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Die Geschichte vom Elefanten im Zimmer

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Der Chef der Sozialdemokraten will Gesetze ändern, um das Land trotz Verurteilungen wegen Korruption regieren zu können.


Bukarest. Rumänien steht vor langen Machtkämpfen zum Thema Korruption. Der Grund: Der Chef der bei den vergangenen Wahlen siegreichen Sozialdemokraten, Liviu Dragnea, will unbedingt Regierungschef werden, obwohl er das wegen seiner Konflikte mit der Justiz nicht darf. Sein Kontrahent, der bürgerliche Staatspräsident Klaus Johannis, leitete jetzt ein Referendum zum wunden Punkt von Dragneas Partei PSD ein: Die Rumänen sollen gefragt werden, ob sie eine Fortsetzung des Kampfs gegen Korruption wollen.

Schon seit langem liegt dieser Konflikt in der Luft, nun ist er akut geworden. Die sozialliberale Regierung kam nach der Parlamentswahl vom 11. November 2016 zustande, bei der die PSD die absolute Mehrheit knapp verfehlte. Sie regiert nun zusammen mit der kleinen, vorgeblich liberalen Satellitenpartei Alde, parlamentarisch unterstützt von der Ungarn-Partei UDMR. All diese Parteien sind sehr verärgert wegen der rumänischen Justiz, die seit Jahren aktiv gegen korrupte Politiker vorgeht.

Gesetz gegen Vorbestrafte in Regierungsämtern

Schon vor der Wahl hatte Iohannis klargestellt, dass er niemals einen Politiker zum Regierungschef ernennen werde, der Probleme mit der Justiz hat. Das zielte auf Dragnea, der im Frühjahr 2016 wegen versuchter Wahlmanipulationen rechtskräftig zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden war. Dragnea erhebt dennoch weiter Anspruch auf die Regierungsführung, beugte sich aber formell der Vorgabe von Johannis, zumal es auch ein Gesetz gibt, das Vorbestraften den Zugang zu Regierungsämtern verbietet. Dieses Gesetz wurde 2001 eingeführt, um die Bedingungen für den 2007 erfolgten EU-Beitritt zu erfüllen.

Dragnea unternahm alles, um die Zügel in den Händen zu behalten: Für das Amt des Ministerpräsidenten schlug er nacheinander zwei Kandidaten vor, die als seine Marionetten galten. Der erste Anlauf scheiterte, weil die Kandidatin Sevil Shhaideh mit einem Syrer verheiratet ist, der offen Sympathien für das Assad-Regime und für die libanesische Miliz Hisbollah bekundete. Johannis lehnte die ethnische Tatarin und Muslimin Shhaideh ab - wohl, weil der syrische Ehemann als Sicherheitsrisiko gelten musste, zumal in Rumänien der Regierungschef Zugang zu Geheimdienst-Informationen hat.

Daraufhin kam Kandidat Nummer zwei zum Zuge, der bis dahin kaum bekannte PSD-Mann Sorin Grindeanu. Kaum war Grindeanu am 4. Januar 2017 installiert, folgte der erste Schritt, der Dragnea den Weg an die Regierungsspitze ebnen sollte: Der PSD-nahe Ombudsmann für Bürgerrechte, Victor Ciorbea, klagte vor dem Verfassungsgericht gegen das Gesetz, das Vorbestrafte von Regierungsämtern ausschließt.

Zwei Wochen danach kam der nächste Coup: Justizminister Florin Iordache präsentierte Entwürfe für zwei Eilverordnungen, die korrupten Politikern das Leben erleichtern sollen: Amtsmissbrauch soll straflos bleiben, wenn der Schaden unter 200.000 Lei (rund 50.000 Euro) liegt. Damit sollte offensichtlich Dragnea geschützt werden, der wegen mutmaßlichen Amtsmissbrauchs mit einem Schaden von 100.000 Lei vor Gericht steht. Zudem soll die Strafverfolgung nur dann erlaubt sein, wenn der Geschädigte klagt. Diese Hürde ist enorm: So müsste sich etwa ein Bürgermeister, der für seine Kommune überteuerte Aufträge erteilt, selbst anzeigen, damit die Justiz überhaupt auf den Plan tritt.

Ferner sollen Kriminelle mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren begnadigt werden. Offiziell sollen damit überfüllte Gefängnisse entlastet werden, tatsächlich aber würde es auch wegen Korruption verurteilten zugutekommen. "Das ist, als ob wir Kriminelle beauftragt hätten, das Strafgesetzbuch zu schreiben", kommentierte die Tageszeitung "Adevarul".

All das will Grindeanu im Auftrag von Dragnea durch Eilverordnungen durchsetzen, um langwierige Parlamentsverfahren zu umgehen. Eilverordnungen gelten sofort und haben unumkehrbare Folgen, selbst wenn das Parlament sie später außer Kraft setzt.

Im Ringen um diesen geplanten Abbau des Rechtsstaats kam es vergangene Woche zu einer skurrilen Szene im Bukarester Regierungspalast. Staatschef Johannis und die Oppositionsmedien hatten nämlich vermutet, dass Grindeanu diese Lockerungen des Strafrechts ohne Vorankündigung einführen wollte. Deswegen tauchte der Staatschef am letzten Mittwochmorgen unangekündigt bei Grindeanus Kabinettssitzung auf - und erreichte einen Aufschub dieser Beschlüsse, wohl durch persönlichen verbalen Druck. Bei der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz erwähnte Grindeanu das gesamte Thema nicht, doch dann griff Johannis ein: "Sie kennen die Geschichte vom Elefanten im Zimmer, den man nicht sieht. Es sind zwei Elefanten: die Verordnung zur Begnadigung und die zur Änderung des Strafrechts." Der nach diesen Worten überrumpelte Grindeanu saß schweigend daneben und spielte konzentriert mit seinem Kugelschreiber.

Der unsichtbare Dickhäuterals Metapher

Die Elefanten-Metapher ("Elephant in the room") stammt aus dem Englischen und hat ihre Wurzeln in einer Geschichte des russischen Fabeldichters Iwan Andrejewitsch Krylow (1769-1844). Darin sieht ein Museumsbesucher viele Kleinigkeiten, bemerkt aber den Elefanten nicht. Das daraus entstandene geflügelte Wort besagt, dass es ein großes Problem gibt, das jeder sieht, aber niemand offen benennen will. Nun hat es der Dickhäuter zum Maskottchen der Regierungskritiker Rumäniens gebracht: Unter den Zehntausenden, die am Sonntag gegen Dragneas Attacken auf den Rechtsstaat demonstrierten, hatten etliche Plüsch-Elefanten dabei.

Mit dabei war ein ungewöhnlicher Gast: Klaus Johannis. "Ich bin hier, um meine Empörung auszudrücken. Eine Clique von Politikern mit strafrechtlichen Problemen will Gesetze ändern, den Rechtsstaat schwächen", sagte er inmitten tausender Demonstranten. Oft war Johannis wegen seiner Zurückhaltung kritisiert worden, nun zieht er andere Saiten auf. Für die Ankündigung des Referendums nutzte er den Nationalfeiertag am 24. Januar, wenn die Rumänen die "Kleine Vereinigung" der Fürstentümer Rumänien und Moldau von 1859 feiern. Damals, betonte Iohannis, seien in Rumänien die ersten Antikorruptionsgesetze eingeführt worden.