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Hellas, der nächste Akt

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Inspektoren kehren ins pleitebedrohte Athen zurück. Weder Premier Tsipras noch Griechenlands Geldgeber wollen ein Déjà-vu der Krise.


Athen. Nikos Xydakis, 59, eloquent, prüfender Blick, modische Brille, perfekt sitzender Anzug, beigefarbene Krawatte, kann den Satz nicht hören. Schon gar nicht im achten Jahr der Griechenlandkrise.
Der Satz, der ihn auf die Palme bringt: "Die Griechen leben weiter über ihre Verhältnisse." Gesagt hat ihn kürzlich der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, nicht zum ersten Mal wohlgemerkt. Schäubles Credo: Die Renten am Peloponnes müssten weiter fallen, der Reformeifer der Griechen darf nicht nachlassen, um Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Nur so könne Hellas in der Eurozone bestehen.

Solche Thesen lösen bei Xydakis nur Kopfschütteln aus. Sein harsches Urteil: Schäuble tue offenbar alles dafür, als Totengräber Europas in die Geschichte einzugehen. "Wie kann man so sehr die Realität verkennen?" Mehr als ein Drittel der Griechen seien mittlerweile von Armut betroffen, täglich Hunderttausende auf Armenspeisungen angewiesen, hebt er hervor. Plötzlich schaut Xydakis aus dem "Cafe Aigli" über die Sonnenterrasse auf die Akropolis, das Sinnbild der Demokratie, als bräuchte er erst einmal ein paar Sekunden, um zu sinnieren.
Am gestrigen Montag stand im fernen Brüssel eine weitere wegweisende Sitzung der Eurogruppe an, die sich erneut mit der Causa Hellas befasste.

Am Tropf der Geldgeber

Für Xydakis, bis November Europa-Minister im Kabinett von Athens linkem Premier Alexis Tsipras, seither Fraktionschef der Regierungspartei Syriza, ist der Termin eher ein unschöner Anlass, im unermüdlichen Stakkato die Fehler und Versäumnisse der angeblichen Griechenland-Rettung aufzuzählen.

Substantiell handfeste Ergebnisse brachte die Eurogruppensitzung nicht. Immerhin: Die Inspektoren der öffentlichen Gläubiger Griechenlands sollen in der nächsten Woche wieder nach Athen reisen.
Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem kündigte einen Schwenk in der Bewertung Griechenlands durch die Geldgeber an. Fortan soll es weniger um einen strikten Sparkurs, sondern um tiefgreifende Reformen gehen.

Die griechische Seite habe Reformen zugestimmt, die aber neutral für den Haushalt sein sollen. Die Vertreter der Geldgeber-Institutionen müssen sich laut Dijsselbloem mit der griechischen Regierung die Details der verlangten Reformen bei Renten, Steuern und auf dem Arbeitsmarkt besprechen. Erst dann kann die nächste Kredittranche für Athen freigegeben werden.

Dijsselbloem wies ferner darauf hin, dass es gegenwärtig noch keine politische Vereinbarung zwischen den Gläubigern und der Athener Regierung gibt.

So geht das Tauziehen in der Causa Hellas erst einmal weiter. Schon seit dem Frühjahr 2010 hängt Hellas am Tropf der Geldgeber EU, EZB, IWF und neuerdings Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM). Derweil läuft schon das dritte Kreditprogramm, inklusive strenger Spar- und Reformauflagen. Die Laufzeit: Bis zum August 2018. Das Volumen: 86 Milliarden Euro.

Mehr als 220 Milliarden Euro flossen bisher nach Athen. Das Problem: Hellas bleibt faktisch von den internationalen Kapitalmärkten abgeschnitten. Denn die Zinsen für griechische Bonds sind immer noch schwindelerregend hoch: Acht Prozent betragen sie derzeit für die zehnjährige Staatsanleihe, sogar zehn Prozent für zweijährige Hellas-Bonds. Damit sind sie doppelt so hoch wie vor knapp sieben Jahren, als Griechenland de facto bankrott gegangen war. Ein Unding. Und einfach viel zu teuer.

Zu allem Überfluss flammte zuletzt in Berlin, Brüssel und Washington erneut eine Debatte um den Segen oder Fluch eines Grexits, den Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, auf. Das Gros der Griechen - auch die Athener Regierung - glaubt, die Gläubiger wollten mit dem Schreckgespenst Grexit den Spar- und Reformdruck auf den bekennenden Euro-Befürworter Tsipras erhöhen. Das Motto der Gläubiger sei: "Reformiere weiter! Spare noch mehr!" Im Euro natürlich.
Dabei hat Athen sein immenses Haushaltsdefizit von über 15 Prozent im Jahr 2009 in einen sogenannten primären Haushaltsüberschuss (ohne den Schuldendienst) von gut zwei Prozent im Jahr 2016 verwandelt - eine im globalen Vergleich einmalige Herkulesleistung.

Dauerthriller geht weiter

Erst in der vorigen Woche schwenkte der IWF nach langem Streit auf die Linie der Europäer ein, von den Griechen als Gegenleistung für die Auszahlung einer längst überfälligen Kredittranche einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts ab 2018 zu verlangen.

Lange hatte der IWF ein Plus von allenfalls 1,5 Prozent für realistisch gehalten, dafür aber nachhaltige Schuldenreduktion für Athen verlangt. Doch Schäuble und Co. winkten ab.
Schon vor der Eurogruppensitzung war klar: Vorgezogene Neuwahlen oder ein Referendum wie im denkwürdigen Sommer 2015 dürfte Tsipras nicht initiieren. Zu riskant.

Der Grund ist simpel: Einen neuerlichen Urnengang würde der gezähmte Spargegner wohl verlieren. Einer am Freitag veröffentlichten Umfrage zufolge weist die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia einen Vorsprung von fulminanten 14,7 Prozent auf Syriza auf. Tsipras droht bei einer Wahl ein politisches Desaster.

Hinzu kommen Unwägbarkeiten wie die Haltung des neuen US-Präsidenten Donald Trump zur Griechenlandkrise, die Parlamentswahlen in den Niederlanden im März sowie die Präsidentschaftswahl in Frankreich.

Eine Konstante gibt es im nächsten Akt der griechischen Tragödie mit seinen unentwegt vielen Variablen aber auch: Griechenland braucht im Juli rund sieben Milliarden Euro, um seine Verbindlichkeiten zu bedienen. Kassiert Athen bis dahin nicht neue Hilfsgelder, ist Griechenland pleite. Und das will keiner der Beteiligten in Brüssel, Berlin, Washington und nicht zuletzt Athen.