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Eiertanz um Türkei-Gespräche

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Mit Unterstützung für die Idee zur Aussetzung der EU-Verhandlungen mit Ankara kann Österreich kaum rechnen.


Brüssel/Ankara. Weiter verhandeln oder nicht? Die Debatte um die Fortsetzung der Gespräche über einen EU-Beitritt der Türkei verschärft sich. Bisher hat sich lediglich das EU-Parlament in einer Resolution dafür ausgesprochen, mit einem Einfrieren der Verhandlungen auf die jüngsten Entwicklungen in dem Kandidatenland zu reagieren. Denn dort folgt nach dem gescheiterten Putschversuch im Sommer eine Welle von Entlassungen und Verhaftungen auf die andere, gehen die konservative AKP-Regierung und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hart gegen Journalisten, Oppositionelle und andere Kritiker vor, reißen Spekulationen über die Wiedereinführung der Todesstrafe nicht ab. Hinzu kommen Erdogans Pläne, seine Macht zu festigen und mittels einer Verfassungsänderung ein Präsidialsystem zu etablieren.

Die EU hat sich jedoch bisher auf Mahnungen und Stellungnahmen voller Besorgnis beschränkt. Ein Stopp der Beitrittsverhandlungen ist genauso wenig in Sicht wie etwa mögliche ökonomische Sanktionen. Die Forderung der Europa-Abgeordneten bindet die anderen EU-Institutionen nicht, und die EU-Kommission, die ein Einfrieren der Gespräche empfehlen könnte, weiß um den Widerstand in den Mitgliedstaaten.

Dennoch möchte nun Österreich ein politisches Signal setzen. Einer Erklärung der Außenminister, die ihr Treffen in Brüssel am heutigen Dienstag fortsetzen, will es nicht zustimmen, wenn sich in dem Papier nicht kritischere Worte für die Türkei finden. Der österreichische Ressortleiter Sebastian Kurz begründet es mit der Notwendigkeit, auf die Vorgänge mit mehr als mahnenden Worten zu reagieren. "In den vergangenen Jahren hat sich die Türkei von der EU entfernt", befand Kurz: "Und innerhalb der letzten Monate hat diese Entwicklung an Dramatik und Tempo gewonnen." Wenn eine Reaktion darauf im Text der Außenminister ausbleibe, "kann ich den nicht mittragen", betonte der ÖVP-Politiker. Da das Schlussdokument der Ministersitzung einstimmig anzunehmen ist, könnte es sein, dass die Politiker ohne diese Erklärung auseinandergehen. Das wiederum könnte den Druck auf die Staats- und Regierungschefs erhöhen, sich bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag mit dem Thema eingehender zu befassen.

"Nicht verantwortungsvoll"

Wenn dabei Bundeskanzler Christian Kern ebenfalls für eine Aussetzung der Beitrittsverhandlungen plädiert, würde das seine Amtskollegen nicht überraschen. Dafür hat der Sozialdemokrat bereits vor einigen Monaten geworben. Offene Unterstützung erhielt er dafür aber nicht, und auch Kurz kann derzeit nur auf wenig Rückendeckung verweisen. Abgesehen von den Niederlanden und Bulgarien will kaum ein Land offiziell die Gespräche mit der Türkei suspendieren - zumal diese sowieso nur stockend laufen und ein Teil davon wegen des Zypern-Konflikts überhaupt blockiert ist. Die Türkei erkennt - anders als der Rest der Welt - nur die Türkische Nordrepublik Zypern an, wo tausende türkische Soldaten stationiert sind. Um eine Wiedervereinigung der geteilten Insel wird seit Jahren unter Vermittlung der Vereinten Nationen gerungen.

Darauf wies denn auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hin, der für die Forderung seines österreichischen Amtskollegen kein Verständnis aufbrachte. Laut Steinmeier sei es "nicht verantwortungsvolle Außenpolitik", einen Abbruch der Verhandlungen zu fordern ohne die Konsequenzen davon zu benennen. Vielmehr sei "ein Blick auf die Gesamtsituation" nötig. So sei zu bedenken, was ein Gesprächsstopp für die Opposition in der Türkei bedeuten würde. Außerdem seien eben auch die Zypern-Gespräche zu berücksichtigen, auf die Ankara bisher keinen negativen Einfluss genommen habe - was sich ändern könnte. Drittens, wie Steinmeier aufzählte, würde die Türkei erst mit der Wiedereinführung der Todesstrafe jene Grenze überschreiten, die die Weiterführung der Verhandlungen unmöglich mache.

Diese "rote Linie", wie das immer wieder genannt wird, hat die türkische Regierung zwar noch nicht verletzt. Doch auch die Pläne zur Verfassungsänderung bereiten im In- und Ausland Sorgen. Der Entwurf wurde bereits ins Parlament in Ankara eingebracht und er sieht unter anderem vor, einen Großteil der derzeit beim Premier liegenden Befugnisse auf den Staatspräsidenten zu übertragen. Damit könnte Erdogan seine Macht für die kommenden Jahre zementieren. Da die von ihm gegründete Partei AKP dafür nicht die nötige Mehrheit in der Großen Nationalversammlung gewinnen kann, will sie die Bevölkerung per Referendum entscheiden lassen.

Festnahmen nach Attacken

Die größten Oppositionsparteien wehren sich gegen die Gesetzesänderung. In der von Kurden dominierten Fraktion HDP wird denn auch der Verdacht geäußert, dass die strafrechtliche Verfolgung von HDP-Vertretern ebenfalls mit dem Widerstand gegen die Präsidentenpläne zusammenhänge. Vor einigen Wochen wurde das Führungsduo der Partei angehalten, Haftbefehle gegen weitere Oppositionspolitiker folgten. Und nach den jüngsten Terroranschlägen in Istanbul wurden gestern, Montag, ebenfalls zahlreiche HDP-Vertreter festgenommen.

Der Fraktion werden Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zum Vorwurf gemacht, die auch in der EU als Terrororganisation eingestuft wird. Zu den Attacken in der Nähe des Istanbuler Besiktas-Stadions, bei denen am Samstagabend mehr als 40 Menschen getötet wurden, hatte sich die PKK-Splittergruppe TAK (Freiheitsfalken Kurdistans) bekannt.

Doch obwohl die HDP die Anschläge verurteilte, fanden sich ihre Mitglieder unter den mehr als 230 Verhafteten, die nach Razzien im ganzen Land in Gewahrsam genommen wurden. Innenminister Süleyman Soylu kündigte an, die für die Terrorattacken Verantwortlichen würden "vom Erdboden getilgt".