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Koalition gesprengt

Von Siobhán Geets

Politik

Mit dem Rücktritt des stellvertretenden Regierungschefs Martin McGuinness schlittert Nordirland in eine politische Krise. Die nun anstehenden Neuwahlen drohen, die Bevölkerungsgruppen der britischen Provinz weiter zu spalten.


Belfast/Wien. Als Martin McGuinness am Montag in Belfast vor die Medien trat, war es ein doppelter Schock für das Land: Nicht nur stehen mit seinem Rücktritt nun Neuwahlen in einer äußerst turbulenten Zeit an, der 66-Jährige nährte auch die Sorgen um seine Gesundheit. "Ich habe für heute, fünf Uhr meinen Rücktritt eingereicht", sagte der stellvertretende Erste Minister mit schwacher Stimme, er sah mitgenommen aus. Zwar betonte McGuinness, dass seine Entscheidung nichts mit seinen gesundheitlichen Problemen zu tun habe. Doch ist bereits seit längerem bekannt, dass er in medizinischer Behandlung ist - wegen einer Herzkrankheit, so wird spekuliert.

Mit seinem Rücktritt zieht McGuinness die Konsequenzen aus seinem Streit mit dem protestantischen Koalitionspartner Democratic Unionist Party (DUP). McGuinness’ irisch-nationalistische Sinn Féin und einige Oppositionsparteien hatten die DUP-Regierungschefin Arlene Foster wiederholt aufgefordert, ihr Amt zurückzulegen, bis der Skandal um ein Energie-Förderprogramm von unabhängiger Stelle untersucht ist - was Foster ablehnte. Sinn Féin kritisiert das Förderprogramm für erneuerbare Energien von Foster und ihrer DUP als "Verschwendung öffentlicher Gelder" und wirft ihr "Fehlverhalten und Korruption" vor. Das Problem: Weil die staatlichen Beihilfen etwa für Holzpellets zu hoch angesetzt waren, ließ sich daraus Profit schlagen. Für jedes Pfund, das Bauern und Kleinbetriebe investierten, bekamen sie 1,6 Pfund an Förderungen zurück. So soll sich ein Bauer rund eine Million Pfund für die kommenden 20 Jahre erschlichen haben - indem er einen leerstehenden Schuppen mit Pellets heizte.

Der "Cash for Ash"-Skandal kostet den Steuerzahler rund 490 Millionen Pfund (563 Millionen Euro), insgesamt beläuft sich der Schaden wohl auf mehr als eine Milliarde. "Sinn Fein wird die Arroganz von Arlene Foster und der DUP nicht hinnehmen", erklärte McGuinness am Montag. Umgekehrt wirft Foster McGuinness vor, ein "Spiel mit dem Untergang" zu beitreiben. "Wenn es Wahlen gibt, sind wir bereit. Ich folge dem Willen der Wähler und nicht der Sinn Féin."

Grundpfeiler des Karfreitagsdeals bedroht

Weil seine Partei sich weigert, McGuinness zu ersetzen, kann auch Foster nicht weitermachen - es muss Neuwahlen geben. Das ist so im Karfreitagsabkommen von 1998 festgelegt: Nordirland muss von einer Koalition aus Protestanten und Katholiken regiert werden. Dass sowohl der britische Nordirland-Minister James Brokenshire als auch Irlands Außenminister Charles Flanagan die zerstrittenen Koalitionsparteien zur Zusammenarbeit aufrufen, wird wohl nichts an der Entscheidung der Sinn Féin ändern.

Wer nun aufseiten der Republikaner antreten wird, ist noch nicht überliefert. Sicher ist: Den kommenden Wahlen, die für Ende Februar oder Anfang März angesetzt sind, wird wohl eine politische Schlammschlacht vorausgehen. Denn der Sinn Féin geht es nicht nur um den aktuellen Förderskandal, sie verfolgt ein größeres Ziel. Parteiintern heißt es, man wolle der DUP endlich Manieren beibringen.

Es geht um Respekt für die irische Sprache, um eine ernsthafte Aufarbeitung der nordirischen Vergangenheit. So verhinderte die DUP jüngst ein Informationszentrum über den Nordirlandkonflikt in einem ehemaligen Gefängnis, kurz darauf zog sie 50.000 Pfund an Geldern für ein Programm zur Förderung der irischen Sprache zurück. Mit dem Skandal um die erneuerbaren Energien scheint die Sinn Féin ihre Zeit gekommen zu sehen. Ihr liegt viel daran, den Koalitionspartner als arrogant, gehässig und nicht ernsthaft an der Teilung der Macht interessiert darzustellen. Und mit dem Cash-for-Ash-Skandal hält die Sinn Féin im Wahlkampf eine starke Karte in der Hand. Die DUP wird wohl auf das altbekannte Sektierertum setzen und protestantischen Wählern weismachen, dass, wenn sie nicht DUP wählen, die Sinn Féin zur stärksten Kraft werden könnte - eine Abschreckungstaktik, die schon in der Vergangenheit funktioniert hat.

Damit drohen die kommenden Wahlen hochpolarisiert und äußerst sektiererisch zu werden. Katholiken wählen in Nordirland in der Regel Sinn Féin, Protestanten DUP. Doch für die Zukunft der Unionisten ist ein Sieg bei den kommenden Wahlen entscheidender als für die irischen Nationalisten. Letztere erklären die Wiedervereinigung mit der Republik nach wie zu ihrem langfristigen Hauptziel - ein Albtraum für die londontreue DUP und die meisten Protestanten in Nordirland.

Protestanten für, Katholiken gegen den Brexit

Doch ganz gleich, wie die Wahlen ausgehen - es könnte Wochen oder Monate dauern, bis die beiden Parteien einen neuen Kompromiss finden. Zudem kommt die Krise in Nordirland zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nur kurz nach den Neuwahlen, im März dieses Jahres, will die britische Premierministerin Theresa May Artikel 50 und damit die offizielle EU-Austrittserklärung einreichen. Und Nordirland ist beim Thema Brexit ohnehin schon gespalten: Die Katholiken waren mehrheitlich gegen, die Protestanten für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs. Die Wahlen drohen nun, die Bevölkerungsgruppen weiter zu spalten.