. Er gilt als natürlicher Nachfolger Hollandes; erklärt hat er sich noch nicht. Doch der energische 54-Jährige muss nicht nur die gemeinsame Bilanz mitverantworten, was seine einst hohen Beliebtheitswerte dramatisch sinken ließ. Valls ist für sein autoritäres Auftreten bei der Parteilinken auch fast genauso unbeliebt. Für ihn spricht, dass er einer nachrückenden Generation angehört, die für Erneuerung steht - und diese scheint dringend an der Zeit, da binnen weniger Tage bisherige Urgesteine der französischen Politik hinweggefegt wurden - von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy über Ex-Premier Alain Juppé bis zu Hollande.