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Versuch eines Neustarts

Von WZ-Korrespondentin Marijana Miljkovic

Politik

Die vorgezogene Parlamentswahl in Mazedonien soll die seit zweieinhalb Jahren schwelende politische Krise im Land beenden - doch Skepsis ist angebracht. Das Balkanland ist tief zerrissen.


Skopje. Das Aufdecken von Korruption und schweren Verstößen der Führungsriege gegen den Rechtsstaat, Demonstrationen und Protestaktionen - das alles wird Mazedoniens Opposition am Wahltag möglicherweise wenig genützt haben. Meinungsforschern zufolge wird nämlich die konservative Partei VMRO-DPMNE, die seit zehn Jahren die Geschicke des zwei Millionen Einwohner zählenden Landes lenkt, die Parlamentswahlen am Sonntag erneut gewinnen.

Die sozialdemokratische Oppositionspartei SDSM von Zoran Zaev liegt laut einer Umfrage mit 16,2 Prozent Zustimmung mehr als zehn Prozentpunkte hinter der Regierungspartei unter Ex-Premier Nikola Gruevski (27,8 Prozent). Ein knappes Rennen sagt eine andere aktuelle Umfrage voraus; mit 29,9 Prozent liegt aber ebenfalls VMRO vor den Sozialdemokraten, für die 28,5 Prozent der Befragen stimmen wollen. Wahlberechtigt sind knapp 1,8 Millionen Bürger, darunter 230.000 Auslandsmazedonier. Knapp 22.000 Mazedonier leben in Österreich.

Ljupco Petkovski, Politologe bei der Denkfabrik Macedonian Center for European Training mit Sitz in Skopje, sieht dennoch Chancen, dass die Opposition gewinnt. Einerseits, weil sich viele Menschen in Meinungsumfragen nicht deklarieren würden. Andererseits habe die SDSM, die als Nachfolgepartei der KP ihren schlechten Ruf noch immer nicht abgeschüttelt hat und die für viele Missstände in der Transitionszeit verantwortlich gemacht wird, einen Wandel vollzogen, sagt Petkovski.

"Diese Änderung wird sowohl von den ethnischen Mazedoniern erkannt als auch überraschenderweise von den ethnischen Albanern, die rund ein Viertel der Bevölkerung ausmachen und bisher entlang der ethnischen Trennlinien gewählt haben, jetzt aber für die SDSM stimmen werden." Diese Entwicklung sei bedeutend in Mazedonien, einem Land, in dem ethnisches Misstrauen die Politik der vergangenen drei Jahrzehnte dominiert habe, analysiert der Politologe.

Abhörskandal

Auch am vergangenen Wochenende war die Innenstadt von Skopje Schauplatz von Anti-Regierungs-Demonstrationen, eine von vielen in den vergangenen zwei Jahren. Die Proteste hatten begonnen, nachdem Zoran Zaev, Vorsitzender der SDSM, im Februar des Vorjahres Abhörprotokolle öffentlich gemacht hatte. Diese sollen belegen, dass Gruevski Freund und Feind, aber auch unbescholtene Bürger abhören ließ - insgesamt 20.000 Personen. Woher die Mitschnitte kommen, gab Zaev nicht bekannt. Gruevski tat die Anschuldigungen als Machwerk eines nie näher bezeichneten Geheimdienstes ab und initiierte Gerichtsverfahren gegen seine Kritiker, unter ihnen Oppositionschef Zaev, wegen Geheimnisverrates und "Putschversuches".

Nur drei Monate später, im Mai 2015, kam es in der nordmazedonischen Stadt Kumanovo zu Kämpfen, bei denen Aufständische und Polizisten im Feuergefecht getötet wurden. Während die Regierung von einem ethnisch motivierten Konflikt zwischen den zwei Völkern - Mazedoniern und Albanern - sprach, witterte die Opposition eine Inszenierung durch Gruevski, um von dem Abhörskandal und anderen Problemen abzulenken.

Die Ereignisse ließen sich international nicht mehr ignorieren. Die EU, die den Beitrittskandidaten Mazedonien über die Jahre fast vergessen hatte, versuchte nun zu vermitteln. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn gelang es, nach monatelangen Verhandlungen im so genannten Przino-Abkommen einen Neuwahltermin festzusetzen. Druck aus Brüssel führte auch zum Rücktritt von Nikola Gruevski Anfang 2016. Eine Sonderstaatsanwaltschaft, auf die ebenfalls die EU gedrängt hatte, soll zudem klären, was in den Frühlingsmonaten des vergangenen Jahres tatsächlich vorgefallen ist.

In ihrem Fortschrittsbericht im November war die EU nicht zimperlich. Sie warf der mazedonischen Führung "state capture" vor, die Vereinnahmung und Inbesitznahme staatlicher Institutionen. "Der Begriff state capture ist eigentlich ein Euphemismus für moderne Diktatur", sagt Petkovski, der die neue Direktheit der EU-Kommission gutheißt.

Umstrittene Wahlkampfhilfe

Diese kritische Haltung konterkarierte jedoch die Europäische Volkspartei im Europäischen Parlament. Einige ihrer Mitglieder, allen voran Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, gaben eine Wahlempfehlung für Premier Gruevski ab; Kurz lobte sogar den Fortschritt des Landes in Richtung EU, was in dem Balkanland für Aufregung sorgte.

"Diese widersprüchlichen Ansagen sind abträglich, weil sie die Grenze des Zynismus überschreiten - in einer äußerst delikaten Phase in der Entwicklung der Demokratie in Mazedonien", sagt auch Petkovski. Die von Kurz gelobten Fortschritte hat das Land politisch wie wirtschaftlich zweifellos gemacht, allerdings liegen diese etliche Jahre zurück.

Zudem blockiert der Namensstreit mit Griechenland die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen. Da Griechenland eine gleichnamige Provinz hat, will es den Namen Mazedonien nicht mit dem ex-jugoslawischen Staat teilen und befürchtet auch Gebietsansprüche der Mazedonier.

Während der Konflikt ungelöst vor sich hin schlummerte, konnte Gruevski seine Machtposition ausbauen. Die Mehrheit im Parlament verschaffte ihm wiederholt die Partei DUI, die die stimmenstärkste Partei unter der albanischen Minderheit ist.

Gedämpfte Erwartungen

"Die Namensfrage ist nur eines von vielen Hindernissen für Mazedoniens EU-Beitritt: Warum würde die EU ein Land aufnehmen wollen, dessen Demokratie eher dem autokratischen Stil eines Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan ähnelt als einer liberalen Demokratie", fragt sich Petkovski. Die politische Lähmung des Landes, die seit den letzten regulären Wahlen im April 2014 anhält, wirkte sich auch negativ auf die Wirtschaft aus. Experten korrigierten in den vergangenen Monaten ihre Erwartungen zum Wirtschaftswachstum nach unten. So wird des Bruttoinlandsprodukt laut Weltbank heuer zwei Prozent wachsen, statt der im Vorjahr prognostizierten 3,7 Prozent. "Die politischen Unsicherheiten senken die Wirtschaftsaktivität, vor allem private Investitionen", heißt es dort. Öffentliche Ausgaben würden diesen Mangel nicht ausgleichen können.

Das Land hat in den vergangenen Jahren Anreize geschaffen, um möglichst viele Industriebetriebe anzuziehen - was auch gelang. Im Doing Business Report etwa, einem Ranking der Weltbank, das unter anderem administrative Erleichterungen für Unternehmen dokumentiert, rangiert Mazedonien weltweit auf Platz 10 von 190. Diese Politik wird sich aller Voraussicht nach mittelfristig auf ein stärkeres Wirtschaftswachstum auswirken, das in den kommenden Jahren laut Prognosen wieder zwischen 3 und 4 Prozent betragen wird. Das wird jedoch nicht die Probleme rund um die steigenden Schulden und das immer größere Budgetdefizit lösen.