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Der Regisseur im Hintergrund

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Staatspräsident Sergio Mattarella soll trotz Regierungskrise für Stabilität in Italien sorgen.


Rom. Italien steckt nach der abgelehnten Verfassungsreform in einer Regierungskrise. Und der Mann, auf dessen Verhandlungsgeschick und Verantwortungsbewusstsein es in den nächsten Wochen ankommt, hat einen Beinamen, der ihn für diese Phase nicht unbedingt als prädestiniert erscheinen lässt. "Il muto", der Stumme, wird Staatspräsident Sergio Mattarella auch genannt. Dabei muss er sich ab sofort als aktiver Schiedsrichter in das römische Ränkespiel der Parteien einschalten. Sprachlosigkeit hilft da nicht unbedingt weiter, ruhige Überzeugungskraft hingegen schon.

Am Montag erzielte der Staatspräsident einen ersten Erfolg. Mattarella überzeugte Ministerpräsident Matteo Renzi, erst nach Verabschiedung des Haushaltsgesetzes zurückzutreten. Nach der Niederlage beim Verfassungsreferendum am Sonntag hatte Renzi seinen sofortigen Rücktritt angekündigt. Zunächst steht die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes nicht unter Renzi im Vordergrund. Anschließend wird der Staatspräsident alle politischen Kräfte in Rom nach ihren Vorstellungen befragen und mit der Ernennung eines neuen Premierministers so bald wie möglich eine weitere wichtige Entscheidung fällen. Börsen, Investoren, Regierungen in aller Welt, alle blicken auf den spröde wirkenden, 75 Jahre alten Sizilianer.

Der Christdemokrat Mattarella ist seit Februar 2015 im Amt. Bisher fiel er vor allem damit auf, dass er den Sitz des Staatspräsidenten, den früher von Päpsten bewohnten Quirinalspalast, für das Publikum geöffnet hat. Von der Grandezza seines aus Altersgründen zurückgetretenen Vorgängers Giorgio Napolitano, der in Rom auch "König Giorgio" genannt wurde und jahrelang als eigentlicher Garant der Stabilität in Italien galt, wirkt Mattarella meilenweit entfernt.

Das bedeutet aber keineswegs, dass Mattarella der komplizierten Aufgabe, die auf ihn wartet, nicht gewachsen ist. 25 Jahre lang war er Abgeordneter und zählte zum linken Flügel der Christdemokraten. Er war fünfmal Minister und schließlich Verfassungsrichter. Das Wahlgesetz, das bis 2001 in Italien galt, wurde von dem Juristen geprägt und als Mattarellum sogar nach ihm benannt. Nicht nur die Erfahrung im Parlaments- und Regierungsbetrieb, sondern auch die Vertrautheit mit der sperrigen Materie der Wahlgesetze macht Mattarella zum Experten für die aktuelle Phase. Italien braucht nach der gescheiterten Verfassungsreform nicht nur einen neuen Premierminister, sondern auch ein neues Wahlgesetz.

Über Lebenserfahrung verfügt der 1941 in Palermo geborene Politiker zu Hauf. Weil drei Jahre vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten seine Frau verstarb, füllt nun seine Tochter Laura gelegentlich die Rolle als italienische First Lady aus. 1980 ermordete die sizilianische Cosa Nostra seinen Bruder, den damaligen Präsidenten der Region Sizilien. Mit seiner weißen Mähne und seinem unmodischen Brillengestell wirkt Mattarella angesichts der stromlinienförmigen Protagonisten in Rom wie einer früheren Epoche entsprungen. Es heißt, er lese privat gerne und liebe Katzen. Dass er in kniffligen Momenten kompromisslos sein kann, hat Mattarella schon mehrfach bewiesen. Als die Regierung von Giulio Andreotti 1990 ein Gesetz per Vertrauensabstimmung verabschieden ließ, das die bis dahin ohne Rechtsgrundlage existierenden Fernsehsender Silvio Berlusconis legalisierte, trat Mattarella als Bildungsminister zurück. Seine Vorbehalte gegenüber Berlusconi sind legendär, in den kommenden Tagen werden sich beide dennoch im Quirinalspalast über den Fortgang der Legislaturperiode beraten müssen.

Präsident will keine Neuwahlen

Das Staatsoberhaupt hat bereits erkennen lassen, dass er vor Ablauf der Legislaturperiode im Februar 2018 keine Neuwahlen ansetzen will, die für noch mehr Verunsicherung sorgen könnten. Einige Protagonisten wie die populistische 5-Sterne-Bewegung um den Komiker Beppe Grillo haben aber genau dieses Ziel. Mattarella ist jetzt noch der stille Unparteiische. In den folgenden Tagen muss er Initiativen ergreifen, mit denen er manche Beteiligte im römischen Zirkus der Macht nicht glücklich machen wird.