Berlin/Düsseldorf. (dpa/reu) SPD-Chef Sigmar Gabriel will bei der Bundestagswahl im Herbst als Kanzlerkandidat antreten. Das behauptete jedenfalls die "Bild"-Zeitung. Zu diesem Schritt habe sich Gabriel nach zahlreichen internen Gesprächen und auf dringendes Anraten von Altkanzler Gerhard Schröder entschieden, berichtete das Blatt unter Berufung auf Parteikreise. Hinzu sei das sichere Gefühl Gabriels gekommen, auch auf den SPD-Vorsitz verzichten zu müssen, wenn er nicht als Kanzlerkandidat antritt.
Schulz hätte im direkten Duell gegen Merkel bessere Chancen
Gabriels Sprecher betonte, der vereinbarte Zeitplan gelte unverändert: "Die SPD entscheidet über die Kanzlerkandidatur am 29. Januar", sagte er mit Blick auf die dann anberaumte Vorstandsklausur. Spekulationen über eine frühere Vorentscheidung der SPD waren durch das Treffen der engeren Parteiführung am Dienstag in Düsseldorf genährt worden. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley wiegelte jedoch ab; dort ginge es um die "inhaltliche Ausrichtung für die nächsten Monate".
Gegen eine Entscheidung am Dienstagabend sprach, dass Martin Schulz bei dem Treffen fehlte. Der frühere Präsident des Europaparlaments nahm an der Beerdigung des langjährigen portugiesischen Regierungs- und Staatschefs Mario Soares teil. Schulz gilt als aussichtsreichster parteiinterner Herausforderer Gabriels, Außenseiterchancen hat Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz. Kürzlich sagte ein Mitglied der Parteiführung zur Nachrichtenagentur Reuters: "An Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat führt kein Weg mehr vorbei." Anhänger von Martin Schulz bedauerten dies, weil sich viele von ihm frischen Wind versprochen hätten - vor allem Aufwind angesichts der aktuellen Umfragewerte. Die SPD liegt mit 20 bis 22 Prozent deutlich unter ihrem Wahlergebnis von 25,7 Prozent aus dem Jahr 2013. Bei der Union reichen die Umfragewerte hingegen von 32 bis 38 Prozent.
"Die Nervosität ist in der Partei mit den Händen zu greifen", sagte ein Abgeordneter des Bundestages. Ein anderer Spitzengenosse bezeichnete wiederum die Wahrscheinlichkeit als "sehr, sehr, sehr hoch, dass Gabriel Kanzlerkandidat wird".
Auch Parteienforscher rechnen bereits mit Gabriel als Spitzenmann bei der Bundestagswahl. "Ja, das ist klar", sagte vergangene Woche der Politologe Gero Neugebauer zu Reuters. "Nicht nur, weil er immer mehr zögert, das selbst zu bestreiten. Er bekommt auch ausreichend Unterstützung." Einflussreiche SPD-Größen wie die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft haben sich bereits für Gabriel ausgesprochen: "Ich bin überzeugt, dass Sigmar Gabriel ein guter Kanzler wäre."
Der Parteienforscher Oskar Niedermayer verweist darauf, dass Gabriel als Parteichef das Vorschlagsrecht hat. "Er hat das Erstzugriffsrecht, und das wird er dann auch ausüben, zumal Schulz schon durchgestochen hat, dass er es nicht werden wird", sagte Niedermayer zu Reuters. Doch Gabriel selbst hat die Entscheidung bisher offengehalten. In Umfragen schnitt Schulz stets besser ab als der 57-Jährige. Im ARD-Deutschlandtrend im Dezember hieß es im Fall einer Direktwahl des Kanzlers bei einem Duell Merkel-Schulz 43 zu 36 Prozent für die Kanzlerin - im Fall eines Zweikampfes Merkel-Gabriel waren es 57 zu 19 Prozent.
"Wir reden über die Inhalte
des Wahlkampfs"
Sigmar Gabriel bemüht sich unterdessen, klarzustellen, dass es aktuell noch keine Festlegung auf die deutsche Kanzlerkandidatur gebe. Beim Spitzentreffen der Sozialdemokraten wird es nach Angaben des Parteichefs nicht um Personalentscheidungen für die Bundestagswahl gehen. "Wir reden über die Inhalte des Wahlkampfs", bekräftigte Gabriel am Dienstag. "Ich weiß gar nicht, wer überhaupt auf die Idee gekommen ist, dass wir über Personal reden."
Die Parteispitze will vermeiden, dass nach dem Treffen der Parteiführung am 10. Jänner die Sache schon als ausgemacht gilt. Dennoch ist die Einschätzung weit verbreitet, dass Schulz nicht Kanzlerkandidat, sondern Nachfolger von Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird. Die engere Parteiführung der SPD wollte am Dienstag vielmehr über die Strategie für das Wahljahr 2017 beraten.